Bayerns Bienenrevolution

15.02.2019 - Direkt vor unserer Nase findet ein gewaltiges Artensterben statt. Auf deutschen Äckern werden Insekten, Vögel und viele andere Wildtiere in einem nie gekannten Ausmaß ausgelöscht. Eine wesentliche Schuld daran trägt die industrielle Aufrüstung unserer Landwirtschaft. In Bayern könnte der Volkswille jetzt in einem Gesetz münden, das Naturschutz und Landbewirtschaftung mit einander versöhnt. Slow Food Deutschland gehört zu den Unterstützern dieser Initiative. Ein Bericht von Katharina Heuberger.

Umzug zum Volksbegehren ArtenvielfaltDirekte Demokratie hat im Freistaat eine lange Tradition. Schon in der Revolutionsverfassung von 1919 wurde sie verankert. Doch damit sich der bayerische Bürgerwille tatsächlich Bahn bricht, muss er hohe Hürden überwinden: Erfahrene Menschen müssen zunächst ein Gesetz schreiben und Geldgeber finden, die ihre Initiative unterstützen (Minimum: 500.000 Euro). Dann müssen die Initiatoren geprüfte Unterschriften sammeln, um ein Volksbegehren zu beantragen (mindestens 25.000). Ist dies gelungen, folgt ein Volksbegehren, bei dem mindestens eine Million Menschen (zehn Prozent der Wahlberechtigten) innerhalb von zwei Wochen in ihre Rathäuser gehen müssen, um sich in Listen einzutragen. Sobald diese Hürde genommen wurde, kann der Landtag das eingereichte Gesetz annehmen (meist lehnt er ab). Und schließlich folgt der Volksentscheid, bei dem dann immerhin die Mehrheit der abgegebenen Stimmen reicht.

Historisches Kunststück

Trotz dieser gewaltigen Hürden haben die bayerischen Bürger immer wieder mit vernünftigen Gesetzinitiativen der Politik den Weg gewiesen. So etwa bei dem erfolgreichen Volksbegehren zum Nichtraucherschutz (2009) – oder jetzt beim Volksbegehren Artenvielfalt – Rettet die Bienen! Hier ist den Initiatoren – die kleine ÖDP, Die Grünen, der Landesbund für Vogelschutz und der Bund Naturschutz in Bayern – sogar ein historisches Kunststück gelungen: Sie haben ein wirklich breites, überparteiliches Bündnis von Unterstützern geschmiedet, das von Kirchen, Verbänden und über 170 Organisationen und Unternehmen in alle Teile der Gesellschaft reicht. Und sie haben das beste Ergebnis eines Volksbegehrens in der Geschichte Bayerns eingefahren. 18,4 Prozent der Wahlbürger haben sich für die Initiative mit ihrer Unterschrift stark gemacht, 1,75 Millionen Unterschriften geleistet.

Das Volksbegehren zielt auf eine umfassende Wende beim Naturschutz. Zu seinen wichtigsten Forderungen zählt der deutliche Ausbau der ökologischen Landwirtschaft auf 30 Prozent der Nutzfläche bis 2030, ein Stopp für den Einsatz von Pestiziden auf staatlichen Flächen, die Schaffung eines landesweiten Biotopverbunds, um Wildtieren die Wanderung zwischen Lebensräumen zu ermöglichen sowie mindestens zehn Prozent Blühwiesen im Grünland, auf denen später gemäht und die Artenvielfalt gefördert wird. Und zu Gewässern soll zukünftig ein Abstand von fünf Metern gehalten werden, der nicht beackert, gedüngt oder mit Pestiziden behandelt werden darf – Bayern setzte hier bislang auf die Freiwilligkeit der Grundeigentümer.

Okavango-Delta Mitteleuropas

Den Hintergrund dieser Forderungen bilden dramatische Zahlen. In Bayern sind über die Hälfte aller Bienenarten vom Aussterben bedroht. „Über 70 Prozent der Tagfalterarten sind verschwunden und in den vergangenen drei Jahrzehnten nahezu drei Viertel aller Fluginsekten,“ erläutert Andreas Segerer, Entomologe an der Zoologischen Staatssammlung und einer der wissenschaftlichen Berater des Volksbegehrens. Auch die Hälfte der bekannten und in Bayern heimischen Wildpflanzen ist bedroht – das gleiche gilt für die Zahl der Feldvögel wie Rebhuhn, Feldlerche oder Grauammer. Einer der wesentlichen Ursachen für diesen Verlust der biologischen Vielfalt ist im Wandel der Landwirtschaft zu suchen. Fast die Hälfte der bayerischen Landesfläche wird von Bauern bewirtschaftet. Bauern schufen die besonders artenreiche Kulturlandschaft, die das Land bis noch vor wenigen Jahrzehnten prägte. Lebensräume wie Feuchtwiesen, von denen trillernd Feldlerchen auftsteigen, Stoppeläcker, in denen sich im Winter Rebhühner aufhalten oder blühende Sommerwiesen mit myriaden Insekten, Kräutern und Blumen, die mit ihrem Artenreichtum das vom Menschen geschaffene Okavango-Delta Mitteleuropas bilden.

Davon hat die industrielle aufgerüstete Landwirtschaft unserer Zeit kaum etwas übrig gelassen. Schützende Hecken, Bäume, Feldgehölze wurden abgeräumt, die Landschaft Hektar um Hektar maschinengängig gemacht. Die Massentierhaltung erzeugt tonnenweise Gülle, die im Grünland entsorgt wird und alles Leben versengt – bis aufs fette grüne Gras, das den Tieren zum Futter dient. Auf den Ackerflächen werden sechs bis neun Mal im Jahr Pestizide ausgebracht und alles Leben niedergemacht, was nicht dem Ertrag dient. Die Intensivnutzung des Landes hat dazu geführt, dass ein vormaliges Allerweltstier wie der Feldhamster heute auf der Roten Liste steht. Äcker, auf denen ein paar Ähren nach der Ernte überstehen und die Schutz und Nahrung bieten, gibt es nicht mehr. Der Feldhamster ist ein Opfer des Rationalisierungsdrucks in der Landwirtschaft.

Artenvielfalt gleich Geschmacksvielfalt

Das Volksbegehren Artenvielfalt – Rettet die Bienen! hat in ganz Bayern tausende von freiwilligen Helfern mobilisiert, die sich in lokalen Aktionsbündnissen zusammengeschlossen haben. Rund 5000 sogenannte Rathauslotsen in orangefarbenen Westen oder in Bienenkostümen wiesen den Menschen den Weg in die Rathäuser und organisierten die langen Schlangen vor den Eintragungslokalen. Unter den Helfern waren auch Slow Food Aktivisten. Die Gründe liegen auf der Hand: Auch Slow Food fordert eine Abkehr von der intensiven Landwirtschaft und die Förderung bäuerlicher und handwerklich arbeitender Betriebe. Und auch für Slow Food gilt der Satz: Natürliche Artenvielfalt bedeutet Vielfalt auf den Äckern und Geschmacksvielfalt auf den Tellern.

In den Studien und Berechnungen aus der Wissenschaft, die von den Organisatoren des Volksbegehrens vorgelegt wurden, finden sich viele faktische Belege für solche unmittelbar einleuchtende Zusammenhänge. Ein Beispiel: Das Volksbegehren fordert den Schutz wichtiger Lebensräume für Insekten wie Blühwiesen oder Streuobstwiesen. Dies ist ein Beitrag zum Naturschutz und bewahrt gleichzeitig eine natürliche Geschmacksvielfalt für uns Menschen. Grund: Die überwiegende Mehrheit der heimischen Nutz- und Wildpflanzen ist zur Fortpflanzung auf Insekten angewiesen. Die vom Menschen domestizierte Honigbiene schafft die Bestäubung nicht allein. Studien zeigen, dass Wildbienen und andere Insekten häufig eine noch wichtigere Rolle spielen. Besonders fleißig sind beispielsweise die Weibchen der Gehörnten Mauerbiene. Nur wenige hundert Exemplare reichen aus, um einen Hektar Obstbäume zu bestäuben – im Vergleich zu mehreren zehntausend Arbeiterinnen der Honigbiene. Mehr noch: Wildbienen gelten auch als die Bestäuber, die größere Erträge und eine höhere Geschmacksqualität garantieren. So gelten beispielsweise Hummeln als vorteilhaft bei Nachtschattengewächsen wie beispielsweise Tomaten, Paprika oder Auberginen. Und sie helfen, dass Kühe auf der Weide gesund bleiben und gut verdauen: Mit ihren Füßchen verteilen die Hummelarbeiterinnen Hefen auf den Kräutern, die wichtig für den optimalen Verdauungsgang der Weidetiere sind.

Bienen setzen Söder unter Druck

Wie geht’s jetzt weiter in Bayern? Der Gesetzentwurf des Volksbegehrens muss nun innerhalb der nächsten vier Wochen in den bayerischen Landtag eingebracht werden. Lehnt das Parlament ihn ab, kann der Landtag einen Gegenentwurf vorschlagen, der gemeinsam mit dem Gesetz des Volksbegehrens in einem Volksentscheid zur Wahl gestellt wird. Der enorme Zulauf hat die bayerische Staatsregierung schon jetzt unter Druck gesetzt. Ministerpräsident Markus Söder hat einen Runden Tisch einberufen, dort will er mit allen Gruppierungen einen noch weiterreichenden Vorschlag erarbeiten. Sein Umweltminister Thorsten Glauber hat bereits angekündigt, dass Uferrandstreifen in Bayern zur Pflicht werden. Bei so viel politischem Bieneneifer darf man gespannt sein: Wird Bayern zum Wegbereiter der Bienenrevolution in Deutschland?

Weiterführende Links:

www.volksbegehren-artenvielfalt.de
www.facebook.com/volksbegehrenartenvielfalt

Bild (c) Katharina Heuberger

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