Wenig Vergangenheit, viel Zukunft? Slow Food verkostet robuste Rebsorten

Weniger CO2-Belastung, weniger Pflanzenschutz, weniger Bodenbelastung – bei gleichem Genusswert: Pilzwiderstandsfähige Sorten können Weinbau nachhaltiger gestalten. Doch noch haben sie es schwer, sich am Markt zu behaupten. Slow Food Deutschland (SFD) präsentierte die neuen Rebsorten während einer Online-Verkostung mit renommierten Wein-Expert*innen im Rahmen von Terra Madre Salone del Gusto.



Gleich zwei Mal führte SFD 2020 Veranstaltungen zu den PiWi genannten pilzwiderstandsfähigen Rebsorten durch. Am Vorabend der Mitgliederversammlung im Juli für Slow-Food-Mitglieder sowie am 4. Dezember als Online-Seminar, das allen interessierten Verbraucher*innen offen stand. Fast 300 Wein-Pakete gingen in den Versand, rund 800 Menschen saßen mit Spannung hinter den Bildschirmen, einige sogar aus der Schweiz. Die sechs Proben – drei Weiß- und drei Rotweine – wurden aus den ECO-Winnern 2020 (einem Weinwettbewerb von Ecovin Deutschland) aus pilzresistent Rebsorten ausgewählt.

"Es macht große Freude, dass man mit einem solchen Webinar 800 Genießer*innen und Interessierte aus der ganzen Republik zusammen bekommt. Die wirklich kompetenten Fachleute haben einen sehr tiefen Einblick ins Thema „PiWi, Ökologischer Wein und Biodiversität“ gegeben. Mit diesen Erfahrungen und Wissen aus erster Hand werden die Verbraucher aufmerksam und überzeugt. Beispielsweise wird jeden das Thema „Pflanzenschutz“ in der Zukunft ganz anders begleiten. Ich wünsche für die Zukunft noch mehr Plattformen für die Protagonist*innen!"

Natalie Lumpp

Das überwältigende Interesse beider Online-Seminare begeisterte auch die Referent*innen. In Berlin blickte der Journalist Ulrich Ameling in die Kamera, der in seinen Texten beharrlich die Vorzüge von Bioweinen im Allgemeinen und PiWi-Reben im Besonderen hervorhebt. Auf dem Weingut Zähringer im badischen Heitersheim saßen im Sommer Paulin Köpfer, Winzer und Vorsitzender von Ecovin Baden und Martin Wurzer-Berger, Leiter der SFD-Wein-Kommission beieinander, um das Thema aus unterschiedlichen Perspektiven zu erläutern. Beim Dezember-Termin war Wurzer-Berger aus Münster zugeschaltet. Erfreulicher Weise wurde die Runde am 4.12. um Hanneke Schönhals erweitert, eine junge Winzerin aus dem rheinhessischen Biebelnheim. Auf ihrem Weingut wird seit langem biologisch, seit einigen Jahren auch biodynamisch gearbeitet. Der Anteil an PiWi-Sorten beträgt nahezu ein Viertel der Rebfläche.

"Wer es mit dem Bioweinbau ernst nimmt, kommt an PiWi nicht mehr vorbei. Durch weniger Pflanzenschutz ermöglichen diese resilienten Neuzüchtungen echte Diversität im Weinberg. Sie erlauben die Pflege und Weiterentwicklung der Kulturlandschaft ohne Chemie und schenken Weinliebhaber*innen neue Geschmackserlebnisse – wie diese Probe mit 800 neugierigen Teilnehmenden einmal mehr bewiesen hat. PiWi haben alle Aufmerksamkeit verdient!"

Ulrich Amling

Im heimischen Baden-Baden moderierte Natalie Lumpp ein kurzweiliges Wechselspiel mit den Beitragenden. Sie beschrieb auf charmante, wertschätzende Art die Weine und gab Tipps zur Verkostung. Nach dem ersten Wein, einem Helios aus Baden, zeigte sich Paulin Köpfer begeistert von der Einbettung des Online-Seminars „Wine for Future. Neue Rebsorten entdecken“ in den Rahmen von Terra Madre Salone del Gusto 2020, bei dem SFD u.a. die biokulturelle Vielfalt in den Fokus rückt. Er erläuterte zunächst die Entwicklung des Begriffs ‚PiWi‘ als ein kurios entstandener, interner Begriff unter den Menschen, die Biowein anbauen. „Hybride“ klänge zu sehr nach Mais, auch wenn der Begriff fachlich durchaus korrekt sei; auch „Interspezifische Rebsorten“ sei keine Alternative. Doch selbst mit ‚PiWi‘ seien nicht alle zufrieden. Ein aktueller Vorschlag aus der Hochschule Geisenheim lautet „pioneering wines“; Köpfer warb für die Variante „pioneering wines for future“.

"Ich war einfach (und bin es jetzt noch) überwältigt von dem großen Interesse und den vielen Fragen die via Chat gestellt worden sind. Für die ECOVIN-Weingüter ist es logischerweise entscheidend, dass das Publikum die Weine aus den Neuen Rebsorten schätzen lernt und mehr und mehr von den pioneering wines konsumiert. So bin ich großer Hoffnung, dass nicht nur der Bioweinbau, sondern der Weinbau generell, durch einen wachsenden Anbau von PIWI gemeinsam mit den Konsument*innen einen großen Schritt nach vorne kommen. Damit kann sich die Weinkultur lebendig in eine positive Zukunft weiter entwickeln. Vielen Dank Euch allen – es hat mir große Freude und richtig Spaß gemacht mit Euch diese Probe durchzuführen."

Paulin Köpfer

PiWis wappnen uns für den Wandel 

PiWi-Rebsorten sind neue Sorten, die durch klassisches Einkreuzen der Widerstandsfaktoren amerikanischer Wildrebenarten gegen die Pilzkrankheiten mit den geschmacklichen Eigenschaften der Europäerreben entstehen. Durch das Einkreuzen asiatischer Wildrebenarten wird zudem eine insgesamt größere genetische Breite gewonnen. Weitsichtig wurde an den PiWi schon seit den 1950er Jahren züchterisch gearbeitet. Damals gab es überhaupt noch keine Nachfrage.

Die Europäerrebe vitis vinifera hat keinerlei Widerstandskraft gegenüber den Pilzkrankheiten Oidium (Echter Mehltau) und Peronospora (Falscher Mehltau). Seit beide Erreger vor mehr als 150 Jahren aus Nordamerika nach Europa eingeschleppt wurden, muss die Europäerrebe auf der ganzen Welt mit zunehmendem Aufwand, vor allem mit Hilfe von Pflanzenschutzmitteln, buchstäblich am Leben erhalten werden. Wenn vom Spritzen in den Weinbergen die Rede ist, geht es vor allem um diese beiden Krankheiten. Gerade Biowinzer*innen mit der Vorstellung und dem Ziel, ein Anbausystem zu etablieren, in dem sich die Gesundheit und Vitalität der Pflanzen aus dem natürlichen Umfeld durch Bodenpflege und Versorgung der Reben „von selbst“ einstellt, kann das nicht befriedigen. Aber mit den vinifera-Reben geht das „von selbst“ überhaupt nicht mehr oder nur unter ganz günstigen und glücklichen Bedingungen.

"Wunderbar finde ich, dass wir unser Thema „Biokulturelle Vielfalt“ im Rahmen von Terra Madre Salone del Gusto setzen konnten: Biokulturelle Vielfalt im Weinbau bedeutet Vielfalt im Weinberg, in Sorten, im Anbau, in der Anpassung an Landschaft, Klima und Kultur. Slow Food steht für die Bewahrung und den Schutz der Biodiversität und so auch der traditionsreichen, der autochthonen Reben mit ihrer Geschichte und ihrer regionalen Typizität. Aber der Blick muss auch – und das ist wichtig - in die Zukunft gerichtet sein in einem ganzheitlichen Sinn. Nachhaltigkeit und Schutz der Biodiversität sind nicht rückwärtsgewandt und statisch, sondern Zukunftsthemen, die Entwicklung und Gestaltung bedeuten. Im Weinbau und in unseren Köpfen. Unser Webinar „Wine for Future“ hat genau das gezeigt."

Andrea Lenkert-Hörrmann (Projektbeauftragte SFD)

Die PiWi-Reben ermöglichen also reduzierte Pflanzengesundheitsmaßnahmen. Das ist nicht nur für die statistisch gesehen acht Prozent Biobetriebe in Deutschland von Bedeutung, sondern für den ganzen Weinbau: Unter dem Gesichtspunkt der Umweltemissionen, die perspektivisch um die Hälfte gesenkt werden sollen, bieten sie auch für konventionelle Betriebe eine große Chance. PiWi-Rebsorten ermöglichen eine Reduktion der Fungizid-Einträge um 70 bis 100 Prozent. Der Klimawandel trägt das seine dazu bei, den Druck zur Etablierung von alternativen Rebsorten zu erhöhen. Wissenschaftler*innen prognostizieren für die vinifera-Sorten im Jahr 2035 bis zu 30 Applikationen von Pflanzenschutzmitteln. Das ist gegenüber dem gegenwärtigen Stand fast eine Verdoppelung der durchschnittlich notwendigen Mengen – nicht zuletzt ein betriebswirtschaftlicher Faktor. Dabei ist die Frage noch gar nicht gestellt, ob es mit den uns so lieb gewordenen klassischen Rebsorten angesichts der sich entwickelnden klimatischen Bedingungen überhaupt noch gelingt, eigenständige, ausgewogene und harmonische Weine hervorzubringen. Für Paulin Köpfer ist es keine Frage, dass dem Wandel angepasste neue Reben gefunden werden müssen.

Nachfrage bei Fachhandel und Gastronomie wecken

Nach der Verkostung eines Cabernet blanc durch Natalie Lumpp erzählte Hanneke Schönhals begeistert und überaus begeisternd über ihre alltägliche Arbeit mit den PiWi-Reben im Weinberg und später beim Verkauf. Sie baut ebenfalls einen Cabernet blanc an, sieht aber dessen Aromatik im Ausbau als Naturwein stärker zur Geltung kommend. Sie wies darauf hin, dass PiWi gerade auch in gefährdeten Lagen gut gediehen und eine allgemeine Entlastung mit sich brächten: Die Böden würden weniger verdichtet, die Natur freue sich über geringe Pestizid-Einträge und die Winzer*innen gewännen Zeit für wichtigere Dinge, als dauernd durch den Wingert zu fahren. Begrünungen seien in solchen Weinbergen erfolgreich, Alternativen wie die Aussaat von Salat oder Blumen würden versucht. Auch eine Beweidung durch spezielle Schafrassen sei möglich. Ihre persönliche Entscheidung stehe fest: Sie werde bei zukünftigen Neuanpflanzungen nur noch PiWi-Sorten berücksichtigen. Die Herausforderung liege ihrer Einschätzung nach darin, die Weine zu verkaufen. Das liege weniger an den Privatkund*innen, die im Gespräch und in der Verkostung sehr wohl überzeugt werden könnten, als vielmehr am Fachhandel und auch der Gastronomie.

"Es war mir eine große Ehre in diesem Kreis von qualifizierten Slow-Food-Pionier*innen meine Erfahrungen mit den PiWi-Weinen zu teilen. Für mich sind es die Weine der Zukunft und ich freue mich sehr über die zunehmende Relevanz und Aufmerksamkeit für diese Weine. Solche Verkostungen, wo ich mit meiner Passion und Überzeugung für diese neuen Reben auf Resonanz stoße, motivieren und bestärken mich ungemein, mit PiWi weiterzumachen. Danke an Slow Food!"

Hanneke Schönhals

Auch der Wissensdurst gehört gestillt. 

Im Anschluss an die Verkostung des dritten Weins skizzierte Martin Wurzer-Berger Schlüsselstellen in der Geschichte der Weinreben über die Kontinente hinweg und weckte ein tieferes Verständnis für grundlegende Probleme des Weinbaus, wie sie Paulin Köpfer bereits hatte anklingen lassen.

Die PiWi hätten den Markt ja eigentlich schon erreicht, meinte Ulrich Amling, der fünfte Referent im Bunde. Mit der Rotweinrebe Regent werde schon seit vielen Jahren ein erster dunkler deutscher Rotwein produziert, mit dem Cabernet Cortis ein Rotwein mit der typischen Cabernet-Aromatik, der bei uns gesund ausreife. Dass sich die PiWi schwer täten, liege weniger an den Verbraucher*innen, die keinesfalls unwillig seien. Die Probleme läge in den Wegen begründet, wie Wein in Deutschland vermarktet werde. Die größten Weinhändler seien die Discounter. Dort fände wenig Wissensvermittlung statt. Denn PiWi seien ein komplexes Thema, das nur über Kommunikation und besseres Wissen erfolgreich sein werde. Doch auch die Verbraucher*innen müssten eine größere Bereitschaft entwickeln, sich geschmacklich von ihren Gewohnheiten zu lösen und neuen Weinen zuzuwenden. Kritisch ließ Amling anklingen, dass die PiWi der ersten Generation den aktuellen klimatischen Herausforderungen schon nicht mehr entsprächen.

Die Aufgabe der Zukunft ist es, Aufklärungsarbeit zu leisten und offen darüber zu reden, wie Wein hergestellt werde. PiWi-Rebsorten mit ihren weinbaulichen und geschmacklichen Qualitäten eröffneten die Möglichkeit, den Weinbau ehrlicher und genauer zu betrachten. Transparenz zu erzeugen über die Arbeit und ein Gespräch anzuregen zwischen Winzer*innen und Verbraucher*innen – das ist gute Slow-Food-Tradition und der richtige Weg zu reinem Wein.

"Zu wissen, dass wir 800 Menschen auf eine so leichten und für alle zugängliche Weise in ihrem Wohnzimmer daheim erreicht haben, um gemeinsam zu schmecken, zu lachen und zu lernen macht mich in diesen verrückten Zeiten der Isolation sehr froh."

Paul Kleebinder (Zoom-Organisation in der Geschäftsstelle von SFD)

Allgemeine Einschätzung der fünf Beitragenden war, dass die Akzeptanz für PiWi-Sorten nicht von heute auf morgen geweckt werden könne, dass dieser Weg aber ein überaus lohnender sein werde. Das gelte grundsätzlich für den notwendig komplexeren Blick auf die Bedingungen, unter denen Genuss- und Lebensmittel erzeugt würden.

Text: Martin Wurzer-Berger

Gekostet wurden am 4.12.:

  • 2019 Helios Qualitätswein | trocken | BioWeingut Schaffner | Bötzingen am Kaiserstuhl | Baden
  • 2018 Cabernet Blanc, Edition, Qualitätswein | trocken | Ökoweingut Stutz | Heilbronn | Württemberg
  • 2019 Naturwein Souvignier Gris, Lösskindl | trocken | Weingut Schmidt | Eichstetten | Baden
  • 2018 Cabernet Cortis Qualitätswein | trocken | Ökologisches Weingut Wedekind | Nierstein | Rheinhessen
  • 2018 Regent Qualitätswein | trocken | Timo Dienhart – Zur Römerkelter | Maring-Noviand | Mosel
  • 2018 Samt und Seide, Qualitätswein | halbtrocken / feinherb | Weingut Janson Bernhard | Zellertal | Pfalz

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