Es lebe das ehrliche Handwerk
Der Bäcker Arnd Erbel aus Franken renoviert derzeit ein altes Fachwerkhaus, erbaut im 17. Jahrhundert. „Da sind Balken“, schwärmt er. „Die sind vor 350 Jahren von Hand behauen worden. Das hält immer noch, weil das Holz damals mit dem Ziel der Haltbarkeit von Hand bearbeitet wurde.“ Und davon, findet Arnd Erbel, könne man auch als Bäcker im Jahr 2020 noch etwas lernen. „Es ist eben eine ganz besondere Qualität, wenn der Mensch mit seinen Händen ein Naturprodukt verwendbar macht.“ Und das macht Arnd Erbel, der im Jahr 2005 die Bäckerei seiner Familie im fränkischen Dachsbach übernahm.
Arnd Erbel backt seine Brote genauso, wie es sein soll: in Ruhe, in Handarbeit, mit Fokus auf beste Rohstoffe. Er verwendet für seine Brote nichts außer Getreide, Wasser, Salz und Gewürze. Keine Hefen, keine Zusatzstoffe. So entsteht Brot, wie es einmal selbstverständlich war und dann zu einer Rarität wurde. Und an das Slow Food Deutschland am Tag des Butterbrotes, jeweils am letzten Septemberfreitag eines Jahres, erinnert – in diesem Jahr mit einer Butter-Brot-Verkostung in der Backstube von Arnd Erbel. Denn kaum etwas repräsentiert den Slow Food-Leitgedanken so gut: ein gutes Butterbrot zeigt, dass Genuss im Fokus auf das Wesentliche liegt, in der Konzentration auf Qualität und in der Wertschätzung des Handwerks.
„Je besser Verbraucher*innen den mit der verantwortungsvollen Wertschöpfung verbundenen Aufwand kennen und den Genuss geschmacklich hochwertig Grundnahrungsmittel mit den eigenen Sinnen erfahren haben, desto größer ist die Bereitschaft, einen angemessenen Preis dafür zu zahlen“, sagt die amtierende Slow Food-Vorsitzende Nina Wolff. Und dieser angemessene Preis ist wichtig für den Erhalt eines flächendeckenden Angebots an Handwerksbetrieben.
Aus Sicht von Slow Food hängen das gute Butterbrot und das ehrliche Handwerk unmittelbar zusammen. Handwerk ermöglicht den Genuss von Brot und Butter; als Hüter*innen der biologischen, kulturellen und kulinarischen Vielfalt tragen Lebensmittelhandwerker*innen zur regionalen Versorgungssicherheit, Lebensmittelwertschätzung und Ernährungswende bei. Zumindest da, wo es sie noch gibt: Gerade die für das Butterbrot wichtigen Gewerke, Bäckereien und Molkereien, sehen sich einem harten Verdrängungswettbewerb ausgesetzt. Ein Dreiklang aus Preisdruck, Industrialisierung und Bürokratie setzt ihnen zu. Gab es 2008 noch knapp 37.000 Lebensmittelhandwerksbetriebe, waren es 2018 nur noch rund 27.000 Betriebe. Die Zahl der Metzgereien ist in der Zeit um 26 Prozent zurückgegangen, die der Meisterbetriebe des Backhandwerks seit 2011 um 23 Prozent.
Neben dem hohen Preisdruck durch industriell gefertigte Billigwaren werden die Rechtsvorschriften für Handwerksbetriebe immer komplexer. Auch viele Zwangs-Standards und Hygienevorschriften dienen eher der Industrie und unterlaufen das Handwerk. Zum Beispiel die in Supermärkten omnipräsenten Handelsklassen. Bei Milchprodukten etwa verhindern sie, dass Rohmilch verarbeitet wird – zu Lasten von Geschmack und Natürlichkeit.
So nimmt das gegenwärtige Ernährungs- und Agrarsystem vielen Handwerksbetrieben die Butter vom Brot.
Dabei sind sie für die Vielfalt an Natur und Lebensmitteln genauso wichtig wie für die Wende hin zu einer nachhaltigen Ernährung. Diesen Zusammenhang erklärt Arnd Erbel am eindrücklichsten anhand seiner Vorräte. Für seine sortenreinen Brote lagert Erbel etwa Einkorn, Rotkorn oder Gelbweizen. Alles Getreidesorten, wie sie früher in der Region selbstverständlich waren, heute aber oft uniformem Hybrid-Weizen gewichen sind. Dieser ist leichter für Maschinen zu bearbeiten. Erbel dagegen kann sich auf die alten Sorten verlassen.
„Die Auswahl der Sorte ist genauso wichtig wie der Anbau“, sagt er. So vermeidet Erbel etwa Getreide, das mit chemischen Spritzmitteln behandelt wurde, um die Halme kurz zu halten. Das geht, weil Erbel schon seit Jahren mit dem gleichen Bauern zusammenarbeitet: dem Biobauern Charly Brehm. Der hat es sich zur Aufgabe gemacht, auch solche Getreidesorten zu erhalten, die sich von jeher für die handwerkliche Weiterverarbeitung bewährt haben. Genau solche Zusammenhänge meint Slow Food, wenn es sich für den Erhalt der biokulturellen Vielfalt ausspricht. Dabei ist Vielfalt nicht nur biologisch, sondern auch kulturell und wirtschaftlich.
Das gilt genauso für die zweite Zutat eines guten Butterbrots.
Simon Mondel ist Landwirt und betreibt mit seinen Eltern einen biodynamisch bewirtschafteten Hof. Ein Gemischtbetrieb mit Ackerbau, Gemüse und Milchkühen. Und deren Milch verarbeitet Mondel zu Butter. Oft nur 20 Päckchen pro Woche. Meist sind sie schon Tage vorher von Kund*innen reserviert. Dafür erhalten diese aber eine Butter, die noch rein handwerklich erzeugt wird, der nichts beigesetzt wird, die Zeit bekommt – und für die Simon Mondel Rohmilch verwendet. Es ist eine Butter, die sorgsam und bedacht genossen werden möchte.
Dafür muss man sich nur vergegenwärtigen, wie aufwendig die Erzeugung ist: Wenn eine Milch 4,5 Prozent Fett hat, bekommt man aus einem Liter gerade 40 Gramm Butter. Ein Beispiel für Nina Wolffs Plädoyer, wonach „weniger mehr ist – also eine größere Wertschätzung von Qualität. Bei Slow Food versuchen wir deshalb immer wieder, die Brücke zwischen Erzeuger*in und Verbraucher*in zu schlagen. Denn Wissen, Genuss und Verantwortung sind die besten Zutaten für ein Lebensmittelsystem, das alle Beteiligte und die biokulturelle Vielfalt achtet.“ Die Kontextualisierung eines Produktes ist Slow Food Deutschland wichtig, um das Bewusstsein für den Wert des Lebensmittelhandwerks zu schärfen. Qualität ist schließlich weit mehr, als bislang auf einem Etikett zu lesen ist.
Verbraucher*innen können mit den richtigen Fragen ergründen, ob sie die sprichwörtliche „gute Butter“ vor sich haben: Mildgesäuerte Butter etwa wird mit zusätzlicher Säure ergänzt und ist entsprechend zu meiden. Auch bei fettreduzierter Butter und der neuerdings beliebten Joghurt-Butter ist Vorsicht geboten: Hier sind künstliche Bindemittel erlaubt. Zudem sollten Butter-Käufer*innen sich über die Haltung der Kühe informieren: Die Milch von Weidekühen ergibt nicht nur aromatischere Butter, sondern auch eine gesündere Fettzusammensetzung. Butter, die im Winter als „Sommerbutter“ vermarktet wird, sollte man meiden. Hier waren Tiefkühler im Einsatz. Was Konsument*innen oft nicht erkennen können: Für industrielle Butter werden die Milchfette gespalten und neu zusammengesetzt, etwa um die Streichfähigkeit zu erhöhen. Bei Handwerksbutter ist das nicht so.
Auch beim Brot gibt es klare Kriterien, mit denen man wahres Handwerk und Qualität erkennen kann. Kurze Sauerteigführung, Mehlbehandlungsmittel, Zusatzstoffe und Backmischungen verhindern gutes Brot. Die Rohstoffe sollten aus der Region kommen. Dazu sollte der Bäcker so arbeiten, dass er auf jeden Produktionsschritt per Hand Einfluss nehmen kann. Bäckereien, deren Mitarbeiter*innen über solche Dinge keine Auskunft geben können, sollten Argwohn wecken. Ebenso Betriebe, deren Erzeugnisse sehr uniform aussehen oder die ein ungewöhnlich großes Sortiment haben.
Die gute Nachricht ist: Es entstehen wieder Betriebe, die vorbildlich arbeiten. Im Bäckereigewerbe gibt es Neu- und Quereinsteiger, die das Handwerk hochleben lassen. Ansätze zeigen sich auch bei den Metzgereien. Und die Milchhandwerker*innen haben schon in den 1990er-Jahren ihren Berufsstand neu erfunden. Seitdem organisieren sie etwa eine eigene Käserausbildung, die auf die Bedürfnisse des Handwerks und nicht wie bis dahin üblich auf die der Industrie abgestimmt ist. Diese Betriebe sind wichtig. Denn wenn ganze Handwerksberufe still und leise verschwinden, gewöhnen sich Verbraucher*innen daran gewöhnt, dass es in bestimmten Bereichen keine handwerklich gefertigten Lebensmittel mehr gibt. Dann vermisst sie auch niemand mehr.
Und dieser Prozess muss früh beginnen. Um Handwerk zu lernen und zu erhalten gilt das gleiche wie für die Produkte: Es braucht Zeit. Das weiß Arnd Erbel aus eigener Erfahrung: „Man kann nicht einfach sagen, jetzt mach ich das. Das ist ein Prozess, der dauert Jahre.“
Text: Sven Prange