End of Fish Day 2019: Weserrundfahrt mit Fischereiexperten in Bremen
In Deutschland wird weit mehr Fisch konsumiert als aus heimischer Selbstversorgung gedeckt werden kann. Rein rechnerisch endete die Eigenversorgung dieses Jahr am 5. April – seither muss der Fisch auf unseren Tellern aus anderen Weltregionen importiert werden. Konkret: 74 Prozent des heimischen Fisch- und Meeresfrüchtekonsums stammt aus Zukäufen aus dem Ausland. Deutschland ist damit einer der größten Abnehmer von Fischereiprodukten auf dem Weltmarkt – und trägt mit seinem Fischhunger erheblich zur ökologischen Ausräumung der Meere bei.
Der Selbstversorgungsgrad Deutschlands (26 Prozent des Gesamtverbrauchs) entspricht 290.000 Tonnen der deutschen Eigenproduktion von Fisch- und Meeresfrüchten, einschließlich der Binnenfischerei und der deutschen Anlandungen im Ausland. Dieser Menge stehen rund 1,1 Millionen Tonnen gegenüber, die importiert werden (74 Prozent des Verbrauchs). Die Statistik über die inländische Nachfrage entstammt dem Jahresbericht zur Fischerei und Fischwirtschaft der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) aus dem Jahr 2018. Slow Food Deutschland, Fair Oceans und Brot für die Welt berechneten auf ihrer Basis erstmals den kalendarischen End of Fish Day 2019: spätestens seit dem 5. April ist Deutschland nicht mehr in der Lage, seinen Fischverbrauch aus eigenen Beständen zu decken.
Um auf die Bedeutung dieses Datums für die Belastung der marinen Ökosysteme hinzuweisen, veranstalteten die Organisationen einen gemeinsamen Aktionstag. Während einer Weserrundfahrt auf der 130 Jahre alten ehemaligen Bremer Hafenfähre „MS Friedrich“ informierten Expertinnen und Experten rund 45 interessierte Teilnehmer aus den anliegenden Slow Food Convivien und dem Netzwerk von Fair Oceans und Brot für die Welt über die Zusammenhänge von Fischkonsum, Meeresökologie und Welternährung.
Die Massenentnahme von Fisch und Meeresfrüchten aus den Weltmeeren hat verheerende ökologische Folgen. Darauf wies die Fischereiexpertin Nina Wolff von Slow Food Deutschland hin. Etwa 90 Millionen Tonnen werden jedes Jahr entnommen, mehr als 33 Prozent der Fischbestände gelten laut Welternährungsorganisation als überfischt. Wolff fordert ein grundlegendes Umsteuern auf politischer Ebene in Europa – aber auch ein Umdenken der Verbraucherinnen und Verbraucher: "Wir müssen endlich zu meeresgesunden Kauf- und Konsumentscheidungen gelangen. Vor dem Hintergrund, dass in der EU noch immer 41 Prozent derBestände überfischt sind, muss auch der Verbraucher einen Beitrag zurNachhaltigkeit leisten. Er hat die Macht der Entscheidung, wie oft undwie viel Fisch auf den Tisch kommt. Bei Slow Food heißt es hierzu:Weniger ist Meer!"
Nachhaltiger Fischkonsum beruht auf einem Grundprinzip: Es darf nur so viel verbraucht werden, dass die Fischbestände auch auf lange Sicht ergiebig sind. Fischbestände sind erneuerbare Ressourcen. Sie füllen sich durch Fortpflanzung von Jahr zu Jahr auf – wenn die Bestände nicht überfischt werden. Mit der Reform der Gemeinsamen Fischereipolitik von 2013 haben sich die EU-Mitgliedstaaten eigentlich rechtlich verpflichtet, die Überfischung in Europa bis zum Jahr 2020 zu beenden. Im laufenden Jahr tritt zudem die Pflicht in Kraft, alle getätigten Fänge auch mit an Land zu bringen. Rückwürfe, d.h. die Praxis, unerwünschte Fänge auf See zu entsorgen, müssten damit bis auf wenige Ausnahmen der Vergangenheit angehören. 2019 könnte also das Jahr werden, in dem die Nachhaltigkeitswende in der europäischen Fischerei vollendet wird. Davon sind die Europäerinnen und Europäer aber noch weit entfernt, da – meist aus wirtschaftlichen Gründen – viel zu viele Ausnahmen von den Einzelstaaten genehmigt werden.
Was nachhaltige Fischerei in der Praxis bedeutet, erläuterte Uwe Sturm, Koordinator des Direktvermarktungsprojekts „www.fischvomkutter.de": „Ein gesundes Meer vor unserer Haustür ist die Grundlage. Deshalb initiierten wir gemeinsam mit den Küstenfischern, dem NABU, dem Thünen-Institut, der Vereinigung zur Würdigung traditioneller Segelschifffahrt und Küstenkultur und den Fischwirtschaftsgemeinden ein Projekt zu umweltschonenden Fangtechniken, um Meeresvögel und Schweinswale zu schützen.“ In den Augen von vielen industriellen Lebensmittelproduzentinnen und -produzenten, Verbänden und Ministerien sei der handwerkliche Fischfang von Dorsch, Hering, Scholle, Flunder, Kliesche, Makrele und Steinbutt offensichtlich nur eine unbedeutende kommerzielle Nische. Die Initiative Fisch vom Kutter habe eine andere Perspektive und sehe den Fisch eher als Lebensmittel zum Essen und für den Genuss, als materialistische Ware.
Sturm wies darauf hin, dass nur die kleinen Betriebe in der Lage seien, umweltverträglich und nachhaltig in der Ostsee zu fischen. Aus seiner Sicht muss die industrielle Fischerei in der Ostsee daher eingeschränkt und die Direktvermarktung noch stärker unterstützt werden, nicht nur finanziell, sondern auch durch die Entwicklung von Strukturen. Sturm: „Es braucht dezentrale Verarbeitungsräume, Kühlmöglichkeiten vor Ort, Sozialräume usw., statt Ferienhäuser am Hafen, um Fisch regional, saisonal, fair und nachhaltig anzubieten.
Die Weserrundfahrt auf der MS Friedrich führte entlang des größten europäischen Fischmehlterminals. Umfang und Bedeutung des Fischereigewerbes in Deutschland wurden den Teilnehmenden anschaulich vor Augen geführt. Sebastian Buschmann referierte zu den Auswirkungen der illegalen Fischerei weltweit und wies auf die Menschenrechtsverletzungen (bis hin zur Sklaverei) auf industriellen Fangtrawlern hin. Abhilfe böte eine bessere Rückverfolgbarkeit von Fischereiprodukten, um illegale Produkte in unseren Supermärkten auszuschließen.
Zur Stärkung der Gäste war ein Gläschenbuffet angerichtet. Es gab Sylter Royal auf Spinatguacamole, Scholle Ceviche, Rote-Bete mit Ziegenkäse, eingelegte Rüben mit Mozarella und Wildkräutern von Marko Seibold. Das Buffet wurde geliefert von Marius Ries vom Restaurant Canova.
Text: Katharina Heuberger
Bild: (c) Uwe Sturm