Die „Vision für Landwirtschaft und Ernährung“ der EU Kommission sieht keine richtige Transformation des Ernährungssystems vor
Die Sicherstellung einer stabilen Lebensmittelversorgung ist wichtig, aber immer mehr Lebensmittel zu produzieren bedeutet nicht mehr, Ernährungssicherheit zu gewährleisten, da die EU bereits über 59 Millionen Tonnen Lebensmittel pro Jahr verschwendet und die fehlende Ernährungssicherheit eher auf eine unfaire Verteilung von Lebensmitteln zurückzuführen ist. Ohne sich dem Thema Ernährungsgerechtigkeit zu widmen, ist die Produktionssteigerung kein Ansatz für das Welternährungsproblem, sondern nur ein Vorwand zum Erhalt des Status quo: Die Kosten dafür zahlt die Umwelt, u.a. mit dem Kollaps von Ökosystemen und der langfristigen Verarmung von Boden- und Wasserqualität.
Marta Messa, Generalsekretärin von Slow Food, kommentiert das Strategiepapier der EU-Kommission: „Die Vision behauptet zwar, sich auf die Interessen der Landwirt*innen zu konzentrieren, die als erste von der Zerstörung der biologischen Vielfalt und der Klimakrise betroffen sind, sie sagt aber wenig darüber aus, wie der Übergang zu einer nachhaltigen Landwirtschaft für diejenigen eingeleitet werden kann, die noch nicht damit begonnen haben, und wie diejenigen unterstützt werden können, die sich bereits auf den Weg gemacht haben“.
Der anhaltende Rückgriff auf Subventionen, die sich an der Flächengröße und nicht an ökologischen und sozialen Beiträgen orientieren, benachteiligt Kleinbäuer*innen, obwohl sie fast 40 % der landwirtschaftlichen Betriebe in der EU ausmachen und eine entscheidende Rolle für den Schutz der biologischen Vielfalt, die ländliche Entwicklung und die Erzeugung gesunder Lebensmittel spielen. Die „Vision für Landwirtschaft und Ernährung“ erkennt zwar ihre Bedeutung an, enthält aber keine konkreten Maßnahmen, die sie wirklich unterstützen würden, und versäumt es folglich, den Wert der vielfältigen Lebensmittelproduktion in der EU anzuerkennen. Allein in den letzten zehn Jahren ist ein Drittel der landwirtschaftlichen Betriebe in der EU verschwunden, und die Kleinbäuer*innen sind von den unbeständigen Märkten und dem unlauteren Wettbewerb der industriellen Agrarindustrie am stärksten betroffen.
Über die Produktion hinaus vernachlässigt die EU-Kommission in ihrem Strategiepapier einen entscheidenden Teil des Lebensmittelsystems: den Verbrauch. Dieses Versäumnis ist bedeutsam, da der Lebensmittelkonsum mit einem Anteil von 49 % am gesamten ökologischen Fußabdruck einer der Hauptfaktoren für die Umweltbelastung in der EU ist. Nachhaltige Ernährung, Bewusstseinsbildung und die Rolle der Bürger*innen bei der Gestaltung der Nachfrage werden nicht berücksichtigt.
„Der Übergang zu nachhaltigen Lebensmittelsystemen muss mit einer Änderung unseres Lebensmittelkonsums einhergehen, doch bleibt unklar, wie die ‚Vision‘ eine gesündere, umweltfreundlichere Ernährung fördern will“, fügt Messa hinzu.
Die Vision enthält zwar einige positive Schritte - wie ein starker Fokus auf den Generationenwechsel in der Landwirtschaft, eine Eiweißstrategie und strengere Einfuhrvorschriften für Pestizide und Tierschutz -, doch die Kernprobleme bleiben bestehen. Unter anderem hat die Generaldirektion AGRI ihre Verpflichtung zur Beendigung des Exports von in der EU verbotenen Pestiziden verwässert, was kritische Lücken in der Fähigkeit der EU hinterlässt, bei globalen Umweltstandards mit gutem Beispiel voranzugehen.
Auch die Verpflichtung, gleiche Tierschutzstandards für importierte Produkte zu gewährleisten, ist zwar ein positiver Schritt, doch die Strategie zur Umsetzung muss klarer definiert werden. Die schrittweise Abschaffung der Käfighaltung ist zu begrüßen, aber Landwirt*innen, die auf eine artgerechte Tierhaltung umstellen, brauchen gezieltere Unterstützung, um sicherzustellen, dass die Verbesserung des Tierschutzes nicht auf Kosten der Rentabilität des Betriebs geht.
>> Slow Food hat eine andere Vision, für die Zukunft von Landwirtschaft und Ernährung