Milchen im Vergleich: Ist 'Frischmilch' wirklich frisch und was ist eigentlich Heu- oder Weidemilch?

11.03.2020 - Wie unterschiedlich Milch schmecken kann, weiß heute kaum noch jemand. Denn die Ware aus dem Kühlregal mundet zumeist identisch. Dabei ist Milch ein Naturprodukt und alles andere als gleich. Vieles hat auf sie einen Einfluss – von der Kuhrasse über die Jahreszeit bis zur Fütterung. Diese Diversität ist uns zunehmend verloren gegangen. Das versucht Slow Food zu ändern und zeigt mit dem Jahresthema Gute Milch, dass Milch nicht gleich Milch ist und was Verbraucher*innen wissen sollten, wenn sie nach der guten Milch suchen.

MilchglasWeiß ist sie immer. Aber mal abgesehen von der Farbe kann Milch sehr unterschiedlich sein. Denn Milch als Naturprodukt ist ein lebendiges Lebensmittel und alles andere als einheitlich. Die Milch von verschiedenen Höfen und unterschiedlichen Kuhrassen beispielsweise hat einen anderen Eiweiß- und Fettgehalt. Auch die Jahreszeit nimmt Einfluss: Kühe, die im Frühjahr das erste frische Grün fressen, geben eine andere Milch als die, die im Herbst die letzten harten Halme weiden. Mal ganz abgesehen von den Tieren, die nicht das Glück haben, auf die Wiese zu dürfen und mit Kraftfutter zu Höchstleistungen getrieben werden. Es gibt also nicht nur eine Milch, sondern ganz verschiedene Milchen.

Entsprechend kann Milch auch sehr unterschiedlich schmecken. Mal hat sie ein leichtes Kräuteraroma, mal ist sie ein wenig süß, mal eher ein wenig bitter. Theoretisch zumindest. Denn zum einen erkennen die Wenigsten die feinen Unterschiede. Und zum anderen geht der Geschmack auf dem langen Weg der Verarbeitung bis in die Kühltheken verloren. Denn in den allermeisten Molkereien wird die Milch vieler Höfe zusammengeschüttet und danach hochverarbeitet.

Die Wahl zwischen verschiedenen Verarbeitungsgraden und Fettgehalten

Im Handel erwartet die Verbraucher*innen in der Regel ein immer gleich schmeckendes, einheitliches Produkt. Denn sie dürfen nur noch zwischen verschiedenen Verarbeitungsgraden und Fettgehalten auswählen. Die Milch, die im Supermarkt oder auch im Bioladen steht, ist meistens homogenisiert. So bildet sich oben keine Rahmschicht mehr auf der Flüssigkeit. Wer gerade die gerne hätte, muss genau hinschauen. Pasteurisiert ist die Milch – außer bei Roh- und Vorzugsmilch – immer. Sie ist also für 15 bis 30 Sekunden auf 72 bis 75 Grad erhitzt worden. Dadurch werden mögliche Keime abgetötet und die Haltbarkeit der Milch erhöht. Wird sie ungeöffnet unter 8 Grad gelagert, hält sie so noch sieben bis zehn Tage. Aber selbst angebrochen hält pasteurisierte Milch gut und gerne eine Woche; vorausgesetzt, sie wird zum Verzehr wirklich immer nur kurz aus dem Kühlschrank genommen und ansonsten gut gekühlt. Milch, die nur pasteurisiert ist, erkennt man auf dem Etikett an der Bezeichnung „traditionell hergestellt“.

Dem Einzelhandel aber war selbst das noch zu kurz. Seit 1996 gibt es die sogenannte ESL-Milch, die etwa drei Wochen haltbar ist. Hinter der Abkürzung verbirgt sich der Begriff „Extended Shelf Life“, übersetzt „verlängertes Regalleben“. Für den Handel ist die Variante ein großer Vorteil, weil die Milch nicht innerhalb weniger Tage abverkauft werden muss und deshalb in größeren Mengen auf Vorrat bestellt und gelagert werden kann. Um die Milch so lange haltbar zu machen, stehen fünf verschiedene Verfahren zur Verfügung. Oft wird sie komplett oder in Teilen hocherhitzt, und zwar wenige Sekunden auf 85 bis 127 Grad. Bis 2009 durfte sie den fragwürdigen Zusatz „länger frisch“ tragen. Als die Verbraucherzentralen dagegen Sturm liefen, ließ sich die Milchindustrie darauf ein, den Aufdruck in „länger haltbar“ umzuändern. „Frische Milch“ darf aber trotzdem darauf stehen – aus Sicht von Slow Food eine klare Verbrauchertäuschung.

Hier ein kleiner Rundgang durch die Welt der Milchen:

Rohmilch kommt der Vorstellung von Milch „direkt von der Kuh“ am nächsten. Sie ist völlig unbehandelt und wird lediglich gefiltert sowie gekühlt. Ihr natürlicher Fettgehalt liegt bei 3,8 bis 4,2 Prozent. Im Einzelhandel ist solche Milch nicht zu finden, da es in Deutschland eigentlich verboten ist, Rohmilch an Verbraucher*innen abzugeben. Milchbetriebe dürfen sie allerdings direkt ab Hof verkaufen, etwa über sogenannte Milchtankstellen. Voraussetzung ist, dass die Milch innerhalb eines Tages nach dem Melken verkauft wird und den Hinweis trägt, dass sie vor dem Verzehr abgekocht werden sollte. So soll sichergestellt werden, dass möglicherweise krankheitserregende Keime abgetötet werden. Damit geht aber eine mögliche Schutzwirkung der Milch verloren. Forschungen zeigen, dass das regelmäßige Trinken kleiner Mengen möglichst unbehandelter Milch Kinder vor Asthma und Allergien schützen kann. Dafür werden die Eiweiße in der Molke verantwortlich gemacht, die beim Erhitzen kaputt gehen.

Vorzugsmilch ist eine amtlich überwachte Rohmilch. Sie kommt von speziellen staatlich zugelassenen und kontrollierten Betrieben, die besonders hohe hygienische Standards einhalten müssen. Auf Vorzugsmilch ist ein Verbrauchsdatum angegeben, dass einen Zeitraum von 96 Stunden nach der Gewinnung nicht überschreiten darf. In Deutschland gibt es nur wenige Milchbetriebe, die sich den strengen Anforderungen unterziehen. Sie vermarkten ihre Milch meist direkt, indem sie selbst an Kund*innen ausliefern oder im eigenen Hofladen verkaufen.

Ihre Adressen sind auf der Webseite des Bundesverbands der Milchdirektvermarkter und Vorzugsmilcherzeuger www.milch-und-mehr.de zu finden. In Flaschen abgefüllt darf Vorzugsmilch auch im Handel verkauft werden. Slow Food fordert schon seit Jahren, den Verkauf unbearbeiteter Roh- und Vorzugsmilch einfacher und unbürokratischer möglich zu machen. Das wäre nicht nur für die Verbraucher*innen, sondern auch für die Betriebe gut, da sie die Milch mit einer guten Gewinnspanne regional vermarkten können.

Heumilch ist Milch von Kühen, die nicht mit Silage – durch Gärung konserviertes Grünfutter – gefüttert werden. Die Kühe bekommen im Sommer vorrangig frisches Gras und Leguminosen, im Winter hauptsächlich Heu. Ergänzend sind Futtermittel wie Grünmais, Getreide, Raps und Schrote erlaubt. Die Bezeichnung Heumilch ist EU-weit gesetzlich geschützt. Begründet wurde dies zum einen mit der Tradition, zum anderen mit dem besseren Geschmack: Die Milch von Kühen, die auch Silage fressen, habe deutlich häufiger einen Fehlgeschmack, d.h. sie riechen und schmecken nach Kuhstall. Heumilch ist immer pasteurisiert, aber nicht immer homogenisiert.

Der Begriff Weidemilch ist nicht gesetzlich geregelt und besagt lediglich, dass die Kühe Weidegang erhalten. Wie häufig das tatsächlich der Fall ist, liegt im Ermessen der Landwirt*innen. Manchmal sind auf der Verpackung genauere Angaben gemacht. Steht das Label „Weideland“ auf der Milch, gelten folgende Kriterien:

  • mindestens 120 Tage Weidegang im Jahr für mindestens sechs Stunden;

  • pro Kuh müssen mindestens 2.000 Quadratmeter Dauergrünland zur Verfügung stehen, 1.000 Quadratmeter davon als Weidefläche;

  • das Grasangebot muss so ausreichend sein, dass die Kuh nicht nur Auslauf hat, sondern tatsächlich Futter aus der Beweidung erhält.

Die Bezeichnung Alpenmilch ist nicht geschützt und auch nicht klar definiert. Die Kühe müssen weder im geographischen Gebiet des Alpen- oder Voralpenlandes gehalten werden noch ist eine bestimmte Haltungsform oder Fütterung vorgeschrieben. Der Begriff dient allein der besseren Vermarktung und suggeriert, dass es sich um ein besonders natürliches Produkt handelt – was oft nicht der Fall ist.

„Traditionell hergestellte“ Milch ist etwa eine Woche haltbar. Der Begriff wird heute verwendet, um diese früher übliche Form der pasteurisierten Frischmilch von der sogenannten ESL-Milch abzugrenzen. Diese ist nämlich mit neuen Technologien anders behandelt, enthält noch weniger Keime und ist daher gekühlt mindestens drei Wochen haltbar – was aber eher im Interesse des Handels als in dem der Verbraucher*innen liegt.

Als Frischmilch darf heute im Prinzip alles außer H-Milch und Kondensmilch bezeichnet werden. Deshalb wird der Frische-Begriff auch inflationär auf Packungen genutzt – weckt er bei Verbraucher*innen doch ein gutes Gefühl und vielleicht auch ein besseres Gewissen. Dabei ist die Frischmilch, die es im Kühlregal zu kaufen gibt, meist schon „alt“. Warum? Bis die Milch vom Hof in der Molkerei landet, dauert es in der Regel allein zwei bis drei Tage. Dort wird sie dann verarbeitet, durch das Pasteurisieren – ein kurzzeitiges Erhitzen – wird sie haltbarer. Alle Verfahren, die darüber hinaus gehen, verlängern die Haltbarkeit sogar um Wochen. Frisch ist das aus Sicht von Slow Food nicht. Trotzdem konnte eine solche länger haltbar gemachte Milch bis 2009 den fragwürdigen Zusatz „länger frisch“ tragen. Inzwischen darf sie nach einer Selbstverpflichtung der Milchindustrie und des Handels nur noch „länger haltbar“ lauten. Irreführend aber bleibt die Kennzeichnung trotzdem: „Frische Milch“ darf drauf stehen, da „Frisch“ in der EU nur aussagt, dass ein Produkt nicht verdorben ist. Aus Sicht von Slow Food ist das eine klare Verbrauchertäuschung.

Mehr zu den Jahresthemen:

#GuteMilch: https://www.slowfood.de/was-wir-tun/2020-jahresthemen/gutemilch

#EchteVielfalt: https://www.slowfood.de/was-wir-tun/2020-jahresthemen/echtevielfalt

Text: Birgit Schumacher

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