Chef Alliance: Jetzt geht es um Solidarität
Was treibt Sie in dieser Krise aktuell am Meisten um?
Meine Kund*innen, meine Mitarbeiter*innen und unsere gemeinsame Zukunft. Die meisten Kitas, die ich täglich mit Essen versorge, sind inzwischen geschlossen. Aber ich stelle die reibungslose Notversorgung der Kitas sicher, die weiterhin geöffnet sein dürfen. Mit meinen Mitarbeiter*innen lote ich gemeinsam Möglichkeiten aus, damit wir alle finanziell über die Runde kommen. Transparenz ist mir dabei am Wichtigsten. Und ich möchte ihnen möglichst allzu große Sorgen und Ängste nehmen.
Wie nehmen Sie die Stimmung in Hamburg und innerhalb Ihres regionalen Netzwerkes wahr?
Grundsätzlich realistisch und konstruktiv. Da gibt es die Betriebe, die von der Lage profitieren wie beispielsweise Direktvermarktung. Sie liefern teils bis an die Haustür und dieser Service boomt. Allein ihre Bestandskund*innen bestellen jetzt deutlich größere Mengen. Inwieweit es darunter viele Neukund*innen gibt, die auch nach Corona bleiben, kann ich nicht sagen, könnte aber durchaus sein. Andere Unternehmer*innen erfahren harsche Einbußen. Darunter solche, die Erzeugnisse für die Vorverarbeitung liefern, so zum Beispiel die Firma nabuko aus Uelzen, die für uns ökologisch wirtschaftende Großküchen von zentraler Bedeutung ist. Aber selbst die gehen konstruktiv mit der Situation um. Sie leihen ihre Arbeitskraft aktuell an Betriebe des Netzwerkes aus, wo sie gebraucht wird. Zweifelsohne sind Netzwerke jetzt extrem gut und extrem wichtig. Entscheidend ist, miteinander im Gespräch zu bleiben. Das hilft uns in der Krise.
In der Krise entstehen also neue Ideen und kreative Lösungen?
So ist jedenfalls meine Erfahrung. Sebastian Seelig und ich arbeiten beispielsweise gerade daran, was wir mit all den Eiern aus unserem Projekt 'Zweinutzungshuhn' machen. Die Hühner legen wegen Corona nicht plötzlich weniger Eier. Ein Teil der Eier geht jetzt in den Handel, der händeringend Eier sucht. Und er nimmt sie, obwohl sie teurer sind. Uns bleiben trotzdem ausreichend. Wir üben uns damit derweil in der Herstellung frischer Eiernudeln. Dafür blieb sonst nie Zeit.
Haben Sie den Eindruck, Menschen entdecken das Kochen wieder für sich?
Einige entdecken überhaupt erst die Grundnahrungsmittel oder sagen wir die einfachen Dinge für sich wieder. Beispielsweise sind frische Kartoffeln zurzeit stark nachgefragt. Die führen ansonsten ein Schattendasein. Jetzt haben Menschen Zeit zum Schälen und zum Kochen. Nach dem 30. Netflix-Film ist Kochen eine Alternative. Das vermute oder besser gesagt hoffe ich. Ob sich das langfristig hält wäre zu diesem Zeitpunkt reine Spekulation. Es ist aber die Zeit, noch mehr Menschen für unsere Slow-Food-Botschaften wie 'Ihr könnt mit einfachen Lebensmitteln auch gut leben' zu überzeugen.
Worin besteht für Sie in einer Zeit wie dieser die Stärke des Slow-Food-Netzwerkes?
Ganz klar in der Kommunikation, im Austausch und darin, uns gegenseitig Hoffnung zu machen und Ideen auszutauschen. Ich stehe täglich im Kontakt mit Slow Foodies. Allein die Frage 'Kann ich dir helfen und wenn ja wie?' trägt enorm. Das ist insbesondere für unser Chef Alliance gerade essentiell. Für die Gastronomie ist die Situation katastrophal. Die Hauptsaison wird bis Ende der Pandemie gelaufen sein, das Feriengeschäft im Sommer ist noch völlig unklar. Und die Umsätze, die dann nicht getätigt werden, kommen nicht wieder. Wir haben unterschiedlichste Betriebe dabei. Aber einige Restaurants und Freiberufler*innen arbeiten gerade einmal kostendeckend und stecken jetzt in prekären Verhältnissen. Natürlich habe ich Sorge, dass es einige Geschäfte bis zum Ende der Pandemie nicht mehr gibt. Zugleich aber vertraue ich darauf, dass wir das gemeinsam schaffen können. Gerade jetzt geht es um Solidarität.
Ist es eine Zeit, in der wir den Systemwandel vorantreiben können?
Das jedenfalls hoffe ich. Die Frage, wie stark und widerstandsfähig wir in unseren regionalen Lebensbereichen sind, bewegt gerade viele. Wir werden sehr genau über unser System nachdenken müssen, auch im Bereich der Lebensmittelversorgung. Wenn wir diesen Effizienswahnsinn, der vor allem eine Frage des Preises und nicht des Wertes eines Lebensmittels ist, noch weiter vorantreiben, dann wird es zu immer stärkeren Konzentrationen einzelner Unternehmen kommen. Wenn die dann wegbrechen haben wir Versorgungskrisen mit unvorhersehbarem Ausmaß; abgesehen von den ökologischen Folgen. Ich bin keinesfalls gegen Globalisierung, aber für eine Globalisierung mit Augenmaß und regionaler Lebensmittelversorgung.
Glauben Sie, dass wir aus der aktuellen Krise für andere Herausforderungen lernen?
Bestimmt, trotzdem befürchte ich, dass die meisten Menschen nach der Pandemie zum 'business as usual' zurückkehren. Zwar werden sicherlich viele klüger sein als vorher, was aber nicht heißt, dass sie deswegen auch klüger handeln. Strenge Regeln, an die sich alle halten, weil sie gut begründet und erklärt werden, würden da helfen. Das sehen wir gerade jetzt. In der Klimakatastrophe bräuchte es für die Landwirtschaft und die Lebensmittelwirtschaft ebenso klare Regeln, die darauf zielen, unser Lebensmittelsystem gerechter und nachhaltiger zu gestalten. Wenn etwa für alle Beteiligten klar ist, dass es kein Fleisch aus Massentierhaltung mehr gibt, dann werden Menschen damit auch phantasievoll und kreativ umgehen. Anpassungsfähigkeit ist nun mal etwas, was den Menschen ausmacht.
Gibt es etwas, was Ihnen persönlich gerade fehlt?
In einer Krise wie dieser fällt mir der Verzicht auf sonst so selbstverständliche Freiheiten nicht leicht. Ich finde es aber wichtig, dass jeder von uns die richtigen Signale sendet statt durch falsches Verhalten den Eindruck zu erwecken 'Wenn der es macht, kann es ja so schlimm nicht sein'. Aber trotzdem fehlt mir beispielsweise mein Boule-Spiel am Wochenende (lacht). Stattdessen aber bekomme ich plötzlich Anrufe von Bekannten, die ich ewig nicht gesprochen habe. In jeder Krise gibt es Chancen – beruflich wie privat.