Weinlese: Ein mit Abstand guter Jahrgang
Der Corona-Jahrgang 2020 reiht sich ein in die anhaltende Serie guter Wein-Jahrgänge. Die Lesemannschaften ernteten in den meisten Anbaugebieten vollreife, kerngesunde Trauben, die Erntemenge blieb deutschlandweit mit 8,6 Millionen Hektolitern nur leicht unter dem langjährigen Durchschnitt. Obwohl das dritte trockene Jahr in Folge gerade die Junganlagen unter Stress setzte, war die Wasserversorgung der Reben in den meisten Anbaugebieten gerade noch ausreichend. Es war dennoch eine herausfordernde Weinlese. Nicht die Gesundheit der Trauben, sondern die der Leseteams und Mitarbeiter*innen war das große Thema. Wo muss mit Maske gearbeitet werden, wo geht’s ohne? Hygiene und Abstandsregeln waren im Weinberg, an den Sortiertischen, im Keller und bei der Beförderung und Unterbringung der Helfer einzuhalten.
Ochsentour bei 35 Grad
Im Badischen war es die heißeste Weinlese seit Ewigkeiten. Sie hatte schon in den letzten Augusttagen begonnen, Ende September war sie beendet. Das Thermometer bei Holger Koch vom gleichnamigen Weingut in Bickensohl am Kaiserstuhl, kletterte „immer wieder über 30 Grad, eine Ochsentour“. Um der Hitze auszuweichen, gingen die Leseteams schon in aller Herrgottsfrühe in die Weinberge, manche auch nachts, spät abends wurden die letzten Trauben im Keller verarbeitet: 16-Stunden-Tage. Die Wasserversorgung der Reben sei durch 30 Liter Regen im August gerade noch akzeptabel gewesen. Dennoch hat Koch in einem Brief an die Gemeinde Vogtsburg den Bau einer Wasserleitung in die Weinberge als dringlich angemahnt. Und er hat sich zu einem Rebsortenwechsel entschieden. Er will seinen Grauburgunder dezimieren, weil der in der Kaiserstühler Hitze rasend schnell reif und überreif werde. Als Ausgleich soll der Anteil des Chardonnay erhöht werden, der das immer wärmere Klima besser vertrage.
Weniger Kilometer weiter nördlich, in der Kaiserstuhl-Gemeinde Endingen, stellte sich das Weingut Schneider der Herausforderung durch Corona und ließ die Lesemannschaft testen. Das hat nicht allen gefallen, aber: „Ich stehe in der Verantwortung“, sagt Reinhold Schneider. Auch hier: Lesebeginn um 7 Uhr und um 2 Uhr ins Bett. Einige Lesehelfer gerieten regelrecht in einen Hitzeschock, berichtet Schneider, der im Rekordtempo von 14 Tagen alle Trauben auf der Kelter hatte. Es ging vor allem deshalb so schnell, weil in diesem Jahr keine faulen oder edelfaulen Trauben ausgelesen werden mussten.
Die Mostgewichte, früher das Evangelium der Weinlese, spielen bei den guten Winzern kaum noch eine Rolle. Es ist eher umgekehrt. Die Winzer kämpften auch in diesem Jahr um die Eleganz der Weine. Mostgewichte über 100 Oechsle sollen tunlichst vermieden werden, damit der spätere Alkoholgehalt im Wein nicht die 14-Prozent-Marke erreicht. Und noch eine Umkehrung alter Gewohnheiten. Die Großen Gewächse, also die teuersten Topweine der Winzer, werden, vor allem beim Spätburgunder, oft schon zu Beginn der Lese geholt, damit die Mostgewichte nicht ins Kraut schießen.
Wasser fahren für die jungen Rebstöcke
Beim schwäbischen Top-Weingut Aldinger freute man sich über beste Qualitäten der Trauben. Rausgehen, abschneiden, zur Kelter bringen, basta! Keine Fäulnis, keine Selektion. Allerdings hatten ein schlechter Blüteverlauf und Spätfröste im Mai den Reben zugesetzt und so die Menge bei Aldinger um ein Drittel reduziert. Zudem mussten dort auch dieses Jahr die mit jungen Rebstöcken besetzten Weinberge bewässert werden. Und Corona? Das Weingut hat die Lese in diesem Jahr ohne die Helfer*innen aus Rumänien und Polen gestemmt. Man bediente sich einer „regionalen Mannschaft“, die im Umfeld rekrutiert worden sei.
Im Vergleich zum Hitzejahrgang 2018 seien diesmal die Säurewerte besser, nämlich etwas höher ausgefallen, sagt Hansjörg Aldinger. Auch das ist eine radikale Veränderung im deutschen Weinbau. Zum dritten Mal in Folge müssen in vielen Weingebieten die Moste nachträglich gesäuert werden, damit die Weine stabil und lebendig bleiben. Bewässerung und Säuerung waren bis zur Jahrhundertwende nur in den südeuropäischen Regionen üblich. Der Sahara-Jahrgang 2003 brachte die Wende, damals wurde die Säuerung in den 13 heimischen Anbaugebieten erstmals erlaubt. Seitdem immer wieder und jetzt schon fast als Regelfall.
Oben ohne oder mit Maske?
Der Riesling, die beste deutsche Weißweintraube, wird traditionell spät gelesen. Im Rheingau erlebte das vom Riesling dominierte Weingut Künstler „einen entspannten Herbst“, so Kellermeister Jan Kolb. Ende September war man „schon in den Endzügen“ bei einem ähnlich hohen Qualitätsniveau der Trauben wie im Vorjahr. Hauptproblem war die Corona-Prävention für die rumänischen Lesehelfer. Die Strategie bei Künstler: mehr Fahrzeuge einsetzen, Gruppenarbeit, Sorgfalt bei der Unterbringung, bestimmte Arbeiten nur mit Maske.
Hauptärgernis bei einigen Weingütern war erneut das regional sehr unterschiedliche Auftreten von Sonnenbrand. Wegen der Trockenheit bot die weniger wüchsige Laubwand der Rebstöcke nicht genug Schutz vor der aggressiven Sommersonne, berichtet Winzer Reinhard Löwenstein von der Terrassenmosel. Die Folge bei seinen Reben waren erhebliche Ausfälle durch verbrannte Trauben mit ihren nekrotischen Flecken und deshalb viel Arbeit am Sortiertisch. Das Weingut Heymann-Löwenstein verzichtete auch in diesem Jahr bewusst auf Bewässerung, zumal die überwiegend alten Rebstöcke des Weinguts mit ihrem ausgeprägten Wurzelwerk besser gegen die Trockenheit gefeit waren.
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Text: Manfred Kriener
Bilder: Ernst Büscher, Deutsches Weininstitut