Wir müssen die Biodiversität jetzt schützen, um die Zukunft von morgen zu sichern
Verdrängung der Tier- und Artenvielfalt durch die Lebensmittelindustrie
Aus dem aktuellen Bericht des IPBES geht hervor, dass wir nicht nur durch den Klimawandel, sondern auch durch Biodiversitätsverlust in eine Sackgasse steuern - beides verursacht durch uns Menschen. Von den geschätzt acht Millionen Tier- und Pflanzenarten weltweit seien rund eine Million vom Aussterben bedroht. Laut IPBES-Bericht wurden drei Viertel der Naturräume an Land vom Menschen bereits erheblich verändert, in den Meeren zwei Drittel. Ein bedeutender Grund ist unter anderem die Ausweitung von Agrarflächen: Mehr als ein Drittel der Landnutzung der Welt und fast 75 Prozent der Süßwasserressourcen werden heute für die Landwirtschaft, Tierhaltung oder Fischerei genutzt.
Das industrielle Lebensmittelsystem forderte allein im Lebensmittelbereich die Existenz unendlich vieler Nutztierrassen und Kulturpflanzen. Sie wurden marginalisiert, weil ihr Anbau vergleichsweise arbeits- oder kostenintensiver ist. Derzeit droht 17 Prozent der weltweiten Nutztier-Vielfalt das Aus, das entspricht 1.458 Rassen. Das Beispiel des Apfels bestätigt, dass das industrielle Lebensmittelsystem die Vielfalt verdrängt: Von mehr als 30.000 Apfelsorten weltweit werden lediglich 25 Sorten im Erwerbsobstbau kultiviert und nur sieben davon regelmäßig im Handel angeboten. Ein anderes Beispiel: Im Mittelmeer sind durch die Ausbeutung der Meere fast 90% der Fischbestände überfischt, die Vielfalt der Fischarten und marinen Ökosysteme damit drastisch gefährdet.
Genetische Vielfalt von zentraler Bedeutung für die Zukunft unseres Planeten
Seit den Anfängen der Organisation macht sich Slow Food mit dem internationalen Projekt Arche des Geschmacks für den Erhalt der biologischen Vielfalt stark, denn Biodiversitätsverlust bedeutet, dass wir kulturelle und genetische Vielfalt verlieren, vor allem Letztere ist allerdings unsere Lebensgrundlage und notwendig für die Ernährungssicherung. Laut IPBES-Bericht sind „Biodiversität und der Beitrag der Natur zum Menschen unser gemeinsames Erbe und das wichtigste lebenserhaltende "Sicherheitsnetz" der Menschheit“. Hinzu kommt, dass in der Natur alles miteinander verwoben ist, und so führt der Verlust bestimmter Arten langfristig zum Kollaps von Ökosystemen, die auf sie angewiesen sind. Wie sähe zum Beispiel eine Zukunft ohne Bienen aus? Bienen und andere Bestäuber sind unverzichtbar für die Erzeugung unserer Nahrungsmittel: Sie bestäuben die meisten Wild- und Kulturpflanzen und sind somit auch verantwortlich für die Erzeugung von rund einem Drittel unserer Nahrungsmittel. Die fehlende Bestäubung durch Bienen und andere Insekten wird die Ernährungssicherung daher künftig unweigerlich erschweren.
Weckruf oder Business as usual?
Beängstigend ist vor allem, dass der neue Bericht des IPBES nicht der Erste seiner Art ist. Zahlen zum Verlust der biologischen Vielfalt sind aus verschiedenen Quellen bekannt und eine ähnliche globale Bestandsaufnahme war zuletzt vor 14 Jahren präsentiert worden. Bekannt sind außerdem nationale Studien, wie in Deutschland die Krefelder Studie zum Insektensterben. Im Jahr 2016 führte Slow Food zum Beispiel auch die internationale Kampagne Earth Heart mit dem Slogan „Die biologische Vielfalt bewahren - den Planeten schützen“ durch, um ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass wir in den letzten 70 Jahren 75% der Artenvielfalt verloren haben und dass der Verlust der biokulturellen Vielfalt weiterhin mit einem rasanten Tempo voranschreitet.
Politisch und gesellschaftlich ist seitdem leider sehr wenig passiert. Zahlen und Fakten zum Biodiversitätsverlust haben die globalen und nationalen Entscheidungsträger bisher noch nicht maßgeblich dazu bewogen, einen Kurswechsel vorzunehmen, konkrete Maßnahmen zum Biodiversitätserhalt umzusetzen und das Wirtschaftssystem Klima- und umweltfreundlicher zu machen, um damit auch der Tier- und Pflanzenwelt zu dienen. Die externen Kosten der Industrialisierung und der internationalen Handelsströme werden bis dato nicht hinterfragt, bisher wird unbeschwert an der Wachstumsphilosophie festgehalten. „Slow Food appelliert deshalb an Politik, Wirtschaft und Handel sowie an eine jede und einen jeden, gemeinsam dem Biodiversitätsverlust entgegenzuwirken. Wir hoffen, dass der Bericht ein Weckruf ist, um das Wirtschaftssystem sowie Produktionsprozesse vor allem auch in der Landwirtschaft und der Lebensmittelproduktion zukunftsfähiger und im Einklang mit der Tier- und Pflanzenwelt zu gestalten. Die Zeit ist knapp“, so Ursula Hudson. Auch im Zuge der Europawahlen Ende Mai 2019 fordert Slow Food die EU-Kandidaten dazu auf, den Verlust der biologischen Vielfalt ernst zu nehmen und ganz oben auf die politische Agenda zu setzen.
Zum Bericht des Weltbiodiversitätsrat (IPBES) der Vereinten Nationen: https://www.ipbes.net/news/Media-Release-Global-Assessment
Unter dem Motto „Extinction Rebellion“ haben sich zum Beispiel weltweit Menschen zusammengeschlossen, die sich der Selbstausrottung der Menschheit durch das Massensterben und den Klimawandel entgegenstellen.
Informationen zum Netzwerk “Extinction Rebellion”: https://rebellion.earth/
Slow-Food-Video der Kampagne zum Schutz der biologischen Vielfalt aus 2016:
Bild: (c) Oliver Migliore