Biodiversität: Erntehilfe für die Hutzeln in Fatschenbrunn
Als Mitglied der Arche-Kommission habe ich den Antrag zur Aufnahme der Hutzeln von den Baumfeldern in Fatschenbrunn betreut. Da ich selbst kleingeschnittenes Obst von meinen Streuobstwiesen im Dörrapparat trockne, möchte ich genauer wissen, wie das traditionelle Dörren ganzer Birnen bei Franz Hümmer im hochgelegenen Steigerwalddorf funktioniert. Mitte Oktober habe ich mich deswegen für zwei Tage zur Mithilfe bei Ernte und Trocknung angemeldet.
Ich treffe zeitgleich mit einem Fernsehteam ein, das einen Bericht über das Dörren für den SWR dreht. Gemeinsam werden wir in die Arbeitsabläufe eingeführt.
Eine Frage der Reife
Franz Hümmer fährt mit seinem Traktor mit uns zu einer Reihe von erntereifen Birnbäumen. Zum Teil stehen imposante, bis zu 300 Jahre alte Bäume noch auf landwirtschaftlich bearbeiteten Ackerflächen. Ein Teil der Äcker wurde inzwischen in Wiesen umgewandelt. Von Anfang September bis Mitte Oktober ist Erntezeit. Der Obstbauer weiß genau, wann welche der insgesamt 30 Sorten reif ist. Zunächst werden die schon heruntergefallenen Birnen aufgesammelt. Unbeschädigte Früchte kommen in den Korb, beschädigte oder angefaulte Früchte werden beiseite geräumt. Dann kommen Hümmers sechs und acht Meter langen Stangen zum Einsatz, an deren Spitze ein Metallhaken geschraubt ist: Sie werden an einem fruchtbehangenen Ast eingehakt und es wird vorsichtig geschüttelt. Nur die reifen Früchte sollen herabfallen. Franz Hümmer achtet darauf, dass nicht zu viele Früchte auf dem Boden liegen. Denn Schäden an den Birnen entstehen vor allem, wenn weitere Früchte auf schon gefallenes Obst treffen. Anschließend sammeln wir das Obst auf. Ich bin erstaunt und begeistert, wie wenige Birnen wir wegen Beschädigungen aussortieren müssen. So arbeiten wir Baum für Baum ab. Jeder Baum wird mit Abstand von wenigen Tagen mehrmals geerntet. Der Vorrat auf dem Hof ist immer so bemessen, dass er in wenigen Tagen in die Dörrkammer wandern kann.
Obst und Ofen bestimmen den Tagesrhythmus
Die Trocknungsanlage, also die Darre, hat Franz Hümmer von seinem Vater übernommen. Dafür wurde in einem Wirtschaftsgebäude auf dem Hof ein etwa drei Meter breiter und zwei Meter tiefer Raum abgemauert. In der Mitte gibt es einen steinernen Heizraum von etwa ein Meter Höhe, der Bereich über dem Ofen wird von einem zieharmonikaförmigen Ofenrohr ausgefüllt, das auf dem Weg in den Schornstein die Restwärme an den Trockenraum abgibt. Experten bezeichnen das heute als Wärmetauscher. Links und rechts gibt es eine Metalltür, dahinter jeweils ein Metallregal zum Einschieben der Horden. Der Ofen wird mit Durchforstungsholz aus dem eigenen Wald geheizt. Etwa alle sechs Stunden schiebt Franz Hümmer einen mannhohen Holzstamm auf die Glut. Die Temperatur im Trockenraum soll zwischen 50 und 60 Grad liegen.
Vor dem Dörren wird das Obst gewaschen und auf Schäden kontrolliert. Im Anschluss wird es auf die „Därrhärrli“ verteilt. Das sind Holzrahmen, die passend zur Größe der Darre zusammen gezimmert wurden und ein Drahtgitter als Boden haben. Die Horden werden zunächst ganz oben in die Darre geschoben, weil es dort am heißesten ist. Sie wandern während dem drei bis sechs Tage dauernden Trocknungsprozess immer weiter nach unten. Die Birnen verfärben sich in der Darre sehr schnell hellbraun und haben bald die weiche Konsistenz eines Bratapfels. Dann färben sie sich immer dunkler, werden schrumpelig und zunehmend fester. Franz Hümmer zieht die Horden, auf denen er fertige Hutzeln vermutet, aus der Darre und lässt sie erkalten. Denn nur bei kalten Birnen kann er die perfekte Konsistenz ertasten. Die Birnen werden sortiert, wobei die noch nicht fertigen zurück in den Trockenraum wandern. Hutzeln müssen einerseits so viel Flüssigkeit verlieren, dass sie nicht verderben, andererseits müssen sie aber auch eine gewisse Saftigkeit behalten, weil sie sonst nicht mehr schmecken.
In der Erntezeit wird Franz Hümmers Tagesrhythmus durch Obst und Ofen bestimmt. Über Nacht sowie im Falle von längeren Abwesenheiten werden die fast fertigen Hutzeln vorsichtshalber aus der Darre gezogen.
Die Hutzeln warten darauf, neu entdeckt zu werden
Die althergebrachte Verwendung für die Hutzeln ist das Hutzelbrot, ein Früchtebrot auf Basis von Roggensauerteig mit Birnenhutzeln und gedörrten Zwetschgen. Traditionell wurden sehr viele Hutzeln an die Lebkuchenbäcker in Nürnberg geliefert. Als Kraftnahrung für zwischendurch war die Hutzel wichtig – heute nennt man so etwas Energieriegel. Nicht zu vergessen ist, dass der Hutzelvorrat viele Bauernfamilien über Hungerwinter gerettet hat.
Franz Hümmer ist guter Hoffnung, dass seine Kinder seine Hutzelleidenschaft weiterleben. Bereits heute helfen sie bei Bedarf im Betrieb mit, und das mit viel Interesse. Zwei Felder hat die Familie neu mit Birnbäumen bepflanzt und allen 30 alten Sorten dort das Überleben gesichert. Zur Zeit sind die Zwischenräume zwischen den Obstbaumreihen Blühstreifen. Franz Hümmer ist optimistisch, dass eines der ältesten Agroforstsysteme, nämlich die Baumfelderkultur, auch in Deutschland wiederentdeckt wird. Die Flächen zwischen den Baumreihen bieten sich für den Anbau von Braugerste, Linsen, Leinen, Hanf, Leindotter oder ähnlichem an.
Der Verkauf der Hutzeln erfolgt überwiegend über den Onlineshop an Kenner und Liebhaber. Ein größer werdender Teil wird auch ab Hof verkauft. Die Einrichtung eines Hofladens ist im Gange.
Besonders in der regionalen Gastronomie und im Tourismus sieht der Obstbauer noch Entwicklungspotential: Er konnte noch keinen Wirt im Steigerwald davon überzeugen, aus der Hutzel Nachtische zu zaubern. Aber auch das kann sich ändern: Kürzlich erst ließ sich der fränkische Fernsehkoch Alexander Herrmann für die Hutzel begeistern. Er will in seiner Kochschau Gerichte mit Hutzeln präsentieren. Auch der Chefkoch des Bundespräsidialamtes im Schloss Bellevue wird den Bundespräsidenten und dessen Staatsgäste mit Hutzeln bekocht. So entstehen hoffentlich neue Rezeptideen und etablieren sich in der modernen regionalen fränkischen Küche.
Text: Gerhard Schneider-Rose