Bodengesundheit: Wir müssen Boden und Pflanze als Einheit begreifen!

17.10.2019 - Weil unsere Böden durch einen oft übermäßigen Einsatz von chemischem Dünger und Monokulturen ausgelaugt und geschädigt sind, lädt die »IG gesunder Boden« im November bereits zum vierten Mal zu einem »Bodentag« mit vielen interessanten Referenten ein. Im Vorfeld der Veranstaltung sprach Ursula Hudson, Vorsitzende von Slow Food Deutschland, mit Franz Rösl, dem Gründer der Interessengemeinschaft.

59_TischgesprächBoden_(c)_BarbaraAssheuer.jpgSlow Food Magazin: Herr Rösl, Sie haben die Interessengemeinschaft gesunder Boden e. V. (IG gesunder Boden) gegründet. Was hat Sie dazu bewegt?

Franz Rösl: Beruflich habe ich mit Tiefbau und Rohstoffen zu tun und leite unseren Familienbetrieb mit Erden- und Kompostierwerken. Jedoch ist die Nähe zur Natur für mich zentral. Mein Interesse geht insbesondere zu den heilkräftigen Wirkungen von Naturstoffen.

Was sind die Ziele der IG gesunder Boden?

Die Humusqualität hat direkte Auswirkungen auf die Gesundheit der Pflanze und auf ihre Immunität. Der gesunde Boden ist die Basis für gesunde Pflanzen. Und diese sind der Ausgangspunkt für gesunde Tiere und Menschen.

Hier begegnen sich Slow Food und die IG gesunder Boden. Wir haben Interesse an guten Lebensmitteln und wir wissen, dass diese nur aus einem gesunden Boden kommen können. Heute sagen manche ja sogar, man brauche den Boden gar nicht mehr. Nährlösung und Licht würden ausreichen.

Obwohl die Wissenschaft noch nicht alles erforscht hat, so weiß man heute um die zentrale Bedeutung der mikrobiellen Zusammenhänge. Sowohl beim Mikrobiom des Menschen als auch beim Mikrobiom der Pflanze und dem des Bodens.

Wie die Kräfte der Natur auf mikrobieller Ebene zusammenspielen, das ist für uns von Slow Food äußerst interessant. Denn hier geht es ja darum, welche Art von Pflanze, Tier und Lebensmittel es eigentlich sein soll. Und wenn man darauf eine Antwort findet, dann führt das zu der Frage, welche Landwirtschaft wir betreiben wollen.

Für die IG gesunder Boden wollen wir nicht nur den fachlichen Austausch über den Anbau und die Herstellung von Lebensmitteln. Es ist uns ein Anliegen, Wissensverbreitung zu unterstützen und zwar dahingehend, dass das Konsumverhalten der Verbraucher und Verbraucherinnen nicht nur aus der Sicht der Ernährung stattfindet, sondern dabei auch der Energieverbrauch betrachtet wird. Beide Komponenten wirken sich auf die Entwicklung der Bodenqualität aus.

Lassen Sie uns den Zusammenhang von Konsum und Energieverbrauch auf die Bodenqualität einmal näher betrachten.

Heute wird ein nennenswerter Anteil der landwirtschaftlichen Flächen für Energiepflanzen genutzt. Das ist problematisch, denn die Flächen werden für die Lebensmittelproduktion benötigt. Hinzu kommt, dass die Biogasanlagen den pflanzlichen Stoffen Kohlenstoff in Form von Methan entziehen. Dieser Kohlenstoff steht nicht mehr zur Verfügung und kommt daher nicht mehr in den Bodenpool zurück. Und das kann sich langfristig negativ auf den Humusgehalt in den Böden auswirken.

Dass die Biogasanlagen Flächen für den Anbau von Lebensmitteln wegnehmen, das haben wir von Slow Food schon immer mit Besorgnis betrachtet. Denn Ackerland steht nicht mehr zur Verfügung, aber es geht ja noch weiter. Man nimmt dem Boden darüber hinaus auch Qualität weg.

Das muss nicht zwangsläufig der Fall sein. Wenn man ein abgestimmtes Bodenbewirtschaftungssystem anwendet, dann kann man das kompensieren. Sonst hat man langfristig tatsächlich einen Verlust an Bodenfruchtbarkeit.

Wie kann das in der Praxis laufen?

Man muss Boden und Pflanze als eine Einheit in sich begreifen. Je gesünder die Pflanze ist, umso weniger sogenannte Pflanzenschutzmittel müssen eingesetzt werden. Ansonsten kann das zu einer hohen Pestizidbelastung im Boden und im Wasser führen. Diese sind dann später häufig in den Lebensmitteln nachweisbar. Wenn also diese Einheit gesund ist, dann funktionieren auch die selbstregulierenden Kräfte der Natur und dann ist die heilkräftige Wirkung der Pflanze auf den Menschen am besten.

Als Freizeitgärtnerin weiß ich, wenn Boden und Pflanze stimmen, dann habe ich keinen Schneckenfraß, dann wachsen die Pflanzen, alles ist gedeihlich und das Gemüse schmeckt gut. Wie kann es wieder gelingen, einen ausgewogenen Boden zu erreichen?

Es ist durchaus möglich, das System Boden und Pflanze wieder zu harmonisieren. Bei einer guten Bodenbewirtschaftung spielen zahlreiche Aspekte eine Rolle. Zentral sind dabei die Ausbalancierung von Nährstoffen und ihre Nutzbarmachung. Bei uns sind die meisten Böden gut mit Nährstoffen versorgt. Sie können aber aufgrund der Ungleichgewichte der mikrobiellen Gemeinschaft im Boden nicht aktiviert werden. Heutzutage werden die Nährstoffe in der Regel isoliert betrachtet. Die Antagonisten, also die Gegenspieler mit ihren jeweiligen Einflüssen, werden hingegen nicht ausreichend berücksichtigt. So kann es sein, dass der Boden zwar genug Zink enthält, aber der Nährstoff aufgrund der hohen Phosphorversorgung nicht genutzt werden kann. Denn Phosphor behindert zum Beispiel die Aufnahme von Zink.

Zink ist für den Menschen ein lebensnotwendiges Spurenelement. Die Weltgesundheitsorganisation geht davon aus, dass inzwischen die Hälfte der Menschen an Zinkmangel leidet. Das hat natürlich gravierende Auswirkungen auf die Gesundheit der Menschen.

Wenn ein Landwirt sagt, mein Boden ist aus dem Gleichgewicht gekommen, was würden Sie ihm raten?

Wenn man sich vor Augen hält, dass man mit einer Handvoll fruchtbaren Boden eine Milliarde Lebewesen in der Hand hält, dann ist der Landwirt der Manager dieser Lebensgemeinschaft. Ich würde daher zunächst zu einer Bodenanalyse raten. Bei einem Überschuss von Nährstoffen wäre die Düngung zu reduzieren und die fehlenden wären zu ergänzen. Dadurch wird die Bodenbiologie aktiver und sicherlich auch die Begeisterung des Landwirts für den Boden steigen.

Kann man sagen, dass konventionelle Landwirtschaft und gesunder Boden nie zusammenpassen?

Wir sagen nicht, die Konventionellen sind die Bösen, die Ökologischen sind die Guten. Denn Interesse an einem gesunden, humusreichen Boden sollte bei jedem Landwirt da sein.

Wenn man weiterhin auf synthetische Pflanzenschutzmittel setzt, muss man sich die Frage stellen, wer das eigentlich auf Dauer verantworten kann. Bleiben wir bei dem derzeitigen Niveau, dann werden in den kommenden Jahren über eine Milliarde Kilogramm an Pestiziden in Deutschland ausgebracht. Hinzu kommen die Importe von Futtermitteln aus genverändertem Soja, die zudem noch stärker mit Pestiziden belastet sind als heimische Pflanzen. Was passiert mit den Stoffen? Die lösen sich ja nicht in Luft auf. Ganz im Gegenteil. Sie bleiben uns teilweise lange erhalten.

Können Sie uns mögliche Folgen näher beschreiben?

Ja, an einem Beispiel eines Betriebs in der Nähe. Im Ackerboden ist der Gehalt an Dieldrin immer noch so hoch, dass dieser Hof für bestimmte Früchte nicht auf biologische Landwirtschaft umstellen darf. Dieldrin ist ein Insektizid und wird bei diesem Betrieb seit 1971 nicht mehr verwendet. Man würde denken, dass es sich nach 48 Jahren abgebaut hat.

Hiermit sind wir jetzt bei den faszinierenden Themen der Pflanzenernährung und dem Bodenbewirtschaftungssystem. Man könnte sagen, es ist egal, wie die Pflanze ernährt wird, so lange sie ausreichend Ertrag bringt. Das ist jedoch ein Trugschluss. Denn hier ist es wie beim Menschen. Bekommt die Pflanze täglich Fast Food, dann fehlen ihr mit der Zeit wichtige Bestandteile. Insbesondere die natürliche Zufuhr von Mikronährstoffen wird unterdrückt. Die Pflanze erhält hier fast nur gelöste Nährstoffe über Wassertransporte. Andere Formen der Ernährung werden unterbunden, zum Beispiel Nährstoffvermittlung über Symbiosen im Boden wie die der Gemeinschaft mit Pilzen. Diese nennt man Mykorrhizen. Sie sind die Verbindungen zwischen Pilzen und Pflanzenwurzeln. Ist diese Lebensgemeinschaft gesund, dann kommen die Nährstoffe und Spurenelemente in einem ausgewogenen Verhältnis in die Pflanze. Funktioniert diese Pflanzenernährung nicht, dann liefert die Pflanze zwar Energie, also Ertrag, aber darüber hinaus kann sie fast nichts leisten. Man kann das als Zwangsernährung der Pflanze bezeichnen.

Lassen Sie uns über das Mikrobiom sprechen und was sich da alles so tut im Zusammenspiel zwischen Boden und Pflanze.

Man weiß noch gar nicht so lange, welche große Bedeutung die zahlreichen Mikronährstoffe haben. Früher hat man nur nach Kohlenhydraten, Eiweißen und Fetten geschaut. Dann hat man die Bedeutung von Vitaminen erkannt, jedoch bald gesehen, dass das auch noch nicht alles ist. So kamen die Spurenelemente ins Spiel, von denen es ca. 80 gibt. Und nun sind wir bei den sekundären Pflanzenstoffen. Das sind erstaunliche Zahlen. Die Wissenschaft kennt über 30 000, von denen man weiß, dass sie eine gewisse Bedeutung für den Organismus des Menschen haben. Über 100 000 werden inzwischen vermutet.

Worum geht es hier also? Es geht darum, wie wir unser System verändern können, damit nicht mehr am kranken Boden, an der kranken Pflanze, am kranken Tier und am kranken Menschen verdient wird. Sondern, wie können wir ein System einführen, ich denke parallel dazu, in dem die gesundheitlichen Vorteile prämiert werden.

Hier schließt sich der Kreis zum Anfang unseres Gesprächs, Pflanzen unter künstlichem Licht und in Nährlösung aufzuziehen und zu glauben, dass eine Nährlösung in der Lage ist, das zu leisten, was ein gesunder Boden im Verhältnis mit der Pflanze leisten kann.

Ja genau, und hier wird es jetzt richtig spannend. Darf ich noch ein weiteres Beispiel nennen?

Da bin ich jetzt neugierig.

Der Weizen steht gut und kann bald geerntet werden. Es kommt ein Pilz, der will den Weizen angreifen. Sind Pflanze und Boden gesund, dann lässt sich der Weizen nicht vom Pilz verstoffwechseln. Die Weizenpflanze sendet Botenstoffe in den Boden hinein. Das funktioniert über sogenannte Wurzelexsudate. Sie lockt damit eine spezifische Mikrobiologie an und die Mikroben stellen wiederum Stoffe her, die die Pflanze in ihrem Organismus verteilt. Sie stärkt damit ihr Immunsystem und der Pilz hat keine Chance mehr. Der Oberbegriff dafür ist Salvestrole. Sie sind auch bekannt als natürlicher Krebsschutz. Das alles funktioniert bei den Pflanzen nur, wenn sie keine Fungizide einsetzen. Man wundert sich also nicht mehr, dass bestimmte Zivilisationskrankheiten auftreten, denn die natürlichen Schutzstoffe der Pflanzen kommen nicht mehr zu uns auf den Menschen.

Es gäbe natürlich noch viele Beispiele. Warum muss heute ein Apfel über 30 Mal in einer Saison gespritzt werden? Früher hat man vielleicht einmal in der Saison gespritzt, im Folgejahr wurde dann schon mehrmals gespritzt und so ging das immer weiter. Diese Stoffe nehmen wir oft mit der Nahrung auf. Dabei ist Ernährung doch etwas sehr Intimes. Das Thema kann man nicht outsourcen und die Verantwortung den Herstellern von Lebensmitteln überlassen. Da haben wir selbst eine eigene Verantwortung. Wir müssen also Systeme finden, in denen wir von der Chemie wegkommen. Das Wissen ist dafür da. Wir können nicht so weitermachen und uns und unsere Kinder möglichen Belastungen aussetzen.

Haben Sie zum Abschluss unseres Gesprächs noch einen Tipp für unsere Leser?

Viele Menschen haben einen Garten. Ich würde gerne darauf einwirken, dass man im Privatbereich keinerlei chemischen Pflanzenschutz und synthetischen Dünger einsetzt. Wirklich komplett darauf verzichtet. Man sollte sich die Freude nicht nehmen lassen, zu sehen, was da plötzlich kommt, scheinbar als Unkraut. Welche Lebensräume da entstehen, welche Insekten und Lebensarten an Tieren sich plötzlich ansammeln.

Und wenn man sich das Wesen der Pflanze genauer anschaut, dann würde man sogar entdecken, dass die Pflanze dem Boden helfen möchte, sich zu regenerieren. Ja, das ist tatsächlich so. Die Pflanze ist ein sehr selbstloses Wesen. Es ist inzwischen wissenschaftlich nachweisbar, warum Pflanzen unter schlechten Bedingungen schlecht wachsen. Wenn die Pflanze in einer Stresssituation ist, dann behält sie nicht alle Energie für sich, um sich zu schützen, wie man annehmen würde, sondern sie gibt einen Großteil ihrer Energie an den Boden ab. Diese Energie wird über die Wurzelspitzen in Form von flüssigen Kohlenstoffen in den Boden abgegeben.

Deswegen ist es so wichtig, dass man den Garten im Herbst nicht für den Winter aufräumt, sondern bis zum Frühjahr alles liegen lässt und eine Winterbegrünung ansät.

Ja, und das gilt natürlich gleichermaßen für die Landwirtschaft. Gepflügte Flächen, die länger als drei Wochen brach liegen, sollten untersagt werden.

Herr Rösl, wir danken Ihnen für das Gespräch.

BODENTAG IM NOVEMBER

Wann: 27.11.2019

Wie viel: 95 Euro inkl. Verpflegung

Wo: Schwarzachtalhalle

Rötzer Str. 2, 92431 Neunburg vorm Wald,

www.ig-gesunder-boden.de

Franz Rösl ist Gründer und erster Vorsitzender der Interessengemeinschaft gesunder Boden. Seit 1997 betreibt er das Kompost- und Erdenwerk Liemehna bei Leipzig. Außerdem ist er Betreiber der Friedrich-Zeche in Regensburg. Dazu kommen Beratung und Zusammenarbeit mit Landwirten zu den Themen Humusaufbau, Kompostierung, Tiergesundheit, Gülleaufbereitung und Verringerung von Nährstoffverlusten.

Bild und Text: Barbara Assheuer

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