„Aus der Küche heraus die Welt verändern“: Ohne Gastronomie keine Ernährungswende
Die Ziege also. Sie hat Slow Food Deutschland (SFD) in diesem Jahr ausgewählt, um am internationalen Tag der nachhaltigen Gastronomie (18.6.) die Kraft für die Umsetzung der Ernährungswende zu zeigen, die in vielen Profiküchen schlummert. Entsprechend gibt es in Restaurants und Lokalen bundesweit Menüs rund um den Wiederkäuer. Auch wenn so Fleisch als Lebensmittel in den Mittelpunkt zu rücken scheint, eignet sich das Tier dennoch besonders gut, um Wege einer nachhaltigeren Ernährungsweise exemplarisch aufzuzeigen. „Die Ziege ist immer ein gutes Thema und ein sehr nachhaltiges Tier“, sagt Jens Witt, Leiter der Chef Alliance dazu. Und tatsächlich: zwar gehört zu einer besseren Ernährungswelt auch weniger Fleischkonsum. Wenn aber Fleisch, dann gibt es kaum einen nachhaltigeren Fleischlieferanten als die Ziege, die in offener Weidehaltung Landschaftspflegerin, Artenschützerin und Nutztier in einem ist.
Genau diese Ganzheitlichkeit ist es, die SFD zu dem internationalen Aktionstag herausstellen möchte. Das wird während eines Mediengesprächs anlässlich des Tages, an dem sich Vertreter*innen aus der Chef Alliance sowie vom Genussführer beteiligen, schnell deutlich. „Die Gastronomie hat eine Schlüsselfunktion, indem sie zeigt, wie ganzheitliche Werte auf dem Teller umgesetzt werden können“, sagt die SFD-Vorsitzende Nina Wolff.
Tatsächlich sind die Chef*innen Multiplikator*innen zwischen Erzeugung, Verarbeitung und Gast. Indem sie vielfältige, frische und regionaltypische Lebensmittel mit kurzen Transportwegen einsetzen , tragen sie zum Schutz von Mensch, Tier, Umwelt und Klima bei. Dieses Engagement habe Vorbildcharakter und verdiene Wertschätzung, sagt Witt. „Wenn diese ‚Netzwerkgastronomie‘ weiter wächst, sich ihr immer mehr Köch*innen der Außerhausverpflegung anschließen, gewinnen wir an Strahlkraft und ermutigen eine wachsende Anzahl an Menschen, ganzheitlich gesunde Ernährung mit guten Grundnahrungsmitteln auch in den eigenen vier Wänden umzusetzen. Wir brauchen diesen Dominoeffekt für die so wichtige Ernährungswende.“
Ernährungswende positiv aufladen
Ähnlich sieht es Nina Wolff an diesem Tag. „Die Gastronomie hat eine ganz wichtige Bedeutung für den notwendigen Wandel hin zu einer Ernährungsweise, die in Einklang steht mit der Belastbarkeit des Planeten.“ Denn der Gastronomie könne es gelingen, diese Ernährungsweise nicht nur praktisch umzusetzen – sondern auch positiv aufzuladen. „Diese Angemessenheit steht eben nicht im Gegensatz zu Genuss“, sagt Nina Wolff. Und Witt ergänzt: „Die Bedeutung des Lebensmittelsystems für die globale Zukunft wird unterschätzt, und dafür sind wir Botschafter*innen, die das mit Leben füllen.“
Sebastian Junge ist einer der Köche, die das ganz praktisch umsetzen. Er ist nicht nur Mitglied in der Chef Alliance, sondern mit seinem Hamburger Lokal Wolfs Junge auch einer der Shooting-Stars unter den jungen, nachhaltigen Köch*innen im Norden. Sein regionales Fine Dining, komplett in Bio-Qualität, vereint Nachhaltigkeit und Genuss. Er sagt: „Mit Freude am Handwerk kann man Menschen begeistern. Zeigen, was es heißt, sich mit Produzent*innen auszutauschen, wie Lebensmittel aus der Region schmecken, was Handwerk leisten kann. Das sorgt für Begeisterung und Genuss.“
Die Genussführer-App weist den Weg
Genau das ist ja auch das Hauptziel der Chef Alliance, in der sich nachhaltig arbeitende Chefs und Chefinnen unter dem Dach von Slow Food versammeln. Sie haben bereits vor Jahren damit begonnen, den Genuss um die Verantwortung zu ergänzen. Dass sich immer mehr auf diesen Weg machen, spiegelt sich im stetig wachsenden Netzwerk der Chef Alliance sowie im Genussführer wieder. Beides sind wichtige Orientierungshilfen bei der Suche nach Gastronom*innen, die nachhaltig wirksam sind; die neue Genussführer-App ebnet den Weg mit nur wenigen Klicks. „Wir hoffen, dass Verbraucher*innen die App nutzen, um die Gastronomie nach den langen herausfordernden Monaten des Lockdown zu unterstützen“, erklärt Wieland Schnürch, Leiter des Genussführer-Herausgeberteams.
Für Sebastian Junge geht Ganzheitlichkeit aber noch über die eigentliche Küche hinaus. „Wir wollen umfassend nachhaltig arbeiten, das geht bis dahin, wie sich ganze Abläufe nachhaltig gestalten lassen“, sagt er. Gerade solche Betriebe, da sind sich die Teilnehmenden des Slow-Food- Pressegesprächs einig, braucht es in der Gastronomie vermehrt. Aber gerade diese hatten es in den Corona-Monaten besonders schwer. Denn viele nachhaltige Gastronomie arbeitet oft immer noch finanziell unter angespannten Verhältnissen – weil sie mit allen Partner*innen fair umgehen, dennoch aber in Teilen im Preiswettbewerb stehen, sind oft keine großen Rücklagen möglich.
Verbraucher*innen und Politik gefordert
Das muss sich ändern. Sebastian Junge sagt mit Blick auf die Gäste: „Wir brauchen auch ein Umdenken in Sachen Bezahlung: handwerkliche Arbeit kostet eben und das muss auch wertgeschätzt werden.“ Auch Nina Wolff will sich dafür einsetzen, dass Verbraucher*innen den besonderen Einsatz von nachhaltigen Gastronom*innen wertschätzen.
Ohne politische Unterstützung jedoch führt das nicht zum Ziel. „Die Hilfen aus der Politik reichen nicht, wir brauchen auch ein Zeichen“, sagt Jens Witt. „Das wird interessant, wie die Politik sich in Sachen Gemeinschaftsverpflegung positionieren wird. Aber es geht schon auch nicht nur um Geld. Da geht es auch um den Umgang miteinander und die gegenseitige Wertschätzung.“ Um nachhaltigen Gastronom*innen ihre wichtige Arbeit zu erleichtern, fordert Slow Food politische Unterstützung und Förderung. Nina Wolff ergänzt: „Seit der Corona-Pandemie genießt Regionalität wieder einen höheren Stellenwert. Daraus solle die Politik Schlussfolgerungen ziehen und Anreize für Gastronomie und Erzeugung setzen, vermehrt Regionales anzubieten“.
Weitere Informationen zum Tag der nachhaltigen Gastronomie 2021 finden Sie >> hier