2021 – Weinjahrgang der sieben Plagen
Von Manfred Kriener
Der Weinjahrgang 2021 wird als doppelte Katastrophe in Erinnerung bleiben. Bei der Jahrhundertflut an der Ahr wurden mehr als 40 Weingüter von Schlamm und Wassermassen verwüstet und große Flächen der Weinberge weggerissen. Gleichzeitig sorgte die Pilzkrankheit Peronospora – der falsche Mehltau – in allen 13 deutschen Anbaugebieten für teilweise verheerende Verluste. Vor allem die Biowinzer büßten in vielen Regionen fast die Hälfte ihres Normalertrags ein. Manche ernteten gar nichts. Partiell sorgten zudem Spätfröste im Mai und Hagel im Spätsommer für empfindliche Ausfälle. Vereinzelt kam noch Insektenfraß dazu. Wer sich jetzt an die sieben biblischen Plagen erinnert, liegt nicht ganz falsch.
Doch Mehltau, Hagel und Frost sind Peanuts im Vergleich zur Jahrhundertflut an der Ahr, wo viele Winzer mit ihren Familien um die Existenz bangen. Zu den schwer Getroffenen zählt auch Bio-Winzer Christoph Bäcker in Ahrweiler. Nach der Flut, die sein Weingut fast vollständig zerstörte, hatten wir ihn interviewt. Sein Kernsatz „Ich kann der Natur doch nicht böse sein“ wurde seitdem vielfach zitiert. Vor allem aber löste das Interview einen E-Mail-Sturm und die größte Bestell-Lawine aus, die sein Weingut jemals erlebte, dazu kamen viele Spenden und Helfer.
Mitte Oktober hat Bäcker die schnellste Lese seit Bestehen des Weinguts abgeschlossen. Auch das Ergebnis ist historisch: „so schlecht wie noch nie“. Die Qualität ist zwar halbwegs in Ordnung – „die Weine werden schmecken“ – aber die Erntemenge reiche nicht zum Überleben, sagt Bäcker. Das ohnehin kleine Bio-Weingut hat fast ein Drittel der Fläche an das reißende Hochwasser verloren, dazu kamen herbe Verluste durch Pilzkrankheiten im feuchten Ahrtal. Um zu überleben, muss Bäcker unbedingt neue Rebflächen finden. Aber viele seiner Ahr-Kollegen suchen ebenfalls. 30 Hektar sind im Anbaugebiet weggespült worden, eine Fläche von etwa 40 Fußballplätzen. Vielleicht lassen sich die Hänge am Fluss wenigstens zum Teil wieder aufbauen und neu bepflanzen. Aber noch ist unklar, ob in den flussnahen Gebieten überhaupt wieder Rebstöcke stehen dürfen. Und neue Reben bringen bekanntlich drei Jahre keinen Ertrag.
Kein Haus, kein Geld, keine Zukunft?
Das Haus der Bäckers ist noch immer unbewohnbar. Und aus den verschiedenen Förder- und Katastrophentöpfen ist bei ihm bisher noch kein Euro angekommen. Immerhin: Die Familie und viele Helfer haben das Weingut wieder funktionsfähig gemacht, neue Fässer und Behälter wurden gekauft, die Presse bekam einen neuen Motor, Schutt und Schlamm sind weggeräumt. Geblieben ist der Wille des ersten Biowinzers an der Ahr, seinen Betrieb am Leben zu halten. Aber: „Die Zukunft steht in den Sternen, ich weiß nicht, ob das Weingut überleben wird.“
Bisher zählten deutsche Winzer eindeutig zu den Gewinnern der Klimakrise. Mehr Sonnentage und höhere Temperaturen haben die Weine kräftiger, alkoholreicher, kremiger gemacht. Kein Vergleich zu den dünnen, oft sauren Säftchen der 1980er und teilweise auch noch der 1990er Jahre. Doch jetzt zeigt der Klimawandel mit Starkregen und Fluten, aber auch mit aggressivem Pilzbefall immer öfter sein hässliches Gesicht. Die konventionell bewirtschafteten Weingüter reagieren mit verstärktem Pestizid-Einsatz auf die Pilzkrankheiten, teilweise werden Cocktails von mehreren Mitteln gleichzeitig ausgebracht mit mehr als 20 Spritzungen bis zur Lese.
Die Biowinzer können lediglich Kupferverbindungen ausbringen und haben sehr viel größere Probleme. „Wir müssen neue Wege suchen“, sagt Paulin Köpfer. Biopionier, Vorstand der Vereinigung der Ökowinzer Ecovin in Baden und zugleich Betriebsleiter beim Weingut Zähringer. Seine Lesemannschaft hat, je nach Rebsorte, „nur 30 bis 50 Prozent der Normalernte“ eingebracht. Hauptplage war auch in diesem Jahr der falsche Mehltau, eine Pilzkrankheit, die nach Köpfers Beobachtung in den vergangenen Jahren immer virulenter geworden ist. Früher sei er mit vier bis fünf Kupferspritzungen gut ausgekommen, aktuell waren 15 Behandlungen nötig. Und trotzdem gab es starke Verluste.
Der 2021er könnte trotz allem schmecken
Die Weintrinker werden das kaum spüren. Auch aus diesem schwierigen Jahr wird man gute Weine trinken können. „Die Natur gibt uns nicht nur das Böse“, resümiert Paulin Köpfer. Die stark dezimierten Trauben, sagt er, hatten eine gute Balance und viel Geschmack. Und endlich auch wieder schöne Säurewerte, nachdem viele Winzer in den drei Hitzejahren zuvor immer wieder mit Säureinjektionen nachhelfen mussten, um die Moste zu stabilisieren und die Weine attraktiver zu machen. Der Jahrgang 2021 wird schlankere, rassigere Tropfen bringen. Vor allem aber wird er die Frage aufwerfen, wie sich die Biowinzer künftig besser gegen Pilzkrankheiten wappnen können. Die Branche ist alarmiert.
Die Sommer sind nicht nur heißer geworden. In manchen Jahresläufen bringt permanent feuchtwarmes Wetter ideale Bedingungen zur Ausbreitung von Pilzinfektionen. Schon 2016 war solch ein extremer Jahrgang. 2021 brachte den bisher schlimmsten Sommer überhaupt, an den sich der Geisenheimer Weinbauprofessor Randolf Kauer erinnern kann. Kauer hat die einzige Professur für ökologischen Weinbau in Deutschland inne. Er ist Ende Oktober kaum zu erreichen, weil er im eigenen Bio-Weingut in Bacharach die letzten Rieslinge reinholt. Auch Kauer hat bei etlichen Parzellen gut ein Drittel weniger geerntet. Was tun?
Der Bio-Professor kämpft seit Jahren für die Wiederzulassung des Pflanzenstärkungsmittels Kalium-Phosphonat für den ökologischen Weinbau. Dann hätten die Biowinzer endlich eine zweite Waffe gegen die Peronospora. Doch in der EU würden vor allem die Weinbauländer Italien und Frankreich, die selbst weniger Pilzprobleme haben, diesen Schritt immer wieder blockieren, sagt Kauer. Phosphonate sind ein sogenanntes systemisches Mittel, sie werden im Gegensatz zum Kupfer, das sich schützend über die Blattoberflächen legt, von der Pflanze aufgenommen und sind deshalb nicht zugelassen. Kauer hält sie für toxikologisch unbedenklich, zumal sie in vielen anderen Ländern erfolgreich eingesetzt werden. Rechtzeitig ausgebracht, stärken sie die Rebstöcke; sie könnten sich besser gegen Pilzbefall wehren, „die Reben sind dann einfach fitter“, sagt Kauer.
Auch die Rebenzucht könnte helfen. In den vergangenen Jahren wurden eine Reihe von pilzwiderstandsfähigen Rebsorten – die berühmten „Piwis“ – wie Regent, Johanniter und andere Trauben gezüchtet, die in etlichen Biobetrieben mit Erfolg kultiviert werden. Doch die große Mehrheit der Kundschaft zögert, sie trinkt lieber Klassiker wie Riesling, Sylvaner oder Spätburgunder. Es gibt immerhin Hoffnung: Die gegen Pilzkrankheiten wirksamen Genabschnitte der Piwis sind identifiziert und könnten womöglich züchterisch – auch ohne Genmanipulation – auf die klassischen Rebsorten übertragen werden. Das allerdings dürfte noch einige Jahre dauern.
Gegen den leichter zu bekämpfenden echten Mehltau können Biobetriebe Schwefel spritzen und auch Hausmittel wie Backpulver und Fenchelöl einsetzen. Beim falschen Mehltau haben sie im Ernstfall nur das Kupfer. Doch das bewährte Pilzmittel schädigt das Bodenleben, es reichert sich in den Weinbergen an und die Abdrift belastet auch Gewässer und andere Biotope. Das Umweltbundesamt hat die Toxizität von Kupfer wiederholt kritisiert. Deshalb ist bei den Biobetrieben der Kupfereinsatz auf drei Kilo je Hektar minimiert worden. In diesem Jahr mussten viele Betriebe auf vier Kilo hochgehen und die Überschreitung den Kontrollbehörden melden. Als Konsequenz müssen sie in den nächsten Jahren weniger spritzen, um langfristig die Drei-Kilo-Grenze einzuhalten. Doch selbst zweimal wöchentlich eingesetztes Kupfer konnte den Pilz dieses Jahr in vielen Regionen nicht bändigen.
Mit Kompostbrühe den Pilz abwehren
Biobetriebe wie der von Robert Kroninger, die auch auf Kupfer verzichten, hatten keine Chance. Der badische Nebenerwerbswinzer besitzt kleine Burgunder-Flächen, die noch bis Mitte Juli „sehr gut ausgesehen“ haben, dann aber unter permanentem Infektionsdruck „schnell zusammengebrochen“ sind. Kroninger gehört zu jenen experimentierfreudigen Pionieren, die unkonventionelle Wege gehen und probiotischen Pflanzenschutz anwenden. Er bringt dazu Pflanzenextrakte von verschiedenen Kräutern, von Wermut und Weidenrinde aus. Vor allem aber setzt er auf Kompost-Tee. Dazu wird eine stark bakterienhaltige Kompostbrühe gespritzt, deren Mikrobiom – die Gesamtheit der darin enthaltenen Mikroorganismen – sich als Abwehrriegel schützend auf den Blättern breitmacht. So findet der Pilz keine Angriffsfläche. Doch in diesem Sommer war die Peronospora stärker, Kroninger meldete Totalverlust.
Wer jetzt am Telefon einen greinenden Winzer erwartet, wird enttäuscht. Er habe sich darauf eingestellt, dass ihm seine Methode im Schnitt alle vier, fünf Jahre herbe Verluste bis hin zum Totalausfall bringt, sagt Kroninger. Die guten Jahre dazwischen müssten es dann eben ausgleichen. Seine Reben hätten den Pilzbefall trotz allem gut überstanden, seien gestärkt und „fit für die nächsten Jahre“. Mit seinem Weinhandel, den der badische Winzer ebenfalls betreibt, ist er existentiell abgesichert. Kroninger will auch künftig den probiotischen Weg weitergehen. Vielleicht hat er Glück. Auf das Schreckensjahr 2021 sollten rein statistisch wieder einige trockene Hitzejahre folgen. Dann wird die künstliche Bewässerung wieder das große Thema im deutschen Weinbau.