Zukunftsfähige Fischerei in der Ostsee: Perspektiven für Dorsch und Hering
André Dubisch vom Hansemuseum begrüßte die Gäste an diesem historischen Ort mit Informationen zur Geschichte der Hanse und zur historischen Bedeutung des Fischfangs, insbesondere des Herings: Wirtschafts- und Kulturgut seit langen Zeiten. Dr. Nina Wolff, stellvertretende Vorsitzende von Slow Food Deutschland umriss mit einem kurzen Überblick die wissenschaftlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen für die Regulierung des Fischfangs in der Ostsee und hielt fest, dass das Ziel der Europäischen Union, die Überfischung bis 2020 zu beenden, in großer Gefahr sei. Zwar gelten die Bestände von Sprotte und Scholle als gesichert, aber Dorsch und Hering bedürfen des besonderen Schutzes. Um deren Bestände auf ein langfristig stabiles Niveau zu bekommen und den von der EU vereinbarten und vom ICES (International Council for the Exploration of the Sea) für die einzelnen Bestände ermittelten Nachhaltigkeitsstandard MSY (engl. für „höchstmöglicher Dauerertrag“) zu erreichen, wird eine Reduzierung der Fangmenge für westlichen Dorsch auf ein Drittel der aktuellen Menge empfohlen, für den Bestand in der östlichen Ostsee gar ein Fangstopp. Auch der Heringsfang in der westlichen Ostsee soll vorübergehend eingestellt werden.
Wissenschaftliche Forderungen gilt es einzuhalten
Für Slow Food Deutschland hat die politische Umsetzung der wissenschaftlichen Forderungen höchste Priorität. Gleichzeitig sei aber bei Ausnahmeregelungen der handwerklichen Fischerei Vorrang einzuräumen. Denn einzig die sei Garant für die nachhaltige Beschaffung und Erzeugung des Lebensmittels Fisch. Des weiteren verwies Nina Wolff auf die Wichtigkeit flankierender Maßnahmen insbesondere im Bereich der Landwirtschaft, deren Auswirkungen auf das Ökosystem Ostsee unverkennbar sind.
Fischerei-, Umwelt- und Klimapolitik müssen an einem Strang ziehen
Im Podiumsgespräch hielt Wolfgang Albrecht vom Fischereischutzverband Schleswig-Holstein mit Blick auf die Hanse fest, dass die Goldenen Zeiten vorbei seien. Obwohl seiner Meinung nach die wissenschaftlichen Erkenntnisse über einen Bestandsschwund des Herings nicht durch den Berufsstand bestätigt werden könnten, sei beim Hering – wie auch beim Dorsch – eine Minimierung der Industriefischerei erforderlich. Zusätzlich sei grundsätzlich eine Laichschonzeit für den Dorsch wichtig, ebenso eine bessere Selektierung der Fänge durch entsprechendes Fanggerät.
Der Meeresbiologe Dr. Kim Cornelius Detloff vom Naturschutzbund Deutschland betonte die Krisensituation der Ostsee insgesamt. Wegen der Kleinräumigkeit sei sie besonders fragil, ein Drittel der Arten stehe auf der Roten Liste, die Zerstörung des Meeresbodens durch Schleppnetze und die Gefährdung z. B. von Seevögeln und Schweinswalen durch Stellnetze seien kritische Begleiterscheinungen der Fischerei. Ein systemisches Versagen zeige die ständige Kontroverse von Fischereipolitik einerseits und Umwelt- und Klimapolitik andererseits. In seinen Augen sei ein Punkt erreicht, an dem einzelne Maßnahmen nicht mehr ausreichen, um dauerhaft eine nachhaltige handwerkliche Fischerei zum Erhalt der Ernährungssicherheit und als Ausdruck kultureller Eigenheiten zu sichern. Tragfähige Vertrauensbrücken zwischen Fischern und Umwelt- sowie Klimaschützern müssten die Suche nach alternativen Fangmethoden und Konsense über Fangbegrenzungen voranbringen.
Weniger Fisch aus verlässlichen Quellen
Mit Blick auf die ökonomischen, sozialen und kulturellen Aspekte rund um das Meer versucht die Lighthouse Foundation für Meeres-Themen zu sensibilisieren. Jörg Grabo mahnte eine generelle Reduzierung des Fischkonsums als unerlässlichen Schritt zur Stabilisierung der Fischbestände an.
Ein vorbildhaftes Praxisbeispiel stellt Uwe Sturm vor: Das Infoportal „Fisch vom Kutter“ fördert die Direktvermarktung handwerklicher Fischerinnen und Fischer und entlastet diese von der Notwendigkeit, möglichst große Fangmengen zu niedrigen Preisen über den Großhandel zu vermarkten. Eine solche Stärkung der kleinen Fischereibetriebe stärke die Gesamtsituation der Küstenregion, nicht zuletzt durch eine Attraktivitätssteigerung für den Tourismus. Dass „Fisch vom Kutter“ speziell in der Lübecker Bucht nicht aktiv sei, liege an der immer noch vorhandenen Präsenz von Kutter-Direktvermarktern z. B. in Travemünde und Niendorf, wie die anwesenden Fischer bestätigten.
Zum Abschluss des offiziellen Programms entstand ein Fischschwarm-Foto mit allen Beteiligten auf der Dachterrasse des Hansemuseums. Der Blick über den Lübecker Hafen und die abendlichen Sonnenstrahlen ließen einen fröhlichen Optimismus aufkommen. Wie es Slow Food entspricht, wurden die folgenden Gespräche in kleiner Runde umrahmt von einem Buffet mit Köstlichkeiten, die ohne schlechtes Gewissen genossen werden können.
Text: Frank Buchholz (Slow Food Lübeck), Bilder © Dirk Silz