Menschengesundheit nur mit Planetengesundheit
Laut der PHD sollen auf den Teller fast nur pflanzliche Lebensmittel kommen. Dazu kann es etwas Fleisch, Fisch, Eier und Milchprodukte geben. Klingt so für Slow Food ein zukunftsfähiges Ernährungskonzept?
NW: Die Empfehlung der Planetary Health Diet, uns künftig zu rund 80 Prozent rein pflanzlich zu ernähren, drückt zunächst einmal aus, dass ein unreflektiertes ‚Weiter so‘ beim Essen nicht vertretbar ist. Was wir verzehren und in welchen Mengen, muss in die planetaren Grenzen passen. Das befürworten wir bei Slow Food ganz klar und fordern dies auch in unserer Position zur ‚gesunden Ernährung‘. Wir setzen uns darin ebenfalls für einen deutlich reduzierten Genuss tierischer Lebensmittel ein. Wir raten aber, ebenso wenig wie die PHD, nicht komplett von Milchprodukten, Fleisch, Fisch und Eiern ab. Für uns sind Tiere ein essentieller Bestandteil der ökologischen Kreislaufwirtschaft, die dem Schutz von Klima und Biodiversität dient. Für uns gehört zu einem zukunftsfähigen und ganzheitlichen Ernährungskonzept auch die Frage, auf welche Weise wir uns ernähren. Dass wir also Essen und Mahlzeiten ausreichend Zeit, Raum und Wertschätzung geben.
Die Eat Lancet Kommission kritisiert wie auch Slow Food, dass alleiniger Maßstab einer effizienten Landwirtschaft heute die Anzahl der produzierten Kalorien ist. Was muss sich ändern?
NW: Entscheidend ist, dass die benötigten Nährstoffe auf eine Art und Weise erzeugt werden, die Biodiversität erhält und fördert und Ökosysteme als Lebens- und Schutzräume respektiert. Diesem Anspruch wird unser aktuelles Lebensmittelsystem ganz klar nicht gerecht. Wir müssen also den Wandel zum Besseren vorantreiben. Dabei geht es uns auch darum, dass deutlich weniger Lebensmittel verschwendet werden, und zwar entlang der gesamten Wertschöpfungskette.
Wie überzeugend sind für Slow Food die Vorschläge der PHD in Bezug auf eine nachhaltige Lebensmittelerzeugung und -verarbeitung?
NW: Dass sich die Eat Lancet Kommission für eine nachhaltige Landwirtschaft ausspricht, das finden wir natürlich gut. Was uns fehlt sind konkrete Ausformulierungen darüber, wie dies im Detail umgesetzt werden sollte. Ebenso fehlt es uns an konkreten Empfehlungen für eine nachhaltige und faire Wertschöpfungskette insgesamt. Diese umfasst Anbau, Verarbeitung, Handel und Zubereitung. Die Fragen sind ja nicht nur: Wo wird was wie angebaut? Welche Ökosysteme stellen Nahrung zur Verfügung? Für Slow Food ist die biokulturelle Vielfalt ebenso wichtig und zukunftsweisend. Aus lokaler Artenvielfalt, Klima und Boden haben sich spezifische landwirtschaftliche Praktiken, Küchen und Traditionen entwickelt. Sie zeigen sich in Geschmack, Aroma, Farbe und Form von Lebensmitteln und ihren Zubereitungsarten. Diese Diversität zu bewahren und behutsam weiterzuentwickeln ist aus unserer Sicht Voraussetzung für Planeten- und Menschengesundheit. Die Bewirtschaftungs- und Ernährungstraditionen kommen uns in den Ausführungen der PHD zu kurz. Mit unserem holistischen Ansatz möchten wir das umfassender abdecken und diskutieren.
Die Eat Lancet empfiehlt, welche Lebensmittelgruppen in welchen Mengen täglich gegessen werden können. Am Tag sollten beispielsweise 232 Gramm Vollkorn, 13 Gramm Ei und 100 Gramm Hülsenfrüchte auf den Teller kommen…
NW: Mit diesen Mengenangaben bekommen wir eine gute Vorstellung davon, in welche Richtung sich unser Genuss entwickeln muss, wenn wir uns innerhalb planetarer Grenzen frei bewegen möchten. Slow Food aber hält nichts von dezidierten Vorgaben, die 24 Stunden am Tag eingehalten werden müssen. Auch sind diese Angaben viel zu speziell. Wer wiegt 232 Gramm Vollkorn oder 28 Gramm Fisch ab? Viel wichtiger ist auch die Frage nach der nationalen, regionalen bis hin zur kleinteiligen Umsetzung einer planetenfreundlicheren Ernährung. Das heißt, wie kann die Aufteilung der einzelnen Lebensmittelgruppen vor dem Hintergrund der aktuellen Ernährungslandschaften und unterschiedlichen Traditionen lokal funktionieren? Betrachtet man zum Beispiel die Empfehlung der PHD, täglich Hülsenfrüchte für eine gute Eiweißversorgung zu essen, bleibt die Frage, woher diese eigentlich kommen sollen. Der Selbstversorgungsgrad mit Hülsenfrüchten liegt in Deutschland inzwischen nahezu bei Null. Das war früher anders. Das heißt, wir müssen ihren Anbau wieder fördern und überhaupt vielfältiger anbauen und ernten. Sonst würden wieder Transporte nötig und die wollen wir ja vermeiden.
Bleibt hier der Genuss auf der Strecke?
NW: Die Frage, wie all die Lebensmittelgruppen planetengesunder Ernährung schmackhaft umgesetzt werden, beantwortet die Studie nicht. Aus unserer Sicht aber entscheiden die Antworten auf diese Frage maßgeblich über ihren Erfolg oder Misserfolg. Aus all den Jahren unserer Arbeit wissen wir, dass wir die positive Erfahrung über die eigenen Sinne brauchen. Deswegen bemüht sich Slow Food, die Lust und Neugierde an einem Speiseplan, der sich für sehr viele sehr viel anders als bislang zusammensetzen wird, vielerorts vorzuleben. Dazu gehört es auch, Verbraucher*innen dabei zu begleiten, aus Grundnahrungsmitteln selber etwas zu kochen. Nur wenn ich weiß, wie ich ein Lebensmittel so zubereite, dass es mir Freude und Genuss bereitet, werde ich es gerne zu mir nehmen. Da sind auch Gastronom*innen als Netzwerker*innen zwischen Erzeuger*innen, Lebensmittelhandwerker*innen und Verbraucher*innen gefragt. Unsere Köch*innen der Slow Food Chef Alliance machen das sehr gut vor.
Was können wir also von der Planetary Health Diet lernen?
NW: Die PHD bietet einen wichtigen Rahmen, um die Zusammensetzung zukunftstauglicher Speisepläne zu entwickeln, Verbraucher*innen dafür zu sensibilisieren und daraus auch politische Handlungsempfehlungen abzuleiten. Bei Slow Food aber wehren wir uns dagegen, den Verbraucher*innen eine persönliche kulinarische Lebensführung, die sie sieben Tage die Woche einzuhalten haben, vorzuschreiben. Es wird immer Menschen geben, die mehr von dem einen, dafür weniger von dem anderen essen. Aber wir möchten die Verbraucher*innen durchaus dazu ermutigen, ihre Selbstwirksamkeit beim Essen zu erkennen, das eigene Handeln kritisch zu hinterfragen und daraus kluge Schlüsse zu ziehen. Und wenn ich dann beispielsweise aus eigenem Antrieb beginne, bewusst weniger Eier beim Kochen zu verwenden, mache ich mich auf einen guten Weg, ohne dass ich in meinem Alltag drastische Einschnitte erleiden muss. Alle, die sich schon ein wenig überlegter und damit planentenfreundlicher ernähren, möchten wir motivieren, genau da weiterzumachen. Entscheidend ist für Slow Food weiterhin vor allem, woher die Erzeugnisse auf unseren Tellern kommen. Und dann künftig eben auch einmal mehr: in welchen Mengen. Da hilft die PHD als sehr guter Kompass.
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In den kommenden Monaten wird Slow Food Deutschland sowohl im Slow Food Magazin als auch auf der Webseite darüber berichten, wie eine Ernährungsweise, die für Planet und Mensch gleicherweise gesund ist, gelingen kann und welchen Wandel es dafür braucht – in Politik, Handel und Landwirtschaft sowie in der eigenen Küche.
Interview: Annette Sabersky