Chef Alliance: Es ist Zeit für ein neues Selbstbewusstsein
Was treibt Sie in der aktuellen Situation am meisten um?
Die Frage nach der Zukunft der Gastronomie. Nach der Zukunft unserer Zunft die der Köch*innen. Als ich vor 20 Jahren Köchin wurde, dachte ich, unser Beruf sei gesellschaftlich essenziell und unaussterblich. Die meisten meiner Köchinnen-Jahre habe ich in meinen eigenen Restaurants verbracht und weiß aus nächster Distanz, wie nah am Limit wir Köch*innen und Restaurantbetreiber*innen arbeiten. Romantisiert gesagt ist unser Beruf einer, in den man schon sehr verliebt sein muss, um all seine Nebenwirkungen in Kauf zu nehmen. Das Körperliche, die Tages- und Nachtzeiten, die familiären und sozialen Unmöglichkeiten, die schlechte Bezahlung. Ich habe den Eindruck, dass über die Jahre das Interesse an Qualität beim Kunden gesunken ist. Überspitzt gesagt: Je besser das Produkt und je ehrlicher die Arbeit, desto unmöglicher ist es, damit Geld zu verdienen. Parallel dazu ist in den letzten Jahren auch ein neues Bewusstsein für gute und faire Lebensmittel entstanden. Leider hat es bisher keine großflächige Auswirkung auf die Realität.
„Lieber Gast, dein Steak soll vom glücklich aufgewachsenen Tier sein, der Salat handverlesen, die Kellner*innen sollen höchst motiviert sein. Alle werden fair bezahlt, auch die Spülkraft soll Weihnachtsgeld bekommen und die Serviette ist aus ökologisch abgebauter Fairtrade-Baumwolle. Schön fändest du es auch, wenn die Fleischportion beim Mittagstisch bei 250g läge und der Preis €7,50 nicht überschritte. Preis-Leistungsverhältnis nennst du das. Aber weißt du denn, was meine Leistung ist? Die der Fensterputzer und der Kolleg*innen an der Spüle? Kennst du denn nicht den Unterschied zwischen Umsatz und Gewinn?“
Das sind Leiden, die wir Gastronom*innen uns meines Erachtens selbst gemacht haben. Zuviel umsonst gearbeitet, zu kurzsichtig kalkuliert, unseren Mitarbeitenden zu viel zugemutet und zum Eigenschutz gescherzt: „Die Gastro ist halt ein verfickt hartes Pflaster, halt es aus oder lass es!“ Das war lange unsere Art von Heldentum: aushalten können.
Nun ist es an der Zeit für ein neues Selbstbewusstsein. Ich wünsche mir, dass Köch*innen sich endlich trauen, selbstbewusst kundzutun, was Essen kosten muss, wenn es gut, sauber und fair hergestellt wurde. Dass wir Betreiber nie wieder so haarscharf an der Pleite entlangkochen müssen wie bisher. Es wäre schön, wenn wir unsere Talente und unsere Arbeitslebenszeit darin investieren könnten, dem Gast ein wirklich gute Esserlebnis zu geben und nicht in unsere Existenzängste. Ich wünsche mir Gäste, die unser aller Kopf- und Handarbeit wertschätzen, die ganz normale Leute in uns sehen, mit Monatsmiete, Kindern oder dem Bedürfnis nach einem Tag am Meer. Wann, wenn nicht jetzt?
Wie überbrücken Sie diese Zeit wirtschaftlich?
Gar nicht. Ich habe nur noch etwa zwei Prozent meiner Aufträge und verheize nun meine mühsam angesparten Steuerrücklagen. Das ist Geld, das mir eigentlich schon nicht mehr gehört. Kein gutes Gefühl, zumal der finanzielle Engpass erst im nächsten Februar auf mich wartet – vorausgesetzt, dass ich bald wieder etwas verdienen darf. So gesehen überbrücke ich diese Zeit nicht - ich nutze sie. Zum Kochen, darüber Schreiben und um noch mehr Fotografieren zu üben. Für meine Kunstausstellung und als Grundlage für neue mediale Projekte. Und ich mag diese Zeit. Denn obwohl es mir finanziell an den Kragen geht, kann ich mich nun ganz auf meine Arbeit konzentrieren, mehrere Stunden am Stück. Ich jage keinen fremdbestimmten Terminen nach, sondern kann mich endlich Themen widmen, die ich sonst gern als Sekundär-Ideen abgetan habe. Dabei sind sie echt spitze, das sehe ich erst jetzt. So kommt es, dass ich im Moment mehr arbeite als sonst, nur eben so, wie ich will.
Worin besteht für Sie in einer Zeit wie dieser die Stärke des Netzwerkens?
Es ist für mich eindeutig eine Zeit, um Weichen zu stellen. Einerseits für mich selbst (wohin mit meinen Talenten?), aber auch hinsichtlich Teilhabe und Zusammenhalt. Was können wir jetzt füreinander tun? Für mein Netzwerk bedeutet das zum Beispiel, dass ich gerade an einem kulinarischen Geragogik-Projekt feile, für das ich Partner suche oder an der Kooperation mit meiner Lieblingsweinhändlerin, für deren Kunden ich Rezeptvorschläge zu ihren Weinen entwickle.
Lebensmittel sind essenzieller geworden. Denken die Menschen um? Werden sie wieder mehr selbst kochen?
Ich hoffe es. Diese Zeit wird uns allen als eine Besondere in Erinnerung bleiben. So mancher wird sein erstes Brot gebacken haben. Viele Lebensgemeinschaften werden das Kochen als gemeinsame Aktivität für sich entdeckt haben. Es gab kleine und große Erfolgserlebnisse, die Mut machen. Und schließlich ist es so: einander Essen zu machen kann in Krisenzeiten (welcher Art auch immer) eine versöhnende, schlichtende Geste sein. Zumindest das wird im Bewusstsein bleiben. Für immer.
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