Hausschlachtung: wie in alten Zeiten
Alles ist bereit. In den beiden Schweinekesseln dampft das heiße Wasser. Die Metzger haben ihre fast knöchellangen weißen Plastikschürzen angelegt. Die Messer sind geschärft. Auch ich bin bereit, habe mich innerlich gewappnet für das, was da auf mich zukommen mag. Noch nie bin ich dabei gewesen, wenn ein Tier geschlachtet wurde. Entsprechend mulmig ist das Bauchgefühl. Doch ich bin ja keine Vegetarierin, sondern esse auch gerne mal ein Stück Fleisch. Da muss man das aushalten können, sage ich mir. Und beruhige mich mit dem Gedanken, dass eine Hausschlachtung hier im Freilandmuseum Wackershofen in der Region Hohenlohe sicherlich eine andere Nummer ist als in einem großen Schlachthof den Leuten bei der Arbeit zuzusehen.
Trotzdem überwiegt ein kleines bisschen die Erleichterung, als klar wird, dass nur die drei Metzger beim Töten des Schweins dabei sind. „Auch die meisten Landwirte schauen nicht zu, wenn eines ihrer Tiere getötet wird“, sagt Rudolf Bühler. Die Sau, die im benachbarten Stall nichtsahnend ihr Schicksal erwartet, stammt aus einer seiner Schweineherden – und auch er bleibt draußen. Dabei ist Bühler mit den Tieren so vertraut wie kaum jemand sonst. Noch Anfang der 1980er Jahre galt das Schwäbisch-Hällische Landschwein als fast ausgestorben. Magere Fleischrassen hatten die robusten, aber zum Fettansatz neigenden Tiere vom Markt verdrängt. Bühler gründete mit einigen anderen Hohenloher Bauern und den letzten sieben verbliebenen Sauen 1986 die Züchtervereinigung Schwäbisch-Hällisches Schwein und sicherte der ältesten Schweinerasse Deutschlands damit das Überleben. Heute gilt das Fleisch wieder als Spezialität.
Richtig Schwein gehabt
Die Stalltür öffnet sich, einer der Metzger trägt einen Edelstahleimer mit frischem Blut heraus. Die erstaunlich hellrote Flüssigkeit muss nun mehr als zehn Minuten geschlagen werden, damit das Blut nicht gerinnt und klumpt. Sonst kann nämlich später keine Blutwurst gemacht werden, deren Hauptbestandteil der Eimerinhalt sein wird. Kein lautes Gequieke war zu hören vor dem Ende des Schweinelebens, ein gutes Zeichen. Die Sau wurde von dem Stromstoß überrascht, mit dem die Metzger sie betäubten, um dann schnell und gezielt den Entblutungsschnitt zu setzen. Auch Anita Idel ist zufrieden. Die Tierärztin, die Slow Food als Mitglied der Arche-Kommission vertritt, engagiert sich nicht nur hier und heute für einen möglichst guten Tierschutz. „Eine Hausschlachtung kann uns eben auch heute zeigen, dass und wie stressfreies Betäuben und Töten möglich ist. Wenn die beteiligten Menschen zugewandt sind, dann ist auch das Tier entspannt. Zudem ist ihm ein Transport erspart geblieben. Das langfristige Ziel muss doch sein, nur noch Fleisch zu transportieren und nicht lebende Tiere – und wenn, dann zur Schlachtung in kleinen Gruppen und nur über kurze Entfernungen“.
Vier starke Männer müssen ran, um die etwa 130 Kilogramm schwere Sau vom Stall in einen hölzernen Trog zu schaffen. Dort wird sie mit Brühpech, einem pulverförmigen Kiefernharz, bestreut und dann mit heißem Wasser aus dem Schweinekessel übergossen. Die Kombination sorgt dafür, dass die Borsten gut abgeschabt werden können. Nach der ersten groben Bearbeitung wird das Tier vom Trog auf ein Holzgestell gelegt. Mit scharfen Messern werden die Überreste noch abrasiert, ganz hartnäckige Borsten schließlich abgeflämmt. Das Schwäbisch-Hällische Schwein, normalerweise gut zu erkennen an der charakteristischen dunklen Färbung im Kopf-Schulter-Bereich als auch an Hüften und Hinterteil, liegt jetzt hell und rosig da. Denn pigmentiert ist nur die oberste Hautschicht, die beim Abschaben mit verloren geht.
Die drei Metzgerkollegen arbeiten schnell. Mit geübten Schnitten wird der Kopf vom Hals abgetrennt. Dann geht es an die Hinterfüße, sie werden so vorbereitet, dass das Tier an ihnen in das Nagelholz eines sogenannten Galgens aufgehängt werden kann. Jetzt kann das Ausweiden beginnen, eine für Laien eher gewöhnungsbedürftige Angelegenheit. Ein kräftiger Schnitt schlitzt das Schwein einmal längs auf, das Innere liegt frei. Der noch gefüllte, unglaublich lang geschlängelte Darm kommt in eine Schüssel, es folgen Galle, Leber, Herz, Lunge und Nieren. Ein Teil aus dem Zwerchfell wird als Trichinenprobe für den Veterinär zur Seite gelegt – wenn es etwas zu finden gibt, dann in diesem extrem gut durchbluteten Stück. Zum Schluss greift ein Metzger zum Spaltbeil und teilt die Sau exakt entlang der Wirbelsäule in zwei Hälften. Kaum zu glauben, dass das Tier vor einer knappen Stunde noch gelebt hat und vor einem halben Tag noch auf der Wiese herumlief.
Zerlegung
Routiniert wird das Fleisch nun zerlegt: in Unter- und Oberschale, Hüftstück, Schweinehals und -rücken, Bauchspeck und Filet, Rippchen, Koteletts und Schnitzel. Auch für Metzgermeister Philipp Brauch, in seiner Familie immerhin in achter Generation in diesem Beruf, ist so eine Hausschlachtung etwas Besonderes. Bei der üblichen Arbeit im Schlachthof sind die Arbeitsbereiche viel stärker zergliedert. Dass ein Tier von einem Metzger komplett zerlegt und verarbeitet wird, kommt hier nicht vor.
Warmfleischverarbeitung
Der junge Mann hat es aber trotzdem drauf. Während draußen im heißen Wasser das Kesselfleisch - bestehend aus Herz, Nieren, Zunge, Schwanz, Rüssel, einigen fetten Fleischstücken und den beiden Hälften des Schweinskopfs - vor sich hin kocht, bereitet er schon alles fürs Warmwursten vor. Zwei Stunden, nachdem die Sau ihr Leben gelassen hat, ist ihr Fleisch immer noch leicht warm: Optimale Voraussetzungen für eine gute Wurst, denn das im warmen Muskelfleisch vorkommende natürliche Phosphat muss dann nicht extra zugegeben werden. Reichlich Gewürze aber kommen trotzdem rein. Dann wandert die Wurstmasse aus der Füllmaschine in den Naturdarm und bald schlängeln sich meterlange Leber-, Blut- und Bratwürste über den Tisch, die noch in handliche Portionen abgebunden werden.
Alles in allem war mein erstes Schlachterlebnis deutlich unblutiger als gedacht und gut auszuhalten. Was aber auch wohl mit dem offenen Gebäude zu tun hat, in dem das Schwein verarbeitet wurde. In einem geschlossenen Raum wären die Gerüche vermutlich viel intensiver gewesen. Vielleicht hätte mein Magen dann doch den ein oder anderen Purzelbaum geschlagen. So aber hatte er Ruhe – bis zum Abend, als die Schlachteplatte mit dem Kesselfleisch, den gekochten Blut- und Leberwürsten sowie den Bratwürstchen mit Sauerkraut auf den Tisch kommt. Angeblich hat mal ein Hohenloher Metzger gesagt: „Beim Vespern musst du die Füße weit auseinander stellen, damit der Magen durchhängen kann.“ Nach dem Essen weiß ich, was er damit gemeint hat.
Arche-Passagier Schwäbisch-Hällisches Landschwein
Die Landwirte aus der Region Hohenlohe im Nordosten Baden-Württembergs gelten traditionell als gute Schweinezüchter. Das Schwäbisch-Hällische Landschwein entstand schon Anfang des 19. Jahrhunderts durch die Kreuzung des dortigen Landschweins mit dem chinesischen Jinhua-Schwein. Die Rasse ist fruchtbar, genügsam und robust. Durch das stabile Fußwerk sind die Schweine auch gut für die Weidehaltung geeignet. Allen guten Eigenschaften zum Trotz verlor die Rasse ab Ende der 1950er immer mehr an Bedeutung, weil sie als zu fett galt. Es ist der Privatinitiative einiger Hohenloher Bauern zu verdanken, dass das Schwäbisch-Hällische Landschwein nicht ausgestorben ist: Heute ist das Herdbuch der ältesten deutschen Schweinerasse wieder auf 350 Zuchtsauen angewachsen. Seit 2014 ist das Schwäbisch-Hällische Landschwein Passagier der Slow Food Arche des Geschmacks.
In der Bäuerlichen Erzeugergemeinschaft Schwäbisch Hall (BESH), in der rund 1.500 Landwirte zusammengeschlossen sind, züchten und mästen viele die reinrassigen Landschweine oder aber Tiere, die mit Pietrain-Ebern – einem reinen Fleischschwein – gekreuzt sind. Die BESH ist nach eigenen Angaben diesen Weg gegangen, um den Geschmacksvorlieben der Verbraucher entgegen zu kommen: Vor der dicken Fettschicht auf dem Braten oder dem entsprechend marmorierten Fleisch der Schwäbisch-Hällischen schreckten einfach noch immer viele Kunden zurück. Etwa 70 Prozent des als „Schwäbisch-Hällisches Qualitätsschweinefleisch“ vermarkteten Angebots stammt von solchen Kreuzungen, der Rest von reinrassigen Tieren. Nur mit diesem Kompromiss, so die BESH, könne die alte Rasse erhalten werden – und der Landwirt auch Geld verdienen. Als Archepassagiere gelten aber nur die reinrassigen Schweine.
Text: Birgit Schumacher