Zu gut für die Tonne: App-Erweiterung auf der Zielgeraden
Dr. Felicitas Schneider (Thünen-Institut, Braunschweig) befasst sich mit internationalem Agrarhandel und Welternährung. Sie ist Koordinatorin eines internationalen Netzwerks zur Vermeidung von Lebensmittelverlusten und -abfällen.
Welche sind die Berührungspunkte zwischen Ihrer Forschung und diesem Projekt?
Dr. Felicitas Schneider: Wir haben sehr viele Projekte und internationale Kooperationen laufen, bei denen es auch um Lebensmittelabfälle in Haushalten geht, und sehr viele Kolleg*innen zerbrechen sich den Kopf, wie sie zu besseren Daten kommen und wie man die Datensammlung vereinfachen kann. Und da ist dieses Projekt wichtig, um zu sehen, wie man gerade dies machen kann, und wie man es in bestehende Tools integrieren kann. Ein Ziel ist, zuverlässige Daten zu erhalten, um die Wirksamkeit von Maßnahmen in privaten Haushalten zu evaluieren.
Welche ist Ihre Aufgabe in diesem Rahmen?
Meine Aufgabe besteht u.a. darin, Erkenntnisse, Forschungsergebnisse oder Best Practice Beispiele aus Deutschland ins Internationale zu spiegeln, und umgekehrt, internationale Erfahrungen in Deutschland miteinzubringen. Ich bin nicht am Projekt selbst beteiligt, sondern bin im Expertennetzwerk: d.h. wir sind bei Online-Treffen dabei und lassen unsere Meinung und unsere Erfahrung einfließen.
Wie schätzen Sie die Erweiterung der App „Zu gut für die Tonne“, die gerade entwickelt wird?
Was ich gut finde ist, dass das reine Messen der Lebensmittelabfälle auch mit Maßnahmen verknüpft ist, die man umsetzen kann, damit man von den Top 3-Lebensmitteln weniger wegwirft. Also keine generelle Handlungsempfehlungen, bei denen die Menschen denken, das betrifft mich ja nicht. Hier können sie durch die App wirklich vermerken, was, wieviel, warum und wie oft sie Lebensmittel wegwerfen, und sich dessen bewußt werden. Ist es zum Beispiel Gemüse, das sie oft entsorgen, dann kommen Tipps, um Gemüse besser zu lagern und Rezepte darüber, was sie mit diesem Gemüse noch zubereiten könnten. Wenn man die App länger nutzt, kann man dann messen, welche Auswirkungen die empfohlenen Maßnahmen auf die Lebensmittelabfälle im Haushalt haben. Die Kombination dieser verschiedenen Funktionen der bestehenden App und der Erweiterung hat Potenzial und kann zusätzliche Vorteile bringen.
Sprechen wir über potenzielle Zielgruppen: kann diese App auch Menschen erreichen, die normalerweise nicht so sensibilisiert sind, wenn es darum geht, Lebensmittelverschwendung zu vermeiden?
Wahrscheinlich spricht sie erstmal Menschen an, die sich mit dem Thema befasst haben. Mit entsprechender gezielter Werbung könnte man versuchen, auch Zielgruppen zu erreichen, die mit dem Thema noch nicht vertraut sind.
Vielleicht könnte dazu der spielerische Charakter der App helfen. Wäre so eine App mit ‚Challenges‘ für Schulklassen geeignet?
Vielleicht, allerdings sind Kinder in der Regel nicht diejenigen, die im Haushalt die Entscheidungen treffen – darüber, was gekauft, zubereitet und entsorgt wird. Studenten könnten durchaus eine Zielgruppe sein. Menschen mit wenig strukturiertem Tagesablauf werden es schwer haben, die App kontinuierlich umzusetzen. Bei Familien mit Kindern wiederum steht der Faktor Zeit womöglich im Wege. Die Herausforderung ist, die App so zu entwickeln, dass sie schnell und unkompliziert zu bedienen ist.
Welche wäre Ihre Empfehlung, damit die App ein breiteres Publikum ansprechen kann?
Ich denke, man muss sich bewusst sein, dass nicht alle Funktionen, die die App bietet, gleichmässig von allen Zielgruppen genutzt werden können. Es sollte eine Vielfalt an Möglichkeiten angeboten werden, für sehr diverse Zielgruppen, mit verschiedenen Interessen. Einige freuen sich, wenn sie irgendwelche Erfolgsmeldungen erhalten, andere haben ihren nüchternen Blick und sind zufrieden, weil sie ihren Lebensmittelabfall reduziert haben. Andere wiederum freuen sich auf Rezepte, die zu ihren Lebensmittelresten passen.
Könnte das Gefühl, durch weniger Verschwendung Geld gespart zu haben, zur Nutzung der App motivieren?
Warum nicht? Womöglich könnte man Menschen auch mit Aspekten wie Wasser oder Geld sparen motivieren. Man muss sich jedenfalls von der Idee verabschieden, dass alles allen gefällt, und eine größere Auswahl an möglichen Nutzungen der App anbieten, so dass jeder das richtige für sich findet.
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Dr. Benedikt Jahnke befasst sich mit nachhaltigem Konsum und forscht insbesondere über die Vermeidung von Lebensmittelverschwendung, mit unterschiedlichen methodischen Ansätzen, die sozialwissenschaftliche und Verbraucherforschungsperspektiven verbinden.
Warum ist dieses Projekt für Ihre Forschung interessant?
Dr. Benedikt Jahnke: Ich begleite schon länger das „Dialogforum Private Haushalte“, und war auch regelmäßiger Gast in den anderen Dialogforen, speziell im Forum des Groß- und Einzelhandels. Ich habe so sehr schnell gemerkt, wie wichtig die Schnittstellen zwischen den einzelnen Sektoren sind, denn Lebensmittelverschwendung entsteht oft an den Übergängen: da, wo die Lebensmittel von der Landwirtschaft zum Handel und vom Handel zu den Verbrauchern kommen. Gerade an diesen Übergängen gibt es das Potenzial, Food Waste zu vermeiden. Aus dem Grund habe ich versucht, mich an so vielen Dialogforen wie möglich zu beteiligen. Das „Dialogforum Private Haushalte“ hat in der ersten Phase sehr gute Grundlagen gelegt und spannende Instrumente entwickelt. Ich freue mich, dass ich das Projekt in dieser zweiten Phase, in denen viele Funktionen der App ausprobiert und umgesetzt werden, begleiten darf.
In diesem Projekt geht es um Food Waste in privaten Haushalten: man schaut sozusagen den Leuten in den Kühlschrank. Welche Daten und welche Erkenntnisse versprechen Sie sich für Ihren Forschungsschwerpunkt?
Genau die privaten Haushalte sind ja diejenigen, die von der Statistik her die größten Verursacher von Food Waste sind. Die Stellschrauben besser zu verstehen, mit der Möglichkeit, im „Dialogforum“ Dinge auszuprobieren, nah an den Verbrauchern dran: das ist eine super Gelegenheit als Forschender. Es ist allerdings eine große Herausforderung, die richtige Balance zwischen dem Anspruch zu finden, den ich als Wissenschaftler an Daten und an Datenqualität habe, und der praktischen Umsetzung mit den Verbrauchern: das sind ja alles Laien, die freiwillig mitmachen und dem Projekt ihre Daten zur Verfügung stellen. Besonders wertvoll ist es, möglicherweise Langzeitmessungen machen zu können und über verschiedene Zeiträume zu schauen: Wie entwickeln sich denn die Abfallmengen, oder wie entwickelt sich auch das Bewusstsein für Lebensmittelverschwendung? Da, glaube ich, kann das „Dialogforum“ im Zusammenhang mit der App und in den späteren Umsetzungsbeispielen mit Praxispartnern aus den Bereichen Herstellung, Handel, Verbraucher*innen-Initiativen und Zivilgesellschaft, ganz viel Spannendes und ganz viel Wertvolles hervorbringen.
Welche wäre die Zielgruppe für diese App, aus Ihrer Sicht?
Ich denke, dass zwischen zwei Zielgruppen zu unterscheiden ist. Zum einen eignet sich die App, um projektbezogen und intensiv für einen relativ kurzen Zeitraum Daten zu generieren und so Maßnahmen zu evaluieren. Hierfür kommen verschiedene Einzelgruppen in Frage, wobei wissenschaftlich besonders spannend zum Beispiel Familien, Single-Haushalte und Haushalte mit Migrationshintergrund wären. Als zweite User-Gruppe der App sehe ich motivierte und für das Thema Lebensmittelverschwendung sensibilisierte Personen, die regelmäßig und hoffentlich konstant über einen längeren Zeitraum mitmachen. Für diese Gruppe müsste man eine viel einfachere Version der App entwickeln und auch Abstriche in Kauf nehmen, was die Datenqualität und die Datentiefe angeht. Wenn dafür gewisse Langzeiteffekte nachvollzogen werden können, dann sollte man das hinnehmen.
Vielleicht auch mit einer einfacheren Sprache?
Ja, das fängt mit einer einfacheren Sprache an, aber man sollte dann auch auf eine detaillierte Gramm-Messung für jeden einzelnen Lebensmittelabfall verzichten, und diese durch ungefähre Maßeinheiten wie Faust, Handvoll, vollen/halben Löffeln usw. ersetzen. Auch sollten die Fragebögen einfacher gestaltet sein, damit alles kompakter ist und schneller geht. Die Idee Gamification-Elemente in die App zu integrieren, so dass es auch Spaß macht und man ein Feedback bekommt, ist auf jeden Fall richtig. Einiges ist in der App schon bedacht: ‚Badges‘, zum Beispiel, die als Belohnung anspornen sollen, weiter zu machen.
Wie ist Ihr Eindruck von der App, in dieser Phase der Entwicklung?
Ich habe die Tagebuchmessung und den Fragebogen getestet. Ich fand das Tool für Messung schon sehr weit fortgeschritten. Da sind zwar noch Aspekte, über die man sicher noch mal nachdenken muss, aber ich glaube, dass man auf einem sehr guten Weg ist, und ich kann mir gut vorstellen, dass die App zum Veröffentlichungswunschdatum „Grüne Woche“ Ende Januar 2025 Jahr fertig sein wird. Beim Fragebogen steht in meinen Augen noch erst noch so etwas wie eine Grundsatzentscheidung an: wohin möchte man, was brauchen wir tatsächlich, wie komplex darf es sein. Anpassungen danach vorzunehmen, geht beim Fragebogen relativ schnell. Deshalb glaube ich, dass auch hier bis Januar eine fertige Version vorliegen kann.
Hintergrund zum Projekt:
Das Dialogforum private Haushalte 2.0 wird im Rahmen der Nationalen Strategie zur Reduzierung der Lebensmittelverschwendung durch das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) gefördert. Es arbeitet eng mit der BMEL-Initiative ‚Zu gut für die Tonne!‘ zusammen. Die Projektträgerschaft erfolgt über die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) über den Zeitraum Oktober 2023 bis September 2026. Das Dialogforum wird von Slow Food Deutschland zusammen mit dem Fachgebiet Bildung für Nachhaltige Ernährung und Lebensmittelwissenschaft der TU Berlin durchgeführt.