Slow Food Youth Akademie: Drei Teilnehmende berichten über ihre Erfahrungen

19.11.2019 - Sie haben entweder beruflich mit Lebensmitteln zu tun oder engagieren sich in ihrer Freizeit für gutes und nachhaltig erzeugtes Essen. Und sie wollten mehr wissen und dazu lernen: 28 junge Frauen und Männer hatten bei der diesjährigen Slow Food Youth Akademie dazu die Gelegenheit. Die Gruppe traf sich von März bis Oktober monatlich einmal für ein intensives Wochenende, an wechselnden Orten und mit wechselnden Themen: Mal ging es ums Tierwohl, mal um Getreide und Bodenfruchtbarkeit, mal stand eine Reise zum Europaparlament nach Brüssel auf dem Programm. Drei Teilnehmer erzählen von ihren Erfahrungen, Eindrücken und Einstellungen.

Carla Ulrich (c) Nele Janßen.JPGCarla Ulrich ist 23 Jahre alt, studiert Sozialwissenschaften in Berlin und arbeitet als Programmkuratorin bei der re:publica, einem großen Festival zu den Themen Digitalisierung, Kultur & Gesellschaft.

Was hat dich dazu gebracht, dich für die Slow Food Youth Akademie zu bewerben?

Ich bin durch einen Facebook-Post auf die Akademie gestoßen und war sofort begeistert. Es klang einerseits nach einer Menge Spaß und andererseits nach einer tiefgründigen, facettenreichen Auseinandersetzung mit unserem Lebensmittelsystem. Das Konzept, jeweils ein Wochenende wegzufahren und voll und ganz in ein Thema einzutauchen, hat mir extrem gut gefallen.

Welches Themenwochenende hat dir am besten gefallen und warum?

Inhaltlich fand ich das Wochenende „Globaler Süden, Globaler Handel“ sehr spannend, bei dem wir uns intensiv mit der wechselseitigen Verantwortung von Handel und Verbraucher*innen auseinandergesetzt haben. Aber auch der Termin zur Europäischen Agrarpolitik war sehr interessant, hier hat sich der Kreis dann (größtenteils) geschlossen. Abgesehen davon haben mich viele Momente berührt, von denen ich schon vorher vermutete, dass sie einprägsam sein würden: der Schlachthof, das Fleischwerk, aber auch der Besuch bei einem Demeter-Hof und die „Lobby-Tour“ in Brüssel.

Was denkst Du: Wird sich die Zeit auf Dein Leben und Deine berufliche Arbeit auswirken?

Das Akademie-Jahr hat mir auf vielen verschiedenen Ebenen umwerfende, bittere und ermunternde Erkenntnisse gebracht. Vor allem war es sehr bewegend zu sehen, mit welcher Leidenschaft viele Menschen in ihrem jeweiligen Bereich und Handlungsfeld unermüdlich für ein besseres Ernährungssystem kämpfen – auch wenn es sich manchmal wie ein Tropfen auf dem heißen Stein anfühlen mag. Die Akademie hat mich noch mehr dazu motiviert, diese Menschen und ihre Alternativen zu finden und zu unterstützen.

Ich arbeite derzeit nicht direkt im Lebensmittelbereich, sondern bei der Gesellschaftskonferenz re:publica. Als große Plattform zieht sie jedes Jahr Tausende Besucher*innen an und erzeugt eine starke Medienresonanz. Darum kann ich dort gut dazu beitragen, die Brücke zur Öffentlichkeit zu schlagen und das Thema Ernährungssouveränität und Zugang zu Lebensmitteln auf die Bühne zu bringen.

Wie viel Verantwortung trägt jeder einzelne für eine nachhaltige Lebensmittelwirtschaft? Und welche Verantwortung hat die Politik?

Es ist ein Wechselspiel: Die Wirtschaft wartet auf Signale der Verbraucher*innen; die Verbraucher*innen warten auf Maßnahmen der Politik; die Politik braucht viel Zeit, um Änderungen herbeizuführen, denn Demokratie bedeutet komplexe Entscheidungsprozesse und das ist auch richtig so. In meinen Augen kann ein positiver Wandel sich erst entfalten und stabilisieren, wenn wir kooperieren und kollektiv auf das Ziel einer nachhaltigen Gesellschaft hinarbeiten.

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Die 30jährige Eva Schüchner arbeitet derzeit in Teilzeit in einem vegetarischen Streetfood-Ladenlokal in Köln.

(c) Eva Schüchner.jpegWas hat dich dazu gebracht, dich für die Slow Food Youth Akademie zu bewerben?

Ich habe ursprünglich Kulturmanagement und Theaterwissenschaften studiert – und irgendwann gemerkt: Sobald ich frei habe, beschäftige ich mich mit Lebensmitteln, Rezepten und Kochen. Zusätzlich zu meinen Nebenjobs in der Gastronomie habe ich versucht, möglichst viele Erfahrungen bei verschiedenen Köch*innen in unterschiedlichen Gastronomiekonzepten zu sammeln, unter anderem war ich für ein halbes Jahr in der Schweiz. Dort bin ich sehr vielen nachhaltig arbeitenden Produzent*innen begegnet, die auch die Slow-Food-Idee vertraten. Als ich dann im Januar mit Slow Food Youth auf der „Wir haben es satt“ - Demo in Berlin war, haben mich ehemalige Akademieteilnehmer*innen mit ihren begeisterten Erzählungen angesteckt.

Welches Themenwochenende hat dir am besten gefallen und warum?

Für mich gab es eigentlich zwei Highlights: Zum einen war es unser Auslands-Wochenende in Brüssel, das den EU-Apparat greifbarer gemacht und sich auch mit der Lobby-Arbeit beschäftigt hat. Spannend war hier auch der Austausch mit dem grünen Agrarpolitiker Martin Häusling, der bereits seit zehn Jahren im Europaparlament sitzt. Zum anderen war das Wochenende hochinteressant, als Edeka Südwest unser Gastgeber war. Es war bereichernd, im direkten Austausch mit einem konventionellen Handelsunternehmen zu sein und dessen Unternehmensstruktur und Nachhaltigkeitsarbeit kennenzulernen. Besonders toll fand ich die Diskussion zum Thema Ernährungssouveränität mit diversen Akteuren unterschiedlicher Initiativen und Edeka Südwest.

Was denkst Du: Wird sich die Zeit auf Dein Leben und Deine berufliche Arbeit auswirken?

Es ist mir noch klarer geworden, dass ich neben meiner Arbeit in der Küche weiter in Richtung Ernährungsberatung oder -bildung gehen möchte. Ich würde gerne eine vermittelnde Position zwischen nachhaltig arbeitenden Produzent*innen und Konsument*innen einnehmen. Die Akademie hat enorm viel Input gegeben, der mir zudem hilft, fundierter zu argumentieren.

Wie viel Verantwortung trägt jeder einzelne für eine nachhaltige Lebensmittelwirtschaft? Und welche Verantwortung hat die Politik?

Auf der politischen Ebene fände ich es wichtig, dass Subventionen anders verteilt und eine ökologische Landwirtschaft stärker gefördert wird. Außerdem sollten Konsument*innen besser aufgeklärt werden, zum Beispiel über klare transparente Informationen auf der Verpackung von Lebensmitteln und nicht über eine Vielzahl von Labeln, die nur zusätzlich verwirren. Auch eine Ernährungsbildung in Schulen ist meines Erachtens dringend notwendig. Auf der persönlichen Ebene wäre es schön, wenn Menschen bewusster mit Lebensmitteln umgehen und versuchen, einen direkten Kontakt zu lokalen Produzent*innen aufzubauen. Mehr Wertschätzung kann ich einem Lebensmittel nur geben, wenn ich weiß wo und unter welchen Umständen es entstanden ist.

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Nikolai Wystrychowski, 31 Jahre alt, ist hauptberuflich Psychologe in einer Unternehmensberatung. In seiner Freizeit koordiniert er unter anderem die „Schokofahrt“: Nachhaltig angebauter und fair gehandelter Kakao, mit dem Segelschiff emissionsfrei aus der Karibik nach Europa verschifft und dann in Amsterdam zu feiner Schokolade verarbeitet, wird von Privatleuten per Fahrrad in die Zielstädte transportiert.

Nikolai Wystrychowski_(c) Philippa Koslar.jpgWas hat dich dazu gebracht, dich für die Slow Food Youth Akademie zu bewerben?

Ich bin schon seit vier oder fünf Jahren Mitglied bei Slow Food und über zwei Freundinnen, die Ökotrophologie studierten, dorthin gekommen. Allerdings war ich nicht wirklich aktiv. Erst über die Schokofahrt bin ich näher an die Slow Food Youth rangerückt. Das Programm der Akademie fand ich sehr interessant. Konsumenten und Produzenten miteinander zu verbinden, das ist für mich die spannendste Seite. Nur so können wir die Anonymität des Konsums auflösen und wieder zu einer wahren Wertschätzung von Lebensmitteln kommen.

Welches Themenwochenende hat dir am besten gefallen und warum?

Es war ja ein unglaublich reiches Angebot mit sehr vielen Eindrücken. Aber meiner Ansicht nach war das Wochenende in Brüssel am besten, weil es die darüber liegende politische Ebene deutlich gemacht hat. Der Brüsseler Kosmos hat mich nicht abgeschreckt, sondern ich fühle mich damit jetzt vertrauter und verbundener. Wir haben erlebt, dass die Leute auf einer internationalen Ebene konstruktiv zusammenarbeiten, da wird das Veränderungspotential greifbar.

Was denkst Du: Wird sich die Zeit auf Dein Leben und Deine berufliche Arbeit auswirken?

Bei mir als Psychologen liegt das Food-Thema vielleicht nicht ganz so nahe. Aber ich habe schon häufig Genuss-Übungen als Form der Achtsamkeit gemacht und rücke jetzt auch bei Teambuilding-Veranstaltungen das Mittagessen mehr in den Blick. Am spannendsten ist für mich aber der Gemeinschaftsaspekt – das gemeinsame Erleben von Dingen ist ganz wichtig. Sei es bei den Wochenenden der Akademie, in den Projekten der solidarischen Landwirtschaft oder bei der Arbeit.

Wie viel Verantwortung trägt jeder einzelne für eine nachhaltige Lebensmittelwirtschaft? Und welche Verantwortung hat die Politik?

Diese Fragen beschäftigen mich sehr. Quasi jeder in Deutschland muss sich klar machen, dass er selbst bei einem moderaten Konsum zu den Privilegierten dieser Welt gehört, eine gewisse Demut ist da angebracht. Aus meiner Sicht sind die Schlüsselfragen: Was verstehe ich unter einem guten Leben, wie gehe ich mit Zeit um, wie mit den Ressourcen? Letztlich liegt es bei uns, einzeln und gemeinsam, Antworten und auch Gleichgesinnte zu finden. Die Politik kann vielleicht den Rahmen vorgeben, aber Gemeinschaften können motivieren, bewegen und gestalten. Veränderung kommt von uns selbst.

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