Nationale Strategie zur Reduzierung der Lebensmittelverschwendung setzt nicht an der Wurzel des Problems an
Die Lebensmittelverschwendung zu reduzieren, entsprechend ehrgeizige Ziele mit effektiven Maßnahmen zu etablieren und sie konsequent umzusetzen, ist in Zeiten von Klimawandel, Ressourcenknappheit sowie weltweit 795 Millionen hungernder Menschen dringlicher denn je. Da darf und sollte die Messlatte hoch hängen. Deshalb begrüßt Slow Food Deutschland zunächst einmal den Schritt der Bundeslandwirtschaftsministerin, eine Strategie zur Vermeidung von Verschwendung entlang der Wertschöpfungskette vorzustellen. Doch mit diesem vermeintlichen Vorstoß in seiner jetzigen Form macht Frau Klöckner eines deutlich: Sie ist nicht gewillt, das eigentliche Problem anzugehen, nämlich die systemimmanente Verschwendung des industriellen Lebensmittelsystems, das auf Menge, jederzeitige Verfügbarkeit und hohen Warenumschlag setzt. Wollte man die Verschwendung wirklich zurückfahren, müsste es um diese Schaltstellen des Verschwendungssystems gehen. Dazu würde es dann auch gehören, die Lebensmittelindustrie durch klare und rechtlich verbindliche Vorgaben in die Pflicht zu nehmen. Doch um Lebensmittelverschwendung im Keim zu ersticken, bedarf es wesentlich mehr: einer Strategie mit klaren Richtlinien, die auch die Ur-Produktion von Lebensmitteln und Rohstoffen auf dem Acker mit in die Verschwendungsberechnungen einbezieht. Bisher gleicht das Vorhaben des Ministeriums nicht mehr als einem unvollständigen Arbeitsplan für die Erarbeitung von Umsetzungsstrategien, die auf Freiwilligkeit basieren sollen.
Verschwendung und Überproduktion sind im industriellen Lebensmittelsystem fest verankert
Die Hauptproblematik der verabschiedeten Strategie ist, dass wir mit ihr Zeit und Ressourcen darauf verwenden, das bestehende 'kranke' System zu optimieren anstatt unser System zukunftsfähig umzugestalten. Und da liegt für Slow Food das grundlegende Problem, denn aktuell ist die Verschwendung systemimmanent, das heißt im industriellen System fest einprogrammiert, beginnend bei der Aussaat auf dem Acker bis hin zur Entsorgung. Warum? Weil wir unsere Landwirte zur Überproduktion nötigen, damit sie am Ende des Tages die mit dem Handel vereinbarten Mengen liefern können, wodurch tonnenweise Lebensmittel verschwendet werden. Die vergeudeten Ressourcen wie Energie, Wasser und Boden nehmen wir, meist nicht wissend, in Kauf. In der Praxis sieht das Ganze so aus: Lebensmittelerzeuger, die Obst und Gemüse an den Einzelhandel abgeben, müssen diesen mit einer vertraglich festen Menge von Ware der oberen Handelsklasse beliefern. Die Lebensmittel, die nicht den Qualitätsanforderungen von Form, Größe und Aussehen entsprechen, etwa krumm, zu klein oder zu dünn gewachsen sind und damit schlichtweg dem natürlichen Lauf der Dinge entsprechen, müssen aussortiert werden. Da der Landwirt mit Ertragsschwankungen rechnen, während der Saison aber lieferfähig sein muss, produziert er zwangsläufig mehr als nötig. So bauen Landwirte oft gut bis zu 30% mehr an, um ihre Lieferverträge einhalten zu können, Die so bereits bei der Planung und Aussaat entstehenden Vorernteverluste werden in der Strategie allerdings völlig außer Acht gelassen. Die vorprogrammierte und damit systemimmanente Überproduktion wird zwar erwähnt, aber nicht angegangen. Aber was sagt die Ministerin eigentlich zu der Menge, die der Landwirt nicht verkaufen kann? Sie kehrt sie unter den Teppich und meint, dass die Landwirtschaft gar keine Lebensmittel verschwende. Für Slow Food ist dies ein klares Zeichen dafür, dass Frau Klöckner eher geneigt ist, die Interessen der Industrie zu vertreten als diese Realität anzuerkennen. Was wir brauchen, ist aber kein Zaudern sondern mutiges und entschiedenes politisches Handeln, das diese Art der Verschwendung mittel- und langfristig nicht mehr zulässt.
Mit dem Problem der Vorernteverluste ist es aber nicht getan, die Verschwendung zieht sich weiter durch die gesamte Lebensmittelwertschöpfungskette und ist dort ebenfalls systemisch verankert, vom Acker, über den Transport bis hin zum Konsum in Privathaushalten, öffentlichen Einrichtungen und der Gastronomie. Auf Verbraucherebene begünstigen zum Beispiel zu niedrige Preise, verlockende Sonderangebote und die Rund um die Uhr Verfügbarkeit von Lebensmitteln Verschwendung und haben wesentlich zur fehlenden Lebensmittelwertschätzung geführt.
Systemwechsel und Bewusstseinswechsel dringend nötig
Zur nachhaltigen Bekämpfung von Lebensmittelverschwendung braucht es dringend einen ganzheitlichen Systemwechsel in der Produktion und im Handel sowie einen Bewusstseinswandel beim Verbraucher, denn Überproduktion und Überangebot sind die Wurzel des Verschwendungsproblems. Nehmen wir den Spargel als Beispiel: Dieser wird palettenweise in den Supermarkt geliefert und zwar in einer solchen Menge, dass jeder Verbraucher auch am Samstag kurz vor Ladenschluss noch Spargel kaufen könnte. Der Rest wird ‚entsorgt’. Die Ministerin schlägt vor, diese Reste künftig zu verschenken. Ist das eine gute Idee? Ja selbstverständlich! Löst es das Problem? Leider nein, denn das Problem liegt weiterhin im zu Viel: In den westlichen Ländern produzieren wir schon lange dauerhaft einen Kalorienüberschuss; mit dem Verschenken an der einen Stelle ist es also nicht getan, wenn an anderer dafür dann ein neuer Überschuss aufkommt. Außerdem ist es keineswegs ein nachhaltiger Ansatz, denn durch diesen Überschuss werden wertvolle Ressourcen und Energie verbraucht. Es ist nicht mehr als ein Schräubchen drehen, ein ‚quick fix‘ und löst das Problem nicht langfristig. Ziel muss es sein die Verschwendung gar nicht erst aufkommen zu lassen.
Braucht es also eine nationale Strategie zur Vermeidung von Lebensmittelverschwendung? Die Antwort auf diese Frage ist ganz klar ja, allerdings muss diese ganzheitlich sein, und alle Akteure müssen zur Umsetzung gewillt sein, an einem Strang zu ziehen. So lange allein Profitmaximierung im Vordergrund steht und die negativen Folgen der externen Kosten dieses industriellen Lebensmittelsystems nicht in die Bepreisung der Lebensmittel einbezogen werden, kann Lebensmittelverschwendung im besten Fall punktuell bekämpft werden, aber in Punkt Zukunftsfähigkeit kommen wir keinen Schritt weiter. Und, Frau Klöckner, der Verbraucher allein wird es nicht richten, vor allem nicht, in dem er, wie empfohlen, mehr dem ‚Magen’ und weniger der Tonne zuführt.
Bild (c) Friedemann Lätsch