Ackertag: Bezug zur eigenen Lebensmittelwelt entwickeln
Während die Lernenden bei den ersten zwei Exkursionen im Rahmen des Bildungsprojektes ein Gefühl dafür erhielten, inwieweit ihr Konsum und ihr Handeln Auswirkungen auf das globale Lebensmittelsystem hat, konnte dieses Wissen durch den dritten Projekttag auf dem Weltacker gefestigt und um weitere Aspekte erweitert werden. Der 2000 m²-Weltacker zeigt exemplarisch, wie viel landwirtschaftlich nutzbare Fläche jedem Menschen zur Verfügung stünde, wenn man die Gesamt-Agrarfläche durch die Anzahl an Weltbürgerinnen und -bürgern teilen würde. Auf dem Acker wird all das angebaut, was uns nährt und kleidet - also neben Obst, Gemüse und Genussmitteln auch das Viehfutter, die Baumwolle und sogar Ausgangsstoffe zur Biogas-Produktion. Von all dem nutzen wir im globalen Norden eine ganze Menge, weshalb dem Nachwuchs deutlich wurde: Unser westlicher Ernährungs- und Konsumstil führt unter anderem durch den hohen Verzehr an tierischen Produkten und Luxusgütern, zu deutlich mehr Flächenverbrauch pro Person, als uns zusteht. Von einer gerechten Flächenverteilung zwischen dem Globalen Norden und dem Globalen Süden kann also nicht die Rede sein.
Lebensmittelwelten im kulturellen Vergleich
Der Weltacker bietet sich als Ort der Bildung an, um Lernenden zum Beispiel zu veranschaulichen, dass auf den Äckern der Welt größtenteils nur vier Kulturpflanzen angebaut werden - nämlich Weizen, Mais, Reis und Soja - und das hauptsächlich in Monokultur. Um ein Gefühl dafür zu erhalten, welche Kulturpflanzen mehr und welche weniger Fläche verbrauchen verglichen die Schülerinnen und Schüler verschiedene Produktgruppen auf dem Acker. Infotafeln lieferten dabei weiterführende Informationen dazu, wie diese Kulturpflanzen weiterverarbeitet werden. Dabei erkannten die Schülerinnen und Schüler schnell, dass enorme Agrarflächen zur Soja- und Maisproduktion für die Energie- und Tierfuttergewinnung "verschwendet" werden und somit nicht für den Lebensmittelanbau zur Verfügung stehen. Im Gespräch mit Gerd Carlsson vom 2000 m²-Weltacker erkannten die Schülerinnen und Schüler, dass unsere Ernährungsgewohnheiten sich teils deutlich von denen in Entwicklungsländern unterscheiden (z. B. kalorisch und flächentechnisch) und wir zu einem erheblichen Maße durch unseren Konsum dazu beitragen, dass andernorts auf der Welt Menschen unter sehr schlechten Arbeits- und Lebensbedingungen leiden, damit hier Lebensmittel zu billigen Discounterpreisen verkauft werden können.
Mit Hilfe von Audiodateien, den "Geschichten auf dem Süden", in denen Menschen des globalen Südens zu Wort kommen und ihre Herausforderungen im Kontext der Lebensmittelproduktion erläutern, tauchten die Kinder in die Lebensmittelrealitäten der dort lebenden Menschen ein und erkannten globale Zusammenhänge. Die Frage "Was haben wir denn damit zu tun?" erübrigte sich, erkannten die Kinder doch auch ihren Einfluss und hinterfragten beispielsweise die weit gereiste Exportware des Supermarktes kritisch in Bezug auf faire Arbeitsbedingungen, den industriellen Anbau in Monokulturen und die Verwendung von Pflanzenschutzmitteln. Mit den gewonnen Erkenntnissen waren die Lernenden in der Lage kurze Rollenspiele einzuüben, in denen die Herausforderungen der Protagonisten dargestellt und abschließend eine lösungsorientierte neue Perspektive erarbeitet wurde, wie besonders auch wir in unseren Breitengraden gegen globale Ungerechtigkeit und schlechte Arbeitsbedingungen in Drittländern angehen können. So sahen die Schülerinnen und Schüler zum Beispiel eigenen Handlungsspielraum darin durch das eigene Einkaufsverhalten, die Bedingungen für einen Feldarbeiter zu verbessern, der ohne Schutzkleidung Pestiziden ausgesetzt ist, indem man solche Produkte meidet.
Kritische Hinterfragung des Lebensmittelsystems beim Mittagessen
Im Anschluss an die Gruppenarbeit wurden die Vorbereitungen für das gemeinsame Mittagessen getroffen - auf der Speisekarte: Kartoffelpüree mit Rührei und saisonalem Salat. Die Schülerinnen und Schüler hatten neben dem Schnippeln und Schneiden die Aufgabe, alle Zutaten abzuwiegen, um später den Flächenbedarf des Gerichtes berechnen zu können. Vor allem durch das selbst Hand anlegen beim Kochen, Rührei zubereiten und Kartoffel stampfen wurde ein direkter Bezug zu den Lebensmitteln hergestellt, aus dem sich zum Beispiel kritische Fragen zur Herkunft der Produkte ergaben. Warum kommen die Bio-Kartoffeln aus Spanien? Wieso findet man im Supermarkt häufiger Importware als regionale Ware? Wieso bevorzugt der Lebensmittelhandel die billige Ware aus dem Ausland und wie wirkt sich das wiederum auf die Lebensbedingungen der Menschen aus, die in diesen Ländern im Bereich Landwirtschaft arbeiten? Um dieses System nicht zu unterstützen sprachen sich die Kinder als Lösung für den Besuch eines Wochenmarktes aus, denn da gäbe es regionale Ware und man könne mit den Erzeugern selbst ins Gespräch kommen und ihnen zum Beispiel Fragen zur Erzeugung der Lebensmittel stellen.
Nach insgesamt drei Exkursionen, die mit den 14. und 15. Jährigen dieser Klasse im Rahmen von Edible Connections durchgeführt wurden, waren bereits Veränderungen in der Sichtweise und Argumentation der Kinder zu erkennen: Durch das praktische Entdecken der Wertschöpfungskette von Lebensmitteln wurde dem heute gängigen Phänomen der Entfremdung unserer Lebensmittel entgegengewirkt. Die Kinder haben durch die Projekttage wieder einen Bezug zu ihrer Nahrung hergestellt und gelernt, kritische Fragen über die Herkunft der Produkte, Anbau- und Arbeitsbedingungen zu stellen und das Warenangebot im Lebensmittel(einzel)handel zu hinterfragen. Der Samen fürs Umdenken ist gesät und ein Entwicklungsprozess der jungen Generation wurde ins Rollen gebracht. Wie die Schülerinnen und Schüler die globale Lebens- und Ernährungssituation nach den drei Exkursionen einschätzen und was sie für Fragen und Erkenntnisse mit der Partnerklasse in Kenia teilen möchten, erfahren wir auf dem nächsten Projekttag am 29. Mai, wo die zwei Schulklassen via Live-Call zum zweiten Mal aufeinander treffen.
Bilder: (c) Elgin Hertel