Apfelernte – Tradition, Werte und Wirtschaftlichkeit

30.09.2019 - Es gibt tausende Apfelsorten. Manche genießt man am besten pur, andere sind ideal für Kuchen und Kompott, zu Gelee oder Chutney verarbeitet oder gedörrt. Und aus ihrem Saft lässt sich alles machen – von der erfrischenden Schorle bis zu Most, Cider oder Likör. Die meisten Äpfel wachsen heute auf intensiv bewirtschafteten Plantagen. Gerade deshalb gilt es, die herben, aromastarken Raritäten auf den Streuobstwiesen zu bewahren.

WiesenObst 2 (c) Manufaktur Jörg Geiger.jpgFür die Apfelernte auf Bäume zu steigen, mit oder ohne Leiter, ist nicht ungefährlich, weshalb schon Hofgärtnerinnen und -gärtner im 18. Jahrhundert überlegten, wie man die aristokratischen Arbeitgeberinnen und -geber ungefährdet mit Tafelobst versorgen könnte. Zu Hilfe kam ihnen dabei eine Eigenart der Natur: Äpfel sind in der Regel nicht samenfest, sie müssen veredelt werden. Aus dem Kern eines Cox Orange beispielsweise würde sich ein Baum entwickeln, dessen Früchte völlig anders aussehen und schmecken. Um wieder einen Cox Orange zu bekommen, nimmt man deshalb einen kleinen Sämlingsbaum – die sogenannte ‚Unterlage‘ – und ‚veredelt‘ auf dessen Wurzelstock den Zweig eines Baumes der Apfelsorte, die man haben möchte. Manche Bäume wachsen höher als andere und die Hofgärtner entdeckten, dass man es beim Ernten deutlich leichter hat, wenn man die gewünschte Apfelsorte auf eine ‚schwach wachsende‘ Unterlage (d.h. der Baum bleibt eher niedrig) okuliert (1). Wenn man dann noch die Zweige an einem Spalier entlang zieht, wird das Pflücken noch bequemer.

Aber schon zur Zeit der Hofgärtnerinnen und -gärtner gab es neben dem Obstanbau in Gärten auch den Landschaftsobstbau. Für die hohen, vereinzelt stehenden Bäume musste eine langfristige und nachhaltige Doppelnutzungsform gefunden werden. In den meisten Gebieten war es die Kombination von Obstnutzung mit Ackerland oder Wiesen, als Weideland für Schafe oder Rinder. Beide Formen werden heute in der regenerativen Landwirtschaft unter dem Stichwort Agroforstsysteme als zukunftsträchtige rentable und nachhaltige Wirtschaftsform diskutiert.

Tief verwurzelt

Für den Landschaftsobstbau wurden starkwachsende Unterlagen (d.h. geeignet für Bäume, die sehr hoch wachsen) genutzt – die Bäume brauchen weniger Pflege, bringen trotzdem gute Erträge und sie wachsen hoch genug, dass Tiere ungestört darunter weiden oder im Schatten ausruhen können. Starkwachsende Unterlagen bestimmen neben Resistenzeigenschaften den Lebenszyklus des Baumes. Für Jahre, manchmal sogar Jahrzehnte investieren sie ihre Kraft in das vegetative Wachstum, bevor sie schließlich Früchte produzieren. Um die eigene Art möglichst weit auszubreiten, war es - evolutionär gesehen - günstiger, nicht jedes Jahr das gleiche Volumen an Früchten zu liefern, sondern stattdessen alle zwei bis drei Jahre durch ein Übermaß an Früchten Tiere aus größerer Entfernung anzulocken. Bei der Rückkehr in ihre Reviere hatten sie das Gefressene verdaut, die unverdaulichen Samenkerne wurden weit entfernt von ihrem Ursprungsort ausgeschieden.

Für diesen evolutionären Kunstgriff brauchen die Bäume ein ausgeprägtes Wurzelsystem. Es dient als zusätzliches Speichermedium für die Zucker, die in den Blättern auch in ‚Zwischenjahren’ gebildet werden. Diese Zuckerreserven stehen dann in Jahren mit starkem Fruchtbehang zur Verfügung und können bei Bedarf in anderen Stresssituationen mobilisiert werden. Schwachwachsende Unterlagen verfügen nicht über diese Speicherkapazität und müssen daher stärker gedüngt werden.

Die wahren Dimensionen hochstämmiger Bäume bleiben den Blicken verborgen: Das weit ausladende Wurzelwerk reicht so weit in die Tiefe wie Stamm und Krone in die Höhe. Aus den unteren, auch in trockeneren Zeiträumen wasserführenden Schichten, pumpt der Baum mit seinen Wurzeln nicht nur Wasser nach oben, sondern auch darin gelöste Mineralstoffe. Diese Mineralien reichern sich in den Früchten stärker an - was den Unterschied im Geschmack bei der gleichen Sorte erklärt: Er ist abhängig von der Wahl der Unterlage. Bei Tafelobstsorten auf schwach wachsenden Unterlagen findet das ‚Terroir‘ weniger Ausdruck, was bei den süßen Sorten nicht ins Gewicht fällt, denn hier verdeckt der Zucker das mangelnde Aroma.

Massenware oder Terroir – alles eine Frage des Preises

WiesenObst 5 (c) Manufaktur Jörg Geiger.jpgEinen Apfel oder eine Birne nehmen und reinbeißen – das gilt für Tafelobst, ist aber bei den tanninreichen Mostobstsorten nicht zu empfehlen. Eine gute Möglichkeit der Verarbeitung ist hier die Saftherstellung. Doch das Obst dafür lässt sich in anderen Teilen Europas, besonders in Frankreich, England und Nordspanien schneller und billiger produzieren als in Deutschland. Die Ernte erfolgt mit selbstfahrenden Auflesemaschinen oder einem Traktor, der vorn mit einem ‚Räumpaddel‘ ausgestattet ist, am hinteren Ende werden die Äpfel mittels Kettenförderbändern auf einen Hänger geladen und dabei auch noch grob gereinigt. Was die Maschinen nicht erfassen, wird mit einem integrierten Luftgebläse in die nächste Fahrgasse geblasen und dort in der nächsten Runde aufgesammelt. Das Ausdünnen der Fruchtansätze im Juni und die Nachernte erledigen automatische Stammschüttler. Der Bedarf an Arbeitskräften ist gering und Obst für die Saftproduktion kann zum Preis von 12 bis 16 €/Doppelzentner produziert werden. In Deutschland lassen sich bestenfalls für biozertifizierte Äpfel Preise von 20,- bis 28,- €/dt. erreichen.

Bei Bäumen mit starkwachsenden Unterlagen, wie man sie auf Streuobstwiesen findet, ist hingegen weiterhin viel Handarbeit nötig. Wegen des hohen Säure- und Gerbstoffgehaltes wurde das Obst vor allem zur Produktion von Obstwein oder, oft mit Wasser vermischt, für die Herstellung Schwäbischen Mosts genutzt. Ein Jahresverbrauch von 1.000 l Most, aus eigenen Äpfeln in einer lokalen Kelterei hergestellt, war in einem schwäbischen Haushalt durchaus üblich.

Mit der aufkommenden Möglichkeit der Pasteurisation entwickelte sich die gewerbliche Verarbeitung weiter: Süßer Saft konnte jetzt haltbar gemacht und in Flaschen abgefüllt werden. Dadurch entstand ein ganz neuer Markt. Die großen Abfüller im Norden brauchten zusätzliche Obstmengen, die ihnen Keltereien in Süddeutschland per Tanklastzug lieferten. Doch billige Importe von Saftkonzentraten aus der Türkei, dem Iran und später China unterminierten diese Kooperation. Und inzwischen lässt sich auch frischer Saft in großen Mengen billiger in Polen produzieren. Durch die Debatte um den hohen Zuckergehalt von Apfelsaft sinkt außerdem die Nachfrage. Auch der Bedarf an Biomostobst ist begrenzt und lässt sich billiger mit Importen aus dem Ausland decken. Für etwa 80% aller Kundinnen und Kunden geht es beim Einkauf vor allem um den Preis, und gerade Produkte wie Saft werden meist nicht im Fachhandel, sondern beim Discounter gekauft.

Renaissance der Streuobstwiesen?

WiesenObst 4 (c) Manufaktur Jörg Geiger.jpgInzwischen wissen wir nicht nur um die Aromen alter Obstsorten, sondern auch um die Vorteile, die der Anbau in Agroforstsystemen wie Streuobstwiesen für Umwelt und Artenvielfalt hat. Aber nur, wenn sie wirtschaftlich von Nutzen sind, werden sie auch erhalten bleiben. Slowfood Deuschland zählt deshalb zu den Mitinitiatoren des 2016 gegründeten Vereins WiesenObst e.V., dessen Ziel es ist, durch das EU-Siegel für geographischen Ursprungsschutz einen Mehrwert für Produkte zu ermöglichen, die von Streu- bzw. WiesenObst-Flächen in Schwaben stammen.

Die Chancen für Wiesenobst liegen im geschmacklichen Potential und der Vielfalt der Aromen, die für die Herstellung qualitativ hochwertiger, in ihrer Art einmaliger und unverwechselbarer Produkte genutzt werden können. Eines davon ist Schwäbischer Cider, der bereits 2014 bei der Weltmesse für Apfelwein in Spanien den ersten Platz belegt hat.

Ein Text von Marianne Landzettel 

Fotos (c) Manufaktur Jörg Geiger

3. Foto v.o.: Erzeugnisse der Manufaktur Jörg Geiger 

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Wann ist ein Apfel WiesenObst?

'Stücklesbesitzer' müssen nachweisen, dass die vom WiesenObst e.V. aufgestellten Kriterien auf den angemeldeten Flurstücken eingehalten werden. Zu den Kriterien gehören beispielsweise eine Maximalzahl von Obstbäumen/Fläche, aber auch ein Verbot von Glyphosat. Darüber hinaus muss eine Mindestanzahl von Bonuspunkten erfüllt sein, die vor allem besondere Leistungen in Bezug auf Nachhaltigkeit, Naturschutz oder Biodiversität abdecken (inkl. Biozertifizierung als Option). Für zertifiziertes WiesenObst zahlen die bisher teilnehmenden Verarbeiterinnen und Verarbeiter mehr als doppelt so viel wie für ‚normales’ Fallobst von Streuobstwiesen: Auflesen lohnt sich wieder. Aktuell sind bereits über 250 Flächenanmelder mit insgesamt 350 ha im WiesenObst e.V. validiert. In Württemberg gibt es entlang des Albtraufs noch rund 30.000 ha alter ‚Streuobstwiesen‘, die potentiell WiesenObst Flächen werden könnten – wobei (wie immer, wenn es um faire Handelsbeziehungen geht) der Mangel nicht auf der Seite der Produktion liegt, sondern beim fehlenden Markt: Der WiesenObst e.V. sucht dringend weitere Verarbeiterinnen und Verarbeiter. Und ob es Nachfrage nach WiesenObst Produkten und damit eine Zukunft für die Schwäbischen Streuobstwiesen gibt, das liegt an uns Verbraucherinnen und Vebrauchern.

Mehr Informationen finden Sie auf der Webseite >> unter WiesenObst.org.

(1) Zunächst wird ein junger Sämlingsapfel kurz über dem Wurzelballen schräg abgeschnitten. Auf die Schnittstelle wird der Zweig vom Baum der gewünschten Sorte aufgesetzt und mit Bast oder Schnur befestigt. Wenn alles gut geht, fangen die Wurzeln des Sämlings bald an, den aufgesetzten Zweig zu versorgen, der sich dann langsam in Stamm und Krone entwickelt. Gelegentlich kann man bei einem Apfelbaum eine Verdickung unten am sonst geraden Stamm sehen: das ist die Stelle, an der einmal die neue Sorte aufgepfropft oder aufokuliert wurde.

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