Pestizid-Einsatz in Brasilien: Neue Regierung stellt Industrie vor Mensch, Tier und Umwelt
Das agrarindustrielle Ernährungssystem fußt auf dem großflächigen Anbau von Monokulturen. Für dieses System stellen Pestizide eine tragende, fest eingeplante Säule dar. Ihre negativen Folgen für Mensch, Tier und Umwelt sind dabei allerdings so immens wie ihr Nutzen für die Industrie. Sie führen zum Verlust von Biodiversität, reduzieren Bodenfruchtbarkeit sowie die Wasserqualität und ziehen vor allem für Feldarbeiter gesundheitliche Schäden nach sich. Dies spüren insbesondere die Menschen im Globalen Süden. In Lateinamerika ist der Pestizid-Einsatz sehr hoch. Brasilien setzt weltweit am meisten Pestizide ein, einige davon sind wegen ihrer Gefahren in der EU nicht zugelassen. Während deutsche Unternehmen wie Bayer und BASF davon profitieren, bleiben die Gesundheit von Mensch und Tier sowie die Unversehrtheit der Ökosysteme und Qualität der natürlichen Ressourcen wie Wasser und Boden auf der Strecke.
In seinem Vortrag im Münchner Zukunftssalon legte Alan Tygel anschaulich dar, welche Machtkonzentration sich durch das Agrarbusiness aus Großgrundbesitzern in Brasilien ergibt. So lagen 2006 insgesamt 44% des gesamten Landes in der Hand von lediglich 0,9 Prozent Besitzern, 2017 waren es schon 47,5%. Besorgniserregend sei vor allem, dass die Zulassung von Ackergiften unter der Regierung Bolsonaro rapide zugenommen habe: 152 Neuzulassungen an Pestiziden in den ersten 100 Tagen von seiner Amtszeit, das sind im Schnitt 1,5 Neuzulassungen von Pestiziden pro Tag.
Durch die Zahlen wird deutlich, dass die Interessen der Industrie, die politische Agenda der aktuellen Regierung Brasiliens bestimmt. Bekräftigt werde dies laut Tygel durch die Tatsache, dass der Erfolg der Ernährungsräte bei der Bekämpfung des Hungers, die neben einer guten Verteilung der Nahrungsmittel auch auf Agrarökologie setzen, verschwiegen wird.Der brasilianische Ernährungsrat (CONSEA) wurde am 1. Tag von Bolsonaros Amtszeit abgeschafft. Diese Entwicklung geht allerdings mit fatalen Folgen für das Wohlbefinden von Mensch, Tier und Natur einher. Laut einer von Tygel vorgestellten Studie mit 545 Arbeitern im Bereich Früchte für den Export zeigten sich bei 30,7 Prozent der Probanden Vergiftungserscheinungen, bei 5 – 19 Prozent Leberveränderungen, bei 30% ein verändertes Blutbild, bei 38 Prozent mehr Krebserkrankungen als im Durchschnitt, bei 40% mehr Kindstote als im Durchschnitt und insgesamt gab es einen Todesfall. Das Bild, das durch Pestizide und ähnliche Ackergifte gezeichnet wird, ist ein Dunkles. Slow Food kritisiert dabei vor allem, dass die internationalen Entscheidungsträger zu wenig unternehmen, um der Industrie Einhalt zu gebieten, obgleich die negativen Auswirkungen dieser schädlichen Substanzen öffentlich bekannt sind. Ganz im Gegenteil, im Namen des wirtschaftlichen Wachstums springen sie eher auf den Zug auf. Alan Tygel, Slow Food Deutschland und Misereor waren sich bei der Veranstaltung einig, dass das Grundproblem in der zu starken industriellen Lobby im Bereich der Landwirtschaft, Pestiziden, Saatgut, Viehzucht, Futtermitteln und Antibiotika liegt. Für uns ein Grund mehr, das Engagement im Bereich Agrarökologie zu konsolidieren und das Wissen um pestizidfreie Alternativen zu verbreiten. Unsere politische Forderung dagegen lautet, das Wohlsein von Mensch und das Gleichgewicht der Ökosysteme nicht an die Industrie auszuverkaufen. Dazu muss das Lebensmittelsystem an den Wurzeln erneuert und umgebaut werden. Zukunftstauglichkeit und Gesundheit müssen die politische Agenda setzen, nicht wirtschaftliches Wachstum und die Interessen der Industrie.
Lesetipp: Advancing Together. Ein Jahr Bayer-Monsanto: eine kritische Bilanz, Broschüre von Misereor: >> LINK
Bild: (c) Anita Hauck