Slow Food Youth: Wünsche und Hoffnungen für die Zeit in und nach der Corona-Krise
Sie war mit dem Auto unterwegs und hörte Radio, als es ihr mal wieder so richtig auffiel. Allen möglichen sogenannten systemrelevanten Helfer*innen wurde in der Sendung gedankt – den Ärzt*innen, Kranken- und Altenpfleger*innen natürlich, den Angestellten in den Supermärkten und Discountern, den Bus- und Bahnfahrer*innen, der Müllabführ und vielen mehr. „Ich will deren Leistung ja gar nicht schmälern“, sagt Marie Pugatschow. „Aber was ist mit den Lebensmittelproduzent*innen? Die Krise zeigt, wie wenig präsent die Herstellung von Nahrungsmitteln in den Köpfen der Menschen ist.“
Es geht nicht um ein Danke, sondern um faire Löhne
Marie Pugatschow, die gerade eine Ausbildung in einer Käserei in Schleswig-Holstein macht, geht es nicht um ein Danke. „Die Arbeit in der Lebensmittelproduktion, sei es in der Landwirtschaft oder im Handwerk, ist körperlich hart und verhältnismäßig schlecht bezahlt. Nur wenige wollen unter diesen Umständen arbeiten, weshalb wir auf Menschen aus anderen Ländern angewiesen sind, um unsere heimische Produktion zu sichern.“ Sie wünscht sich, dass durch Corona auch dieser systemrelevante Bereich mehr Aufmerksamkeit bekommt und Missstände behoben werden. So könnten beispielsweise reelle Preise und eine Umstrukturierung der europäischen Agrarpolitik faire Löhne ermöglichen. Gemeinsam mit mehr Wertschätzung aus der Bevölkerung könnten Berufe in der Lebensmittelproduktion so attraktiver werden.
Auch Nikolai Wystrychowski aus Münster treibt das Thema Saisonarbeitskräfte und deren Bezahlung um: „An den billigen Löhnen offenbart sich doch ein Wertschätzungsproblem. Viele Leute haben keinen richtigen Bezug zu dem, was sie einkaufen.“ Außerdem, so der studierte Psychologe weiter, zeige sich an der Unentbehrlichkeit der ausländischen Erntehelfer*innen in der Landwirtschaft, „dass wir von einer Ernährungssouveränität noch weit entfernt sind“.
Zeit, solidarisch zu sein und etwas zurückzugeben
Die Krise biete aber auch Chancen: „Jetzt zeigt sich, welche Stärken ein solidarisches Miteinander hat. Gerade wir bei Slow Food pflegen ja schon immer die Beziehungen zu den Menschen, die so wirtschaften, wie wir das schätzen. Und nun ist unsere Solidarität noch stärker gefragt.“ Ganz konkret stellt Nikolai Wystrychowski gerade einen Lieferdienst für eine kleine Eismanufaktur vor Ort auf die Beine, oder besser gesagt aufs Fahrrad. Denn ausgeliefert wird das Eis per Rad in Pfand-Weckgläsern. „Durch das wunderbare Eis und die leidenschaftliche Arbeit der Betreiberin Rosi und dem Betreiber Toni bin ich eigentlich erst zum Foodie geworden und habe angefangen, mich für Lebensmittel und ihre Produktion zu interessieren.“ Jetzt sei es Zeit, etwas zurückzugeben.
Die Solidarität trägt auch Josef Piwowarsky durch die unsicheren Zeiten. Er hat zusammen mit einem Partner vor knapp einem Jahr mitten in der Passauer Innenstadt sein „essStudio“ eröffnet. Im Feinkostladen verkauft er regionale Spezialitäten, im Imbiss gibt es Currywurst mit Sauerteigbrötchen, Suppen oder Sandwiches. Er durfte das Geschäft die ganze Zeit geöffnet lassen und Speisen zum Mitnehmen anbieten. Trotzdem sind die Einbußen erheblich: „Wir haben etwa zwei Drittel weniger Umsatz gemacht. In der Stadt war ja kaum noch jemand unterwegs. Gerade am Anfang sind die Leute mit dem Auto zum Supermarkt gefahren, haben den Kofferraum vollgeladen und dann das Haus kaum noch verlassen.“ Doch nicht nur die Stammkundschaft, sondern auch etliche Initiativen, die für regionales Einkaufen werben, hätten ihn unterstützt. Seine Sauerteig-Pizzen und -Sandwiches liefert Piwowarsky nun über einen neu ins Leben gerufenen Lieferdienst mit E-Bikes ins Haus.
Diskussion von Ideen per Video-Konferenz
Ein bisschen mehr Zeit als sonst bleibt ihm nun trotzdem. Alle paar Wochen trifft er sich mit anderen aus dem Slow Food Youth Netzwerk – rein digital, versteht sich. Bei den Zoom-Konferenzen sind immer etwa 30 Leute online. „Da wird diskutiert, wie man anderen helfen kann, einen guten Lieferdienst aufzieht oder wo es welche Fördergelder gibt.“ Eine große ideelle Unterstützung, findet Piwowarsky. Und er bietet nun als kleinen Beitrag seinerseits demnächst in diesem Rahmen einen Online-Kurs zum Thema Fermentieren an: „So kann ich die Zeit jetzt gut nutzen.“
Sein Wunsch an Politik und Verbraucher*innen? „Ich wünsche mir, dass die Leute erkennen, dass die meisten Preise in der Gastronomie nicht reell sind. Gut, sauber und fair zu arbeiten, ist so nicht möglich.“ Außerdem plädiert er dafür, nach der Corona-Krise die Mehrwertsteuer im Gastrobereich zu senken. „Sonst geht ein Großteil der gastronomischen Betriebe in die Insolvenz.“ Über die Senkung der Mehrwertsteuer wird in der Bundesregierung immerhin schon nachgedacht, vielleicht geht ja auch noch Piwowarskys erster Wunsch in Erfüllung.
Kreativ in der Zwangspause
Unbestritten gehören gastronomische Betriebe zu den großen Leidtragenden. Auch Sebastian Junge vom Hamburger Restaurant „Wolfs Junge“ wartet eigentlich nur sehnsüchtig darauf, dass der Betrieb bald wieder los geht. „Wir haben so viel Arbeit da hineingesteckt, im Frühjahr hat uns der Guide Michelin noch für unser Nachhaltigkeitsengagement ausgezeichnet.“ Doch die verordnete Zwangspause bringt auch viel Kreativität. Gemeinsam mit drei anderen Gastronom*innen hat Junge die „Hanseatische Gourmetaktie“ ins Leben gerufen. Die Idee dahinter: Die Gäste können in verschiedene Aktiengrößen – von 50 bis 5.000 Euro – investieren und erhalten so Vergünstigungen, Vorkaufsrechte oder Aufmerksamkeiten in allen teilnehmenden Restaurants für ein Jahr nach der Wiedereröffnung. „Wir wollten einfach etwas anderes machen als Gutscheine oder Lieferdienste“, erklärt Junge. Mit dem Erfolg ist er zufrieden. „Auch im Hamburger Slow Food Convivium ist ordentlich Werbung dafür gemacht worden, da bin ich auch dankbar.“
Junge versucht, sich so gut es geht selbst durch die Krise zu bringen. Zu Ostern hat er über Facebook eine begrenzte Zahl an Essenspakete angeboten, wahlweise zu 99 oder 149 Euro. Die Stammkund*innen waren begeistert, das Angebot schnell ausverkauft. „Ich bin dankbar für die Soforthilfe und andere staatliche Unterstützung. Aber ich finde es auch ein wenig vermessen, immer weiter die Hand auszustrecken.“ Sein Wunsch für die Zukunft ist ganz einfach: „Wir wollen bald wieder in der Küche stehen und unsere Gäste bewirten.“
Text: Birgit Schumacher