Neues Vorstandsmitglied: Vier Fragen an Fischereiexpertin Dr. Nina Wolff
Slow Food: Du bist seit Kurzem im Vorstand von Slow Food Deutschland. Herzlichen Glückwunsch! Warum engagierst du dich für Slow Food und was bewegt dich im Kontext des aktuellen Lebensmittelsystems am Meisten?
Nina Wolff: Ich bin sehr glücklich, dabei mithelfen zu dürfen, dass Slow Food Deutschland einen starken Beitrag zur Verbesserung unseres Lebensmittelsystems leistet. Wir beobachten aufmerksam die Bereitschaft der Menschen, alte Konsummuster und Essgewohnheiten, Produktionsweisen und Gastronomiekonzepte zugunsten von Ernährungstrends aufzugeben. Nicht alles, was da passiert, ist zukunftstauglich, aber es gibt auch starke Tendenzen einer verantwortungsvolleren Produktion und Ernährung. Vieles ist in Bewegung, und das ist eine große Chance! Unsere Aufgabe besteht darin, in dieser Dynamik möglichst viele Produzenten, Verarbeiter, Händler, Gastronomen, Verbraucher und politische Entscheidungsträger auf einen übergeordneten Systemwandel einzuschwören: Mit Genuss und Gewinn nur zu verbinden, was gut, sauber und fair für die Welt ist. Gemeinsam mit noch viel größerer Entschlossenheit Ja zu sagen zu allem, was die Welt – und uns selbst – heilt. Konsequent zu alledem nein zu sagen, was die Klima- und Biodiversitätskrise verschärft, was Gesundheit und Würde von Mensch und Tier angreift.
Slow Food: Das Lebensmittelsystem ist längst globalisiert und international verwoben. Wo siehst du die größten Stellschrauben, um das Lebensmittelsystem jenseits nationaler Grenzen, grundlegend verändern zu können?
Nina Wolff: Auf internationaler Ebene gibt es im Wesentlichen drei Stellschrauben in sehr komplexen Politikfeldern, an denen Slow Food bereits intensiv arbeitet, und die auch in Zukunft die Agenda bestimmen werden: Da ist zum einen die Gemeinsame Agrarpolitik der Europäischen Union, die unter Einbeziehung einer Vielzahl umwelt-, klima- und gesundheitspolitischer Aspekte zu einer integrierten Ernährungspolitik umgestaltet werden muss. Alles ist Ernährung – diese Erkenntnis muss in der EU-Politik greifen, denn dort entstehen die meisten Vorschriften. Ein zweiter wichtiger Themenkomplex ist der internationale Handel mit Agrarprodukten und Lebensmitteln. Besorgniserregend ist das kürzlich abgeschlossene EU-Mercosur-Abkommen, das im Falle seiner Ratifizierung aus Slow-Food-Sicht den Import von Billigfleisch begünstigen und die Klimakrise verschlimmern würde – um nur zwei Probleme zu nennen. Der dritte Bereich, dem wir uns als weltweite Bewegung noch verstärkt zuwenden sollten, sind demographische Verschiebungen mit veränderten Verbrauchererwartungen in Wachstumsmärkten, insbesondere in Asien. Hier können wir mit unserer Bildungsarbeit dazu beitragen, dass sich Fehlentwicklungen und Auswüchse bei Erzeugung, Importen und beim Konsum nicht wiederholen.
Slow Food: Welche Themenbereiche möchtest du im Zuge deiner Vorstandsarbeit gerne im Verein vorantreiben?
Nina Wolff: Als Vorstand wollen wir die biokulturelle Vielfalt als Konzept stärken und kommunizieren. Es ist wichtig, die Arbeit von Slow Food Deutschland in den größeren Zusammenhang von biologischer ebenso wie von kultureller Vielfalt zu stellen. Die Nutzung der großen Vielfalt unserer regionalen Erzeugnisse in allen nur denkbaren Variationen ist ein Beitrag zur Erhaltung von Tier- und Pflanzenarten, menschlichen Gemeinschaften und regionalen Küchen – vor allem also auch ein sinnlicher Hochgenuss. Das ist wichtig, denn Essen darf und soll weiterhin Vergnügen bereiten. Das Thema Gesundheit werden wir als nächstes großes Jahresthema angehen. Darüber hinaus werden uns die tierischen Produkte – Milch und Fleischerzeugnisse – beschäftigen. Die Fischerei bleibt ein wichtiges Thema, das Wasser wird es noch. Als Juristin interessiert mich zudem die Frage, wie wir das Recht auf Nahrung im Sinne der von uns geforderten Ernährungswende weiterentwickeln und ausgestalten können.
Slow Food: Welche vereinsinterne Entwicklung liegt dir für die nächsten drei Jahre besonders am Herzen?
Nina Wolff: Mir ist ganz besonders wichtig, dass wir uns verstärkt der Jugend zuwenden. Junge Menschen, das sind die Esser, Ko-Produzenten und Entscheider der Zukunft: Da hat Slow Food gesellschaftliche Verantwortung. An erster Stelle steht eine Konsolidierung der Slow Food Youth Akademie, die sich zu einem richtigen Vorzeige-Projekt entwickelt hat. Ein weiteres Anliegen besteht darin, auch unsere andere Bildungsarbeit auszuweiten und attraktiver zu gestalten, damit noch viel mehr junge Familien und junge Leute in der Ausbildung zu uns stoßen und erfahren, wie lebenswert und genussreich eine Ernährungswelt à la Slow Food ist.