Landwirtschaft mit Zukunft: Rinderzüchter Helmut Querhammer im Interview
Slow Food Deutschland: Wir freuen uns, dass Sie Slow Food auch dieses Jahr wieder mit dem Traktor bei der „Wir haben es satt!“-Demo am 18. Januar in Berlin begleiten. Sie sind seit den Anfängen vor 10 Jahren dabei, was ist Ihre Bilanz? Was hat sich getan in einem Jahrzehnt, an welchen Stellen gibt es aus Ihrer Sicht Verbesserungen, an welchen gibt es Verschlechterungen?
Helmut Querhammer: Für kleinbäuerliche Betriebe und den ökologischen Landbau in Brandenburg sind die politischen Entwicklungen im Agrarsektor im letzten Jahrzehnt als Stillstand oder gar Verschlechterung wahrzunehmen, was damit zusammenhängt, dass wir keine Grüne Landwirtschaftsministerin mehr haben, sondern ein CDU geführtes Bundeslandwirtschaftsministerium. Die negativen Auswirkungen für Landwirt*innen hängen einerseits mit der wirtschaftlichen Lage zusammen, denn durch die Niedrigzinspolitik wird das Geld in Ackerland angelegt weshalb die Preise für Ackerland extrem angestiegen sind. Die Chance für kleine Betriebe, Land zu kaufen, ist damit extrem gering. Stattdessen sehen wir die Intensivierung großer Betriebe, indem Flächen zusammengelegt und Megabetriebe geschaffen werden. Dadurch, dass es keine Kappung der EU-Agrarförderung für Großbetriebe gibt und die Direktzahlungen nach Hektar gezahlt werden, verstetigt sich das Modell der intensiven Landwirtschaft und begünstigt das Sterben kleinbäuerlicher Betriebe. Kleinen Betrieben wird einfach das Land weg gepachtet oder gekauft, oft von Investoren, die nicht mal aus dem Agrarsektor kommen. Betriebsneugründungen haben da erst recht keine Chance. Als weitere negative Entwicklung hat die Landkonzentration auch zum anhaltenden Anstieg der Massentierhaltung geführt.
Was dagegen Verbesserungen in der Landwirtschaft angeht, so nehme ich ein größeres Bewusstsein von Verbraucher*innen gegenüber Produktqualität wahr. Sicher haben die „Wir haben es satt!“-Demo, die Anschiebe-Arbeit von Frau Künast vor vielen Jahren und aktuell auch öffentliche Debatten und Demonstrationen zum Thema Klimawandel und Artenvielfalt dazu beigetragen, das Verbraucherbewusstsein im Hinblick auf Themen wie Regionalität und den Produktionsprozess zu schärfen, denn regionale und ökologische Lebensmittel werden verstärkt nachgefragt.
Slow Food Deutschland: Sie sind Rinderzüchter und führen einen Familienbetrieb. Erzählen Sie uns mehr darüber, wie sie wirtschaften und wo sie persönlich Problemstellen im System sehen.
Helmut Querhammer: Unseren Betrieb gibt es seit 1992 und wir vermarkten unsere Rinder ausschließlich via Direktvermarktung ab Hof. Menschen aus unserem Ort, aus Berlin und Potsdam, die Regionalität und Qualität unserer Produkte zu schätzen wissen, kaufen auf Vorbestellung alle Teile des Rindes. Wir schlachten bis auf die heißen Sommermonate Juni, Juli und August, ganzjährig. Da wir die Zerlegung mit unserem Fleischer selbst durchführen, können wir auch besondere Wünsche der Kund*innen eingehen und somit ambitionierten Esser*innen und Köch*innen weniger bekannte Teile vom Rind anbieten.
Bei uns landet eigentlich fast nichts im Abfall, denn auch Teile wie der Kopf, Innereien und andere Schlachtabfälle werden verarbeitet und zum Beispiel als Hundefutter verkauft. Wenn ich mir jetzt noch eine Sache wünschen könnte, wäre es, die Rinder auf der Weide schlachten zu können um sie nicht transportieren zu müssen. Wir haben zwar eine Zulassung für die Weideschlachtung, aber es gibt die Auflage, dass das Tier nach der Betäubung und dem ausbluten innerhalb von 60 Minuten in ein Schlachthaus gebracht werden muss. Hier in Brandenburg gibt es aber fast keine handwerklichen Betriebe mehr und so schaffen wir es auch nicht mit dem getöteten Tier binnen 60 Minuten im nächsten Schlachthof zu sein. Also müssen die Tiere direkt in einem Schlachthof geschlachtet werden statt in einem für das Tier stressfreieren Umfeld auf der Weide. Daher wäre ein eigenes Schlachthaus neben dem vorhandenen Zerlegeraum ein zukünftiges Ziel.
Slow Food Deutschland: Was ist folglich Ihre persönliche Forderung an die verschiedenen Stellen der Politik – also nationale Ebene und EU-Ebene vor allem im Zuge der Reform der Gemeinsamen EU-Agrarpolitik (GAP)?
Helmut Querhammer: Schon vor fünf Jahren hatten wir auf eine nachhaltige Reform der GAP gehofft, die aber leider gescheitert ist und unverändert weitergeführt wurde. So wurde leider kaum Umschichtung der EU-Agrargelder auf die zweite Säule vorgenommen, so dass nach wie vor die intensive, konventionelle Landwirtschaft belohnt wird. Der Ökolandbau bekommt zwar seine Ausgleichszahlung, aber damit sich die Landwirtschaft tatsächlich nachhaltig verändert müsste viel mehr Geld umgeschichtet und an Umwelt- und Klimaleistungen gebunden werden, statt pro Hektar vergeben zu werden. Nur durch eine Umschichtung der Agrarförderungen könnte gewährleistet werden, dass Geld auch dem Erhalt und dem Wiederaufbau ländlicher Strukturen sowie dem Schutz der Artenvielfalt dient. Die EU ist mit der Vergabe dieser enormen Fördersummen die Hauptstellschraube für eine Agrarwende im Sinne von Mensch, Tier und Umwelt, denn damit könnten Anreize geschaffen werden zur Umstellung auf ökologisch nachhaltige und klimafreundliche Anbauweisen. So lange die Landwirt*innen nicht dafür honoriert werden, auf Methoden umzustellen, die auch für die Umwelt und die Tiere in diesem System besser sind, werden sie auch nicht umstellen.
Was Deutschland angeht ist es so, dass in jedem Bundesland unterschiedlich mit den EU-Fördergeldern gearbeitet wird. Die Bundesländer haben durchaus einen Handlungsspielraum mit dem sie entscheiden, ob sie bio oder konventionell und ob sie kleinbäuerliche oder industrielle Strukturen unterstützen. Durch Einführung oder Weglassen der Umstellungsprämie für Bio-Betriebe können sich die Bundesländer dazu entscheiden, den ökologischen Landbau zu fördern oder eben nicht. In Brandenburg haben wir aktuell die Chance auf Veränderung und hoffen durch unseren Grünen Landwirtschaftsminister auf die Förderung des ökologischen Landbaus und Naturschutzes. Beides war zuvor in Brandenburg massiv ausgebremst worden. Die neue Landesregierung ist ein Hoffnungsschimmer für die dringend notwendige Veränderung.
Auf nationaler Ebene hätte die Bundesregierung auch einen enormen Handlungsspielraum, das Lebensmittelsystem zukunftsfähiger zu machen und in der Landwirtschaft auf umweltverträglichere Methoden zu setzen. Zum Beispiel im Rahmen des aktuell diskutierten Klimagesetzes könnten auch konkret Vorgaben für die Landwirtschaft gemacht werden, um den CO2-Ausstoß in diesem Sektor zu reduzieren. Neben CO2-Reduktionsmaßnahmen könnten Förderungen von (Dauer)-Grünland, Beweidungsprojekten und moorschonender Stauhaltung auch dafür sorgen, dass mehr CO2 gespeichert und das Klima so geschont wird.
Slow Food Deutschland: Es sind nicht nur die Landwirt*innen und Lebensmittelerzeuger*innen, die sich für ein ökologisch und sozial verträgliches Lebensmittelsystem einsetzen, die aktuell politische Forderungen stellen. Aktuell gibt es auch viele Proteste von Bäuer*innen, die sich des Arbeitsmehraufwands gegen politisch auferlegte erhöhte Umwelt- und Klimaauflagen stellen, auch wenn es dafür finanzielle Förderungen gäbe. Was würden Sie Ihren Kolleg*innen entgegnen?
Helmut Querhammer: Auch bei den konventionell arbeitenden Landwirt*innen scheint an vielen Stellen aktuell die Schmerzgrenze erreicht zu sein. Sie gehen auf die Straße, weil sie sich ungerecht behandelt fühlen, angeben, nicht gefragt worden zu sein. Ich persönlich kann das nicht nachvollziehen, denn der Bauernverband ist die größte Lobby der Landwirte. Fehlkommunikation scheint am Bauernverband zu liegen, wenn er seine Mitglieder nicht vernünftig aufklärt. Außerdem muss man einfach klarstellen: Wenn die durch die agrarindustrielle Lebensmittelproduktion verursachte Schädigung der Umwelt in die Produkte eingepreist werden würde, wären diese konventionellen Lebensmittel teurer als ökologisch produzierte Produkte. Aktuell hat die konventionelle Landwirtschaft einfach noch das Glück, dass noch nicht ausreichend Verbraucher*innen das gemerkt haben. In der Öffentlichkeit ist noch nicht weit genug verbreitet, dass die Allgemeinheit die Probleme bezahlt, die durch den Antibiotika-Einsatz, die Wasserverunreinigung durch zu hohen Nitratgehalt, den Verlust der Bodenqualität, der Überdüngung und Massentierhaltung, in der Landwirtschaft entstehen. Die Allgemeinheit zahlt auch die Agrarförderung für die Betriebe, die eben genau so klima- und umweltschädlich arbeiten. Es ist ein politisches Defizit, diese Art der Produktion durch Steuergelder zu honorieren. Und das sind eben Punkte, die politisch umgekehrt werden müssen. Dazu müsste der tatsächliche Preis für das Produkt an der Ladenkasse gezahlt werden. Den Kolleg*innen, die sich also gerade über Umwelt- und Klimaauflagen beschweren, würde ich also raten, aufzuhören, der Öffentlichkeit ein Stück weit etwas vorzumachen, denn hier wird sich das Bewusstsein verschärfen und immer mehr Verbraucher*innen werden fordern, dass ihre Steuergelder für ein ressourcenerhaltendes und nicht zerstörendes System eingesetzt werden. Wir müssen also ganz klar sagen, dass der Landwirt nur Gelder für Leistungen für die Gesellschaft bekommt. Das passt vielen Landwirt*innen aktuell nicht in das Bild, aber nur so kann es gehen.
Slow Food Deutschland: Sie machen vor, dass Lebensmittelerzeugung auch zukunftsfähig geht und mit artgerechter Tierhaltung zu vereinbaren ist. Unter welchen Voraussetzungen lohnt sich diese Art zu wirtschaften nicht nur für Mensch, Tier und Umwelt sondern auch für das Portemonnaie? Welche Akteur*innen spielen hier eine Rolle?
Der Handel spielt eine ganz maßgebliche Rolle dabei, Rahmenbedingungen für eine enkeltaugliche Landwirtschaft zu schaffen, denn aktuell bietet er dem Verbraucher ein anonymes Produkt, von dem man als Käufer*in nicht transparent nachvollziehen kann, wo das Lebensmittel herstammt oder wie es erzeugt wurde. Deshalb sehe ist die Lebensmittelindustrie hier in der Verantwortung, etwas zu verändern. Da die Industrie weiterhin versuchen wird, die Rohstoffe so günstig wie möglich einzukaufen, müssen wir die Erzeuger*innen und Lebensmittelhandwerker*innen dazu bringen, einen höheren Preis für ihr Produkt zu fordern. Die Industrie versucht ganz hart den Preis zu diktieren, deshalb sind wir froh uns durch die Direktvermarktung nicht in dieser Abhängigkeit zu befinden. Die Direktvermarktung hat viele Vorteile, wir erzielen nicht nur einen fairen Preis, sondern haben auch einen direkten Kontakt zu unseren Kunden. Der direkte Kontakt zu unseren Kund*innen ist uns wichtig, denn so können wir erklären, was wir machen und warum ein Produkt einen bestimmten Preis hat. Umgekehrt wollen die Konsument*innen, die bei uns kaufen, auch Fragen stellen und wissen, wo das Produkt herkommt. Die Informationen zu unserer Tierhaltung nehmen sie mit nach Hause. Oft kommt noch ein Dank oder eine Rezeptanregung zurück, die wir gern an unsere Kunden weitergeben.
Mehr zur „Wir haben es satt!“-Demo am 18. Januar 2020, bei der Herr Querhammer und Slow Food als gemeinsamer Block auftreten: https://www.wir-haben-es-satt.de/
Termin: https://www.slowfood.de/termine/termine_ueberregional/wir-haben-es-satt-demo
Mehr Informationen zum Hof von Familie Querhammer: https://www.doeberitzerheide-galloways.de/.