Von der Bohne in den Mund: Das macht gute Schokolade aus
Fausto Reyes muss nicht lange überlegen: „Am liebsten habe ich den Kakao flüssig, gerne schon morgens.“ Und gerne, daran lässt der junge Mexikaner ebenfalls keinen Zweifel, auch sehr regelmäßig. Aber Fausto Reyes sitzt ja auch an der Quelle. Die heißt in seinem Fall La Rifa und ist eine Chocolateria in Mexiko, die ausschließlich biologisch, fair und handwerklich erzeugten Kakao zu Schokoladen verarbeitet. Und die damit im weltweiten Geschäft mit dem süßen Genussmittel, das wird durch Fausto Reyes Ausführungen während eines Schokoladen-Verkostungs-Workshops von Slow Food Deutschland und der Schokoladen-Manufaktur Original Beans deutlich, eine echte Ausnahme ist.
Denn auch wenn die Schokolade fest zur Vorweihnachtszeit gehört: Kooperativ, friedlich und fair hergestellte Schokoladen gibt es kaum. Wer dann noch eine Schokolade sucht, die gemäß der Slow-Food-Kriterien gut, sauber und fair entsteht, erlebt nicht viele Erfolgserlebnisse. Aber es gibt sie, die Schokoladen, die Gewissen und Genuss gleichermaßen bedienen. Und während der Verkostung, durch die Stella Diettrich von Slow Food und Patrick von Vacano von Original Beans führten, wurde deutlich, wie sich diese aus dem Schokoladenangebot auswählen lassen.
Der Anbau: Biologisch und wild
Der wichtigste Akteur im Schokoladenanbau spielt in der Wahrnehmung keine Rolle. Er ist extrem klein, kommt aus deutscher Perspektive gesehen nur in fernen Ländern vor und hat es dort nicht leicht: die Schokoladenfliege. „Ohne sie und ihre Bestäubungsleistung gäbe es überhaupt keinen Kakao“, sagt Patrick von Vacano. Er ist einer der Schokoladen-Spezialist*innen des niederländischen Unternehmens Original Beans, das seit einigen Jahren hochwertiger Schokolade aus biologischem Anbau, kooperativem Handel und handwerklicher Fertigung herstellt und verkauft. Und dabei eben unter anderem darauf achtet, dass die Kakaobäume so angebaut werden, dass sich in ihrer Umgebung auch die Kakaofliege wohlfühlt.
Denn die Alternative ist weder umwelt- noch menschenfreundlich. Die Alternative sind Kakaoplantagen, aus denen 90 Prozent des weltweiten Kakaos stammen und auf denen in Monokulturen Unmengen an Giften, Dünger und menschlichem Leid in Kakao umgemünzt werden. „Deswegen sind Monokulturen ein Problem“, sagt Patrick von Vacano. Und zeigt auch, wie es besser gehen kann: Kakaobäume, die im Mischwald wachsen. Um die herum auch Mangos oder Jackfruit-Bäume ihren Platz haben. Denn diese wachsen höher als Kakaobäume und geben ihnen so den dringend benötigten Schatten. Kakaobäume, die dagegen in Monokulturen wachsen, werden mit Unmengen an künstlichem Sonnenschutz besprüht, um sie vor den Strahlen zu schützen.
Die Anbauer*innen: Fair bezahlt und unabhängig
So etwas käme für Patricia und Fernando Viana nie in Frage. Vater und Tochter betreiben im brasilianischen Bahia einen biologischen Kakaoanbau. „Wenn wir den Kakao biologisch anbauen, tun wir nicht nur für uns etwas Gutes, sondern für das ganze System hier“, sagt Patricia Viana. „Das ist Natur pur, was wir hier erleben.“ Das geht, weil sie ohne chemische Stoffe arbeiten. Aber auch, weil es Menschen vor Ort gibt, die dafür faire Preise bezahlen.
„Eine Schokolade ist nicht so gut wie der Chocolatier, sondern immer nur so gut wie die Bäuer*innen, die den Kakao anbauen“, sagt Patrick von Vacano. Denn tatsächlich haben die Bäuer*innen einige Stellschrauben, an denen Kakao eben sehr gut oder sehr schlecht wird. „Zum einen schmeckt man in der Schokolade neben Säure und Frucht immer auch Einflüsse des Bodens und der Art der Landbewirtschaftung“, sagt von Vacano. Zum anderen geht es aber auch darum, ob die Bäuer*innen sich nach der Ernte eine sorgfältige Behandlung der Bohnen leisten können.
Denn nach der Ernte müssen die Bohnen eigentlich fermentieren, bevor sie schließlich trocknen. „Das dauert mindestens sieben Tage“, sagt Fernando Viana. Einen Zeitraum, den viele industrielle Kakaozulieferer überspringen. Einfach weil sie sich die lange Lagerzeit nicht leisten können. Die Folge: Die Bohnen werden feucht gelagert und gelangen mit Schimmel durchsetzt in die Weiterverarbeitung.
Die Verarbeitung: Handwerklich und ohne Zusatzstoffe
Weil der Großteil der Schokoladen weltweit so ‚schluderig‘ entsteht, schönen industrielle Hersteller in der Verarbeitung. Wer dagegen eine saubere, hochwertige Kakaobohne aus den Anbauländern bezieht, muss in der Verarbeitung weniger schönen. So kommt in gute Schokoladen außer Kakao und hochwertigem Zucker eigentlich nichts hinein. „Lecithine, Vanille, Zusatzstoffe, das hat in einer guten Schokolade nichts zu suchen“, sagt von Vacano. Und rät Verbraucher*innen neben dem Bio-Siegel auch die Zutatenliste einer Schokolade entsprechend zu prüfen.
- Gute Schokolade kommt aus Bio-Anbau, der nicht auf Plantagen stattfindet
- Außer Kakao und Zucker gehört nichts in die Schokolade
- Hochwertige Schokolade genießt man durch Schmelzen lassen im Mund, nicht durch kauen
Als Belohnung warten Schokoladen, die so aromen- und nuancenreich sind, wie man es sonst eher von Wein oder Käse kennt. Selbst wenn Original-Beans-Schokoladen den gleichen Kakaoanteil haben, schmecken sie völlig unterschiedlich. Eine 70-prozentige Schokolade aus einer in Kongo angebauten Virunga-Bohne hat ganz andere Eigenschaften, als eine 70-prozentige Udzwunga-Bohne aus Tansania. „Der Kakaoanteil sagt überhaupt nichts über den Geschmack aus, sondern nur über den zusätzlichen Zuckeranteil“, sagt von Vacano. Eine 70-prozentige Schokolade hat dann eben mehr Zucker als eine 80-prozentige. „Eine Schokolade definiert sich über die Aromen ihrer Bohnen, nicht über ihren Kakaoanteil.“
Neben der Reinheit der Zusammensetzung ist dafür die handwerkliche Fertigung entscheidend. Original Beans lässt seine Schokoladen vom Schweizer Traditionshersteller Felchlin sorgsam verarbeiten. Dort machen sie seit Jahrzehnten nichts anderes.
Die Endveredelung: Sauber und fair
Ob eine Schokolade fair und vertretbar ist, entscheidet sich nicht nur in den ersten Stufen der Fertigung. Sondern entlang der ganzen Wertschöpfungskette. Das betont die junge Konditorin Nanetta Ruf, Absolventin der Slow Food Youth Akademie. „Die Arbeitsbedingungen sind in der ganzen Branche eine Herausforderung.“ Sie wünscht sich deswegen ein System, in dem die guten Lebensmittel die günstigen sind, und die gesellschaftlich und ökologisch schlechten teurer. Schließlich verursachen sie auch die größeren Schäden am Gemeingefüge.
„Fair bedeutet fair entlang der gesamten Wertschöpfungskette“, sagt auch Patrick von Vacano. „Es ist möglich, fair zu ernten. Wir müssen es nur bezahlen.“ Und, da schließt sich der Kreis, das wäre nicht nur sozial fairer. Sondern auch gemessen am Ressourceneinsatz. Denn derzeit, sagt von Vacano, wachsen bis zu 70 Prozent des Kakao weltweit umsonst. „Er vergammelt am Baum, weil niemand die Ernte fair bezahlt.“
Der hohe Preis für eine faire Schokolade relativiert sich übrigens schnell: Schokolade ist ein Genussmittel, dass bis zum Verzehr bei uns in Europa sehr lange Transportwege zurücklegen muss und dessen Genusswert mit der Mäßigung beim Konsum quasi steigt. „Schokolade sollte man niemals essen“, sagt von Vacano. „Sondern in den Mund nehmen und langsam schmelzen lassen. Nur dann entfalten sich alle Aromen.“ Insofern ergibt ein nachhaltiger, fairer Genuss hier auch eine ganzheitliche Logik.
Und somit ist Ursprungs-Schokolade aus bäuerlicher, handwerklicher und ökologischer Fertigung das Musterbeispiel eines Lebensmittels, wie es die internationale Slow-Food -Gemeinschaft fördern und bewahren will. Nicht zufällig fand die Verkostung deswegen am internationalen Terra Madre Tag statt. An diesem ruft Slow Food weltweit dazu auf, gemeinsam die Bedeutung des lokalen Essens und das Recht aller Menschen auf den Zugang zu hochwertigen Lebensmitteln zu feiern.