Nachruf: Mann der Herzensangelegenheiten
Die Anrufe kamen regelmäßig. Immer wieder das sanfte Timbre und der norddeutsche Akzent, immer wieder Ideen, Anregungen und Streicheleinheiten für die Redaktion. Burchard Bösche, damals noch Leiter der von ihm acht Jahre lang geführten Hamburger Slow-Food-Gruppe, begleitete das gerade gegründete Slow Food Magazin mit viel Sympathie und mit ebenso vielen Themenvorschlägen. Er empfahl gute Autor*innen und schrieb selbst Artikel. Obwohl Burchard großer Italien- und Sardinien-Freund war, verfasste er eine pointierte Kritik zum Niedergang des Parmaschinkens und zur teilweise unseriösen italienischen Lebensmittelproduktion („Wer hat in Italien schon jemals Kühe grasen sehen?“). Er löste damit die erste große Kontroverse in unserem Magazin aus.
Burchard portraitierte den Genießer Otto von Bismarck, dessen kulinarische Leidenschaft die Hamburger Gruppe mit einem historischen Neun-Gänge-Menü ehrte. Da saßen dann die erzkonservative Bismarck-Gesellschaft und die alternativ gestrickten Slow-Food-Mitglieder an der gemeinsamen Tafel. Er schrieb auch über die Auferstehung des Holsteiner Lederkäses in einer Minimolkerei. Oder über den Niedergang der Esskultur in Intercity-Zügen. Obwohl er ein durch und durch sanfter und freundlicher Mensch war, konnte er sich ziemlich aufregen. Ohne zu poltern. Sein Artikel über den Niedergang des Speisewagens begann so: „Vorsicht an der Bahnsteigkante, zurücktreten und den Magen abschalten. Die Deutsche Bahn stellt den Speisewagen endgültig aufs Abstellgleis.“ Burchard schlug vor, als Überschrift die Mailadresse des Bahnchefs zu nehmen. So geschah es: „Hartmut.Mehdorn@bku.db.de“.
Wenn der Hahn um 3 Uhr kräht
Die Bahngastronomie war ihm als langjähriger Vorstandssekretär der Gewerkschaft „Nahrung, Genuss, Gaststätten“ eine Herzenssache. Aber Burchard hatte viele Herzenssachen. Es war ganz schön eng in seiner Pumpstation. Der Dreiklang Kühe, Milch und Käse gehörte schon von Kindesbeinen an zu seinem Leben und seinen Vorlieben. Dass er die Käsestraße Schleswig-Holstein und den Käsemarkt am Kiekeberg mit aus der Taufe hob, war die logische Konsequenz. Eine andere Leidenschaft waren Hühner und Äpfel. In seinen 2018 erschienenen autobiographischen Notizen* kann man nachlesen, wie er während seiner Frankfurter Jahre die ersten Hühner geschenkt bekam, aber keinen Hühnerstall hatte. Er musste sie erst einmal im Keller notquartieren. Doch wenn der blasenschwache Nachbar frühmorgens um 3 Uhr auf die Toilette ging und das Licht einschaltete, begrüßte der Hahn prompt die aufgehende Sonne mit lautstarkem Krähen. Also musste Burchard den Keller mit Kleiderlumpen schalldicht ausstaffieren. Undenkbar, dass er den Hahn geschlachtet hätte. Seine Hühner hießen Otto, Emma und Luzie und sie starben an Altersschwäche oder eines natürlichen Tods durch Fuchs und Habicht. Aber er war beileibe kein Vegetarier. Im Gegenteil: Wer Ziegenkäse kaufe, müsse auch Zickleinfleisch kaufen, postulierte er. Denn Ziegenmilch gebe es nur, wenn jedes Jahr Zicklein geboren werden. Damit diese nicht – wie vielerorts praktiziert – gleich nach der Geburt totgeschlagen und auf den Müll geworfen werden, müsse man Zicklein nachfragen und aufessen. Burchard kannte die harte Realität auf den Höfen.
Burchard Bösche, Jahrgang 1946, ist selbst auf einem Bauernhof in Martfeld-Loge in der niedersächsischen Grafschaft Hoya aufgewachsen, mit eigener Milch, Kühen, Schweinen, mit Butterkuchen, Frigeo-Brause, täglichen Bratkartoffeln und jeder Menge Arbeit. Und mit seiner berühmten Tante Lotti, die ihm kulinarisch den Weg wies. Ihr zur Erinnerung hat er die Homepage www.tantelotti.de eingerichtet, Burchard war ein sehr verbindlicher Mensch. Man fängt seine Autobiographie an zu lesen und gehört sofort zur Familie. Das einfache Leben, die einfachen Genüsse. „Schmier‘ die Butter nicht so dick, sonst weinen die Kühe“, sagt die Mutter. Und der kleine Burchard stromert in den Kuhstall, um den Kühen in die Augen zu schauen. Da waren die Tränen schon getrocknet. Der Hit: reife Erdbeeren mit frischer Milch. Oder Buttermilch mit Brausepulver.
Explodierende Flaschen und unterirdischer Käse
Burchard erzählt in seinem Buch, was ihm und seiner Frau Anne Moderegger beim Essen und Trinken widerfahren ist. In Italien, Griechenland, Belgien, der Türkei, Namibia, Südafrika, Russland und immer wieder in Hamburg, Niedersachsen und Schleswig-Holstein. 73 Jahre Bauernsohn, Gemüsehändler, Lehrer, Gewerkschaftssekretär, Rechtsanwalt, Genossenschaftsvorstand, Museumsleiter, Italienreisender, Slow-Food-Aktivist und kulinarisch experimentierfreudiger Selbermacher. Die Spanne reicht von explodierenden Sektflaschen bei der Eigenproduktion bis zur Aufzucht eines Hahns, der verrückt nach Parmaschinken war. Immer wieder berichtete Burchard der Slow-Food-Redaktion von tollkühnen Käsevergrabungen. Er setzte selbstgemachten Frischkäse in eine Holzkiste und verbuddelte sie im Garten, um Rottenkäse zu produzieren. Nachdem Wochen später die Hühner vom ausgegrabenen Käse eine Kostprobe bei guter Gesundheit verzehrt hatten, aß er den unterirdisch gereiften Käse mit großem Genuss. Als Apfelmaniacs pachteten Burchard und Anne eine Apfelplantage mit 400 Bäumen und produzierten Apfelsaft und Apfelwein mit einer italienischen Spindelpresse. Burchard hielt auch versuchsweise eigene Schweine auf einem Topinamburfeld und ermöglichte „ein außergewöhnliches Schweineleben“. Er soll sogar ein wenig Schnaps gebrannt haben. Womöglich nicht ganz legal.
Italienische Sommerfeste
Seine Italienreisen waren eine weitere Passion. Politisch links gestrickt, aber ohne ideologische Scheuklappen, besuchten Burchard und Anne immer wieder die legendären Sommerfeste der kommunistischen Partei. Burchard war jedes Mal erstaunt, dass bei den politischen Reden die Plätze dünn besetzt waren, während beim anschließenden Essen kein Stuhl frei blieb.
Burchard Bösche war ein warmherziger, allen zugewandter Mensch, sagt Barbara Retzlaff, stellvertretende Leiterin des Hamburger Conviviums und langjährige Weggefährtin. Die frühere Slow-Food-Bundesvorsitzende Friederike Klatt beschreibt ihn so: Burchard sei ein Mensch „von übersprudelnden Ideen gewesen, unkonventionell, aktiv und konstruktiv, oft rührend mit seinen Passionen, und er hat sich selbst nie zu wichtig genommen“. Burchard ist im Oktober im Alter von 73 Jahren an einer Herzkrankheit gestorben. Die Slow-Food-Bewegung trauert um einen liebenswürdigen Förderer und Aktivisten.
* Burchard Bösche: Das Fest ist ein Essen – das Essen ist ein Fest. Autobiografische Notizen über Essen und Trinken. Kunststiftung Heinrich Stegemann.