Slow Food Youth Akademie 2020: Wiedersehen im Land der Tausend Teiche
Es ist ein Freitag Ende August und der Auftakt für ein erfahrungsreiches Wochenende. Wir befinden uns auf Schloss Fuchsmühl in der Oberpfalz, wo wir gemeinsam in das Thema „Fisch für die Zukunft“ eintauchen. Das Element Wasser heißt uns passenderweise willkommen - es regnet. So machen wir es uns im Schlossgemäuer gemütlich und freuen uns, dass wir einander in ‚echt‘, also ohne Kamera und Headset austauschen können. Da die ersten vier Akademie-Wochenenden aufgrund der Corona-Pandemie ausschließlich Online stattfinden konnten, ist es schön, all die Gesichter abseits der Bildschirme jetzt ‚live‘ zu sehen. Und natürlich halten wir uns dabei an die aktuellen Sicherheitsabstände. Sie stehen unserem Kennenlernen nicht im Weg.
Wir nutzen den ersten Abend auch, um in Kleingruppen unsere Fragen an die Referent*innen der kommenden Tage zu formulieren. Spannung und Neugierde steigen! Die Zeit verstreicht und die Bäuche beginnen zu knurren. Im Speisesaal begeben wir uns deshalb auf kulinarische Reise durch Deutschland. Es werden die von den verschiedenen Teilnehmer*innen aus ihren Heimatorten mitgebrachten Köstlichkeiten genossen: Von Eingelegtem über frisch gepflückte Pflaumen bis hin zu Süßigkeiten aus Kombucha-Scobys. Vergnügt schlemmen wir uns durch den Abend. Und auch der Wetterfrosch beginnt mitzuspielen, so dass sich einige für ihr Mahl unter freien Himmel an den Schlossteich setzen.
Abtauchen ins Wissen
Der nächste Tag beginnt mit einem gemeinsamen Frühstück und der Einführung ins Thema „Nachhaltige Fischerei und nachhaltiger Fischgenuss“. Nina Wolff, die amtierende Vorsitzende von Slow Food Deutschland, teilt mit uns ihre Erfahrung im nachhaltigen Umgang mit Gewässern und ihrer biokulturelle Vielfalt. Wir erfahren, was die Gründe für zu kleine Fischbestände sind, und dass "Gut, sauber, fair!" auch beim Fisch gelten muss. Wir diskutieren über nachhaltige Verbrauchsmuster, darüber, was es bedeutet, Fisch saisonal und in kleinen Mengen zu genießen, und dass auch Fisch "nose to tail" verarbeitet werden sollte. Wir erfahren, dass die nachhaltige Wahl häufig nicht ein Meeresfisch, sondern einer aus nachhaltiger Teichwirtschaft ist. Und dann geht’s auch direkt ans Wasser. Wir fahren zur Teichwirtschaft Bächer, wo uns Lena Bächer in den Alltag der Teichwirtschaft einführt.
Sie sei in Gummistiefeln aufgewachsen und habe darin ihre Berufung gefunden, inspiriert Lena mit Klarheit und Integrität. Lena Bächer, die Landwirtschaft studiert hat und im Herbst ihren Master mit Fokus Fischerei beginnt, berichtet uns über die Alltagsroutine rund um die Teichwirtschaft sowie über den baldigen Start der Abfischungssaison; laut Lena die schönste Zeit des Jahres. Zuerst werden die Teiche gezogen. Das heißt, das Wasser wird langsam aus dem Teich gelassen und die Fische folgen dessen Fließrichtung. Es ist der Augenblick, in dem die Bächers erkennen, ob sich die Arbeit des Jahres gelohnt hat und wie hoch ihre Erträge sind. In den letzten Jahren fielen diese immer geringer aus. Nicht zuletzt, weil auch Tiere wie der Fischotter sich aus dem Fisch-Fundus sättigen. Dies birgt ein großes Risiko im Land der tausend Teiche und drängt viele Fischwirt*innen an den Rande der wirtschaftlichen Existenz. Zugleich ist er geschützt.
Kulinarischer Zauber aus Teich und Garten
Nicht nur inhaltlich, sondern auch kulinarisch war der Besuch bei den Bächers faszinierend: Lenas Oma servierte uns Karpfenburger mit Salz, Pfeffer und Wildkräutern, denn gezaubert wird nur mit dem, was aus Teich und Garten kommt. Am Nachmittag lehrt uns Lena, wie wir Fisch ausnehmen und filetieren. Eine ebenso glitschige wie spannende Angelegenheit. Bis in die einbrechende Nacht hantieren wir mit Schneidewerkzeugen und wir wärmen uns an der Grillglut, bis alle von uns einmal an der Reihe waren.
Wir haben an diesem Wochenende außerdem das Glück, mit Martin Oberle vom Institut für Fischerei der Bayrischen Landesanstalt für Landwirtschaft ins Gespräch zu kommen. Er klärt uns über nachhaltige Wege auf, wie der Fisch auf unsere Teller gelangen kann und sollte. Oberle ist Befürworter von Teichwirtschaft; für ihn die nachhaltigste Art von Aquakultur. Die meisten anderen Formen der Aquakultur unterscheiden sich oftmals nicht von Massentierhaltung, setzen Chemikalien und Antibiotika ein. Deswegen plädiert Oberle dafür, dieses Handwerk zu bewahren. Wie? Im Sinne von Slow Food: „Essen, was man retten will?“ Martin Oberle begeistert uns nicht nur für den Karpfen, sondern auch für Forellen, Seiblinge und andere Fischarten aus der Teichwirtschaft.
Ein weiteres kulinarisches Highlight: Krabbenscheren von Helgoland, mitgebracht von Lars Bäumer von „Frisch Gefischt“. Lars hat 2019 selber an der Akademie teilgenommen. Inzwischen absolviert er neben seiner Tätigkeit für eine internationale NGO eine berufsbegleitende Ausbildung zum Fundraising Manager. Außerdem betreibt er aus Leidenschaft sein Projekt ‚Frisch Gefischt‘. Eine GmbH, mit der er die Direktvermarktung frischer und teils vergessener Fischarten und Erzeugnisse versucht anzukurbeln, die direkte Beziehung zwischen Verbraucher*innen und Fischer*innen aufzubauen und Fangmethoden und Produktionskreisläufe transparent zu halten. Als Fischarten empfiehlt er beispielsweise Kliesche, Flunder (Plattfische) oder auch Petermännchen aus dem Meer, aber auch Süßwasserfische wie Brassen, Rotaugen, Rotfedern etc. Von Lars lernen wir am letzten Tag unseres Wochenendes, wie es gelingen kann, den Fischhandel in Deutschland nachhaltiger zu gestalten. Sein Rezept: Direktvermarktung sowie saisonaler und regionaler Verzehr.
Am Ende des Wochenendes verteilen wir uns glücklich, zufrieden, inspiriert und motiviert auf Autos und Züge und verstreuen uns auch schon wieder in die verschiedensten Ecken Deutschlands. Danke allen für die schönen Begegnungen!