Studie zeigt akute Lobbygefahr für deutsche EU-Ratspräsidentschaft

23.06.2020 - Am 1. Juli übernimmt Deutschland den Vorsitz im Rat der EU. Slow Food Deutschland hat sich der Forderung von 50+ Organisationen der Zivilgesellschaft angeschlossen, dass die deutsche EU-Ratspräsidentschaft Konzerninteressen nicht über das öffentliche Interesse stellt. Denn: Eine neue Studie „Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft: Industrie in der Hauptrolle?“, herausgegeben von LobbyControl und der lobbykritische Brüsseler NGO Corporate Europe Observatory (CEO), zeigt, wie die Bundesregierung dort regelmäßig die Interessen deutscher Konzerne durchgesetzt hat. Es muss Schluss sein mit einseitigen und intransparenten Klüngelrunden mit mächtigen Lobbygruppen.

EU-Ratspräsidentsschaft Lobby (c) Lobby Control.pngEinmal alle 14 Jahre übernimmt jeder Mitgliedstaat für ein halbes Jahr den Vorsitz im Gremium der Regierungen der Mitgliedstaaten. Vertreter dieses Landes führen dann die Verhandlungen des EU-Ministerrat, setzen Themen, führen Einigungen herbei, und können der EU so für diese Zeit einen besonderen Stempel aufdrücken.

Deutschland übernimmt die EU-Ratspräsidentschaft in einem heiklen Moment. Denn in den nächsten Monaten werden Lobbyist:innen den EU-Institutionen die Türen einrennen. Entscheidungen über die Verteilung gigantischer Corona-Hilfsgelder stehen an, und fast jede Branche versucht, ein möglichst großes Stück vom Kuchen für sich herauszuholen. Zugleich nutzen viele Lobby-Akteure die Coronakrise als Vorwand, um gegen ungeliebte Maßnahmen Sturm zu laufen – vor allem gegen den Green Deal, das Maßnahmenpaket zum Klimaschutz. Wegen Corona sei Konzernen kein Klimaschutz zumutbar, lautet das gängige Argument.

Es ist zu befürchten, dass Deutschland für diese Argumente ein offenes Ohr haben wird. Denn anlässlich der bevorstehenden deutschen Ratspräsidentschaft zeigen wir in einer Studie, wie Deutschland im Rat in den vergangenen Jahren Positionen zugunsten ihrer heimischen Industrie vertreten hat – häufig auf Kosten des Gemeinwohls.

Die Fallstudien haben wir diesmal nicht selbst verfasst. 6 Organisationen, die die EU-Politik in ihrem Themenbereich genau verfolgen, beschreiben in ihren Beiträgen, wie EU-Vorhaben entgegen dem Gemeinwohl verwässert, blockiert oder stark abgeändert wurden.

Die Studien im Überblick:

  • Der BUND beschreibt, wie die Bundesregierung Ausnahmen bei den CO2-Reduktionszielen für Autos geschaffen hat, damit die deutsche Autoindustrie weiter 2-Tonnen-SUVs bauen kann;
  • Die Deutsche Umwelthilfe beschreibt, wie das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie alleine mit der Gasindustrie deren zukünftige herausgehobene Bedeutung bei der Energiewende verhandelt hat, obwohl es sich um einen fossilen Energieträger handelt
  • Das Netzwerk Steuergerechtigkeit beschreibt, wie die Bundesregierung Steuertransparenz in der EU blockiert hat, weil auch deutsche Unternehmen ihre Steuern in Niedrigsteuerländer und Steueroasen verschieben
  • CEO zeigt, wie Deutschland die Digitalsteuer für Internetgiganten wie Facebook und Google blockiert hat
  • Die Bürgerbewegung Finanzwende zeigt den Einfluss der Industrie auch bei den Finanzmärkten: So hat Deutschland dafür gesorgt, dass die Gasindustrie als Übergangstechnologie in die so genannte grüne Taxonomie der EU aufgenommen wird, in der festgelegt wird, welche Investitionen als grün und mit den UN-Klimavereinbarungen vereinbar einzustufen sind.
  • CEO zeigt, wie dem Bundeswirtschaftsministerium bei der ePrivacy-Verordnung der Schutz der Verbraucher*innen vor dem Tracking ihrer Daten zunächst kein Anliegen war. Die Verordnung hängt weiterhin im Gremium der EU-Mitgliedstaaten fest und Deutschland könnte sie entscheidend voranbringen;
  • Die Coordination gegen Bayer-Gefahren und der BUND zeigen die Macht der Chemieindustrie in Brüssel, die beträchtlichen Druck auf Brüssel ausüben, dass ihre Produkte möglichst wenig reguliert werden, egal ob es um hormonaktive Substanzen oder die Wiederzulassung von Glyphosat geht;
  • Our Fish zeigt, wie eine mächtige Unternehmensgruppe beträchtliche EU-Subventionen erhält und sogar mit am Tisch sitzt, wenn die EU-Institutionen Fangquoten verhandeln;
  • In der Studie zur Pharmaindustrie beschreibt CEO den Widerstand der Pharmaindustrie gegen die staatliche Kontrolle über Arzneimittel und Impfstoffe während einer Pandemie. Deutschland hat die Möglichkeit trotzdem in das Infektionsschutzgesetz aufgenommen – wird sie das auch auf EU-Ebene tun?


Problem: Völlige Intransparenz!
Der Rat der EU ist die undurchsichtigste von allen EU-Institutionen. Das Transparenzregister für Lobbyisten, das von EU-Kommission und EU-Parlament getragen wird, erstreckt sich nicht auf den Rat. Was hinter dessen Pforten passiert, bleibt der Öffentlichkeit weitestgehend verborgen. Auch die internen Abstimmungen der Bundesregierung darüber, welche Position sie im Ministerrat einnehmen will, finden im stillen Kämmerlein statt. Das ist fatal, weil so nicht sichtbar wird, wenn mächtige Interessengruppen Einfluss nehmen. Und diese wiederum, haben die Netzwerke und Ressourcen, um sich die Situation der Intransparenz zunutze zu machen.

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Zur Studie: Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft – Industrie in der Hauptrolle

Die Zusammenfassung der Studie

Das Statement der Zivilgesellschaft an die Bundesregierung zur deutschen Ratspräsidentschaft, das auch Slow Food mit unterzeichnet hat.

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