Kritischer Agrarbericht 2025: Wertschöpfung und Wertschätzung in der Landwirtschaft
Mehr Marktpolitik für angemessenes Einkommen
Frieder Thomas, Geschäftsführer des Bündnisses, konkretisierte die aktuelle Debatte um Wertschöpfung in der Landwirtschaft und deren angemessene Honorierung durch Markt, Politik und Gesellschaft: „Ein faires Einkommen für die Lebensmittelproduktion muss stärker durch die Gestaltung der Agrarmärkte erfolgen, beispielsweise über verbindliche Lieferverträge mit konkreten Angaben über Preis, Menge, Qualität und Laufzeit des Vertrages. Und dies kombiniert mit einem Verbot des Einkaufs- bzw. Verkaufs unter Produktionskosten.“ Die europäische Förderpolitk müsse sich darauf konzentrieren, dass die vorhandenen Mittel für Gemeinwohlleistungen der Landwirtschaft verwendet werden, für die es keinen realen Markt gibt, wie zum Beispiel Klimaschutz, Tierwohl oder Artenschutz. Und weil die notwendige Transformation – vom Umbau der Tierhaltung bis zum Erhalt regionaler Strukturen – mit den Preisen an der Ladentheke und den EU-Mitteln allein nicht finanzierbar sei, brauche es dafür zusätzliche Instrumente, wie etwa den gezielten Einsatz der Mehrwertsteuer zu Finanzierung des Umbaus in der Tierhaltung.
Faire Erzeugerpreise für viele und vielfältige Höfe
Xenia Brand, Geschäftsführerin der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) konkretisierte die Situation: „Ein Ende des Höfesterbens ist aktuell nicht in Sicht, denn viele Bäuerinnen und Bauern können nach wie vor ihre Kosten nicht decken. Die Verbesserungen in der Marktorganisation zugunsten fairer Erzeugerpreise war eines der Versprechen der EU-Kommission an die Bäuerinnen und Bauern bei den Protesten vor einem Jahr. Die nun vorliegenden Vorschläge sind daher zu begrüßen, insbesondere dass alle Mitgliedsstaaten verpflichtende Verträge zwischen Erzeugern und abnehmender Hand einführen sollen, um zu mehr Augenhöhe bei den Verhandlungen zu kommen. Faire Preise sind auch eine wichtige Voraussetzung für die Weiterentwicklung der GAP im Sinne der Zukunftskommission Landwirtschaft (ZKL), weg von den Flächenprämien und hin zur Honorierung der Gemeinwohlleistungen der Bäuerinnen und Bauern. Dazu gehört auch die Einführung der Ökoregelung für Weidekühe. Kühe auf der Weide zu halten ist eine wichtige Leistung der Bäuerinnen und Bauern, die es zu honorieren gilt. Für den Umbau der Tierhaltung gilt weiterhin, dass dieser ohne eine verlässliche und langfristige Finanzierung nicht gelingen wird. Es ist gut, dass wir uns in der ZKL auf ein Modell dazu geeinigt haben. Dieses darf von der neuen Bundesregierung auf keinen Fall erneut ignoriert werden.“
Erhöhung des Bio-Anteils auf Acker und Teller ein Schlüsselelement
Gerald Wehde, Leiter der Abteilung Agrarpolitik bei Bioland, hatte die Bundestagswahl im Februar 2025 im Blick: "Egal wie die künftige Bundesregierung zusammengesetzt sein wird: An den Herausforderungen, die sie zu bewältigen hat, ändert sich wenig. Dazu gehört, dass sich die Landwirtschaft als systemrelevanter Sektor resilient, nachhaltig und damit zukunftsfähig entwickeln können muss. Auf dem Weg dahin ist die Erhöhung des Bio-Anteils auf Acker und Teller ein Schlüsselelement. Doch die wirtschaftliche Lage auf den Biobetrieben ist ernst. Während beispielsweise der Orientierungspreis für Biomilch bei fast 70 Cent liegt, erhalten die Betriebe im Schnitt nur knapp 60 Cent/kg. So können die Mehrkosten, die durch ökologische Produktion entstehen, nicht gedeckt werden. Damit sich nachhaltiges Wirtschaften aber lohnt, braucht es gute Rahmenbedingungen – wirtschaftlich und politisch. In erster Linie müssen die Erzeugerpreise wieder steigen, denn Wertschätzung und Wertschöpfung bedingen einander. Dazu gehören aber auch attraktive Fördermöglichkeiten – und ganz dringend bürokratische Entlastungen. Wer nachweislich Mehrleistungen bringt, könnte von bestimmten Auflagen befreit werden. Mit diesem Ansatz würde die Vereinbarkeit von Umweltzielen, Bürokratie-Abbau und Ökolandbau-Ausbauzielen gestärkt. In Zeiten knapper Haushaltskassen wäre das eine win-win Situation.
Wirtschaftlich konkurrenzfähige Betriebe durch Nachhaltigkeitsleistungen
Auch Olaf Bandt, Vorsitzender des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), ging auf die Honorierung der Landwirtschaft ein: „Ökosysteme und Artenvielfalt stehen weiter unter Druck! Ihr Schutz darf aber nicht ausgespielt werden gegen das Einkommen der Betriebe und auch nicht unter dem Deckmantel des Bürokratieabbaus verwässert werden. Stattdessen muss die GAP so weiterentwickelt werden, dass sie Leistungen fürs Gemeinwohl endlich angemessen honoriert, statt nur einen Ausgleich zu zahlen. Dann gelingt es auch, dass Biodiversität neben angemessenen Produkterlösen ein zweiter Pfeiler für ein auskömmliches Einkommen wird und dass Naturschutzleistungen zu einem win-win für Betriebe und Umwelt werden und zur Wertschöpfung im ländlichen Raum beitragen.
Knapper werdende Fördergelder müssen gezielter für die Transformation eingesetzt werden: vom Umbau der Tierhaltung bis hin zu Förderung der Biodiversität. Das entspricht den Vereinbarungen, die in der breit getragenen deutschen Zukunftskommission Landwirtschaft sowie im europäischen Strategischen Dialog getroffen wurden. Die Umsetzung dieser Vereinbarungen ist ein Auftrag für die künftige Bundesregierung.
Eine politische Absicherung braucht es auch für die gentechnikfreie Land- und Lebensmittelwirtschaft. Sie sind durch die Deregulierungspläne im EU-Gentechnikrecht genauso bedroht wie unsere Ökosysteme. Kennzeichnung, Wahlfreiheit sowie Risikoprüfung und Zulassungsverfahren müssen auch für die neue Gentechnik erhalten bleiben.“
Staatsziel Tierschutz verpflichtet: neue Tierschutzpolitik vonnöten
Thomas Schröder, Präsident des Deutschen Tierschutzbundes, resümierte die Tierschutzpolitik der Ampel und blickte auch nach vorn: „Die Ampel ist bei der Tierschutzpolitik gescheitert: Mit dem Ampel-Aus ist die fast ausverhandelte Novelle des Tierschutzgesetzes geopfert worden. Durch massive politische Versäumnisse der vergangenen Jahre hat sich die Schere zwischen dem Anspruch des Grundgesetzes mit dem Staatsziel Tierschutz und dem tatsächlichen Umgang mit Tieren in Deutschland immer weiter geöffnet. Auch Europa und der Green Deal lassen wenig hoffen. Die neue Bundesregierung darf daher nicht wie bisher auf Europa verweisen und so das Nichtstun national begründen. In Deutschland ist eine neue Tierschutzpolitik vonnöten – und dann auch in Europa. Die zukünftige Bundesregierung muss begreifen, dass das Staatsziel Tierschutz jegliches staatliches Handeln – vor allem die Gesetzgebung und die vollziehende Gewalt – verpflichtet, den Schutz der Tiere zur Grundlage zu haben und nicht – wie bisher – ausschließlich die Nutzung der Tiere. Sollte auch die neue Regierung untätig bleiben, bleibt nur der Weg über Gerichte um klarzustellen, was erlaubt sein darf – und was eben nicht.“
10 x 5 Kernforderungen an die Politik
Das AgrarBündnis bietet mit seinem jährlich erscheinenden Kritischen Agrarbericht eine Informations- und Diskussionsplattform für die gesellschaftliche Auseinandersetzung um eine nachhaltige Transformation von Landwirtschaft und Ernährung – in Deutschland, in Europa, aber auch weltweit. Die Autor:innen der Jahresrückblicke (»Entwicklungen & Trends«) für die zehn Themenschwerpunkte, die regelmäßig im Kritischen Agrarbericht behandelt werden, haben auch für dieses Jahr jeweils fünf zentrale politische Forderungen zusammengestellt. Diese 10 x 5 Kernforderungen richten sich vor allem an die neue Bundesregierung, aber auch an andere politische Entscheidungsträger:innen sowie Akteur:innen der Zivilgesellschaft.
Die Kernforderungen sind als eigenständiges Dokument erhältlich unter
https://kritischer-agrarbericht.de/fileadmin/Daten-KAB/Kernforderungen/KAB_2025_Kernforderungen.pdf
Online
Die einzelnen Beiträge des Kritischen Agrarberichts 2025 stehen direkt nach der Pressekonferenz kostenlos online zur Verfügung https://kritischer-agrarbericht.de/
Podiumsdiskussion mit Autorinnen und Autoren des Kritischen Agrarberichts 2025
Bitte beachten Sie: Am 16.1.2025 findet von 19:00 bis 20:30 Uhr in der Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin eine Podiumsdiskussion mit Autorinnen und Autoren des Kritischen Agrarberichts 2025 statt.
Programm, Anmeldung und Link zum Livestream finden Sie hier: https://calendar.boell.de/de/event/unsere-gruene-woche-vorstellung-kritischer-agrarbericht