Ernährung: Menschengesundheit nur mit Planetengesundheit!
Gesundheit und Ernährung ist ein Riesenthema, so groß, dass ich mich, bildlich gesprochen, davon erdrückt sehe und angesichts der Bedeutung des Themas nur schwer in eine ordentliche Ernährungshaltung finde. Aber um den Zusammenhang von Essen und Gesundheit kommt man nicht herum. Allein die direkten und indirekten Folgekosten einer nicht der Gesundheit förderlichen Ernährung in Deutschland liegen jährlich bei ungefähr 33 Milliarden Euro. Allein wie viele Schulen sich dafür mit Küchen und Gärten und entsprechendem Personal finanzieren ließen, kann ich nur erahnen. Das wäre sozusagen ein präventives Gesundheitsinvestment, angefangen bei den Kleinen, mit dem Potenzial einer umfassenden und wirkungsvollen Ernährungsbildung.
Stattdessen sind wir umgeben von einer Kakophonie von Rufen, Mahnungen, Empfehlungen, sich gesund zu ernähren und die meisten von uns wollen das ja auch. Doch das »Wie« ist für viele eine schwierige Angelegenheit. Da wird zum einen das Bedürfnis nach gesunder Nahrung von der Lebensmittelindustrie mit einer nicht enden wollenden Neuentwicklung von Produkten bedient, die alle versprechen, uns vital und leistungsstark zu machen. Zum anderen versucht das für Ernährung zuständige Ministerium den Konsum gesunder Lebensmittel voranzutreiben, jüngst mit Einführung des »Nutri-Scores«. Denn es weiß um die Kosten von Fehlernährung – sieht sich aber offenbar nicht in der Lage, die Produktion von Lebensmitteln, die unserer Gesundheit nicht förderlich sind, einzuschränken oder eine solche gar abzustellen. Per se ist die Ernährungsumgebung im Alltag für die meisten von uns jedenfalls nicht gesund.
Dabei wäre es aus Slow-Food-Sicht relativ einfach, einem verlässlichen Kompass in Sachen gesundheitsförderlicher Ernährung zu folgen. Es ist unser bewährter Dreiklang von »gut, sauber und fair«. Er führt uns sicher hin zu einem sozial, ökologisch und ethisch nicht schadendem Konsum, der bei vernünftiger Maßhaltung auch der Menschheit ihre Lebensgrundlagen nicht entzieht. Denn heutzutage können und dürfen wir bei der Bewertung, egal welcher Lebensmittel, nicht mehr ausblenden, wie sie sich abgesehen von der Gesundheit des Einzelnen auf die »Gesundheit« des Planeten auswirken.
Planetengesundheit ist eine der entscheidenden Voraussetzungen individueller Gesundheit. Deswegen beantwortet Slow Food die Frage, ob ein Lebensmittel gesund sein kann, das rein ernährungsmedizinisch gute Inhaltsstoffe bietet, dessen Herstellung und Verarbeitung aber dem Kontext, aus dem es stammt, oder den Menschen in den Lieferketten Schaden zufügt, mit einem klaren »Nein«.
Ideen für gesundheitspräventive Faktoren hat Slow Food zur Genüge. Dazu gehört es, das Essen wieder selbst in die Hand zu nehmen. Und zwar nicht zu jeder Zeit an jedem Ort, sondern Mahlzeiten zu kultivieren. Das heißt, wir nehmen unser Essen zu bestimmten Zeiten des Tages ein. Wir geben ihm eine erhöhte Aufmerksamkeit. Gemeinsam mit anderen zu kochen, zu essen und zu teilen bedeutet Beziehung erleben und das kulinarische Vergnügen zu erhöhen. Auch das fördert eine gesunde Lebenspraxis. Ebenso die Geschmacksfreuden selbstgemachten Essens erleben zu können, ob zu Hause oder in der Kantine, in Mensen, in Restaurants – Orte, die immer wichtiger werden in unserem Leben, kann ganzheitlich gesund machen. Davon sind viele in unserem Netzwerk überzeugt, die Köche unserer Chef Alliance allen voran.
Für Slow Food spielt aber auch das Maß eine entscheidende Rolle, wenn es darum geht, dass Mensch und Planet genesen. Denn die Fülle des modernen Lebensmittelmarktes hat uns als Gesellschaft beim Essen radikal entgrenzt. Dies gilt räumlich wie zeitlich sowie hinsichtlich der Auswahl und der Mengen. Wir essen oft auch mal mehr und anders, als uns gut tut. Das hat zu neuartigen Zivilisationskrankheiten und zur Übernutzung vorhandener Ressourcen geführt. Allein die tierfixierte Ernährungsweise hat für Mensch, Tiere und Umwelt höchst problematische Folgen gezeitigt. Wenn wir wollen, dass alle Menschen gesund und ökologisch nachhaltig ernährt werden, muss unser Menüplan künftig zu 80 Prozent aus Pflanzen bestehen (»Planetary Health Diet«) und sich nach dem richten, was Boden, Bäume und Tiere der Region gerade hergeben. Die räumlichen Entgrenzungen der Lebensmittelerzeugung werfen ethische und ökologische Probleme auf, die zu unseren größten Herausforderungen geworden sind; darunter der Klimawandel und die dadurch verursachten Konflikte und Migration.
Aber wir wären nicht Slow Food, wenn wir nicht auch den Genuss als gesundheitsförderlich anerkennen würden. Essen muss schmecken. Genuss beim Essen ist nicht der Feind gesunden Essens, wie es im medizinischen Konzept häufig erscheint, sondern für uns der entscheidende Ansatzpunkt. Deshalb verteidigt Slow Food nicht erst heute, aber heute umso mehr den Genuss im Rahmen der planetaren Grenzen als legitimes Menschenrecht.