Das wird scharf – Slow Food und die Bundestagswahl
Und dann stehen die Begriffe „Vielfalt“ und „Leben“ im Mittelpunkt, die auch gleich das Dilemma der deutschen Ernährungspolitik umreißen. „Vielfalt“ und „Leben“, das sind die zwei Begriffe, die die Teilnehmer*innen eines politischen und digitalen Kochabends von Slow Food Youth und Slow Food Deutschland mit dem Thema Saatgut verbinden. „Vielfalt“ und „Leben“, das sind aber nicht unbedingt die Begriffe, die die Politik im Umgang mit Saatgut derzeit in den Mittelpunkt stellt.
Genau darum geht es bei einer Kampagne von Slow Food, die mit einem Kochabend nun startete: Die Politik zu ermuntern, die Erwartungen der Menschen an die Ernährungs- und Landwirtschaftspolitik und die Inhalte der Regierenden in diesen Fragen zueinander zu bringen. Deswegen wirbt Slow Food in den nächsten Monaten dafür, die Bundestagswahl zur Ernährungswahl zu machen.
„Unsere Politik hat bislang leider nicht genügend an die Jugend und die Zukunft gedacht“, sagte Nina Wolff, amtierende Vorsitzende von Slow Food Deutschland zum Start der Kampagne ‚Zukunft würzen. Für eine Ernährungspolitik, die schmeckt’. „Die Politik, die bisher gemacht wurde, ist einfach schlecht. Wir sollten politisch Verantwortlichen eine Chance geben, es nun besser zu machen und eine Zukunft in unseren Küchen, in unserer Landwirtschaft zu kreieren, die funktioniert.“ Und auch Nelia Häuser aus dem Leitungsgremium von Slow Food Youth sagte: „Wir brauchen jetzt eine Ernährungs- und Agrarwende.“
Sieben Forderungen haben die Aktiven von Slow Food deswegen rund um die Bundestagswahl an die Politik formuliert. Da geht es um Klimaschutz und Tiergesundheit genauso wie weniger Essensverschwendung und die Schaffung einer integrierten Ernährungspolitik. Warum diese Forderungen so wichtig sind, zeigte zum Auftakt der Kampagne das Thema Saatgut.
Warum Saatgut-Freiheit gefährdet ist
Einerseits ist freies Saatgut die Grundlage nicht nur unserer Ernährung, sondern auch unserer kulinarischen Vielfalt sowie der Vielfalt unseres Lebensmittelhandwerks – wie Katharina Bäcker vom Frankfurter Restaurant beet root während des gemeinsamen Digital-Kochens mit ziemlich ausgeprägter Sortenvielfalt zeigte. Andererseits ist diese Freiheit des Saatguts massiv bedroht. Das liegt vor allem daran, dass große Konzerne, geduldet von der Politik, über Patente die Rechte an immer mehr Pflanzen und Tieren kontrollieren wollen. Und zwar nicht nur an gentechnisch veränderten Sorten, sondern auch an solchen, die durch natürliche Züchtung entstehen.
„Bäuerinnen und Bauern sollten freien Zugang zu Saatgut haben, der ihnen aber derzeit enorm erschwert wird, auch immer mehr durch Patente, die Konzerne auf Pflanzen und Tiere halten“, sagte Johanna Eckhardt, Projektkoordinatorin bei No Patents on Seed. „In den letzten Jahren hat sich etabliert, dass Patente auf Pflanzen und Tieren erteilt werden – auf solche, die gentechnisch verändert gezüchtet werden, aber auch aus konventioneller Zucht.“
Eine Gefahr in drei Zahlen
Wie groß dieses Problem ist, lässt sich an drei Zahlen festmachen:
- 100 Patentanmeldungen auf Pflanzen, die mit ganz normalen natürlichen Verfahren gezüchtet wurden, erreichen das Europäische Patentamt derzeit pro Jahr.
- 20 Prozent dieser Anmeldungen werden sogar genehmigt. Das heißt jedes Jahr erhalten Konzerne die exklusiven Vermehrungsrechte an 20 auf natürlichem Wege gezüchteten Pflanzen- oder Tierarten.
- 200 Pflanzen und Tierarten stehen in Europa bereits unter Patentschutz – dürfen also selbst auf natürliche Weise nicht mehr von jedem, sondern nur noch von den Patenteinhaber*innen vermehrt werden.
Die Beispiele sind vielfältig: Der Braukonzern Carlsberg hat sich so etwa Braugerste patentieren lassen, der Saatgutkonzern Syngenta eine Tomatensorte. Ein anderes Unternehmen versucht, einen hitzeunempfindlichen Salat von der Allgemeinheit fernzuhalten. Und BayerMonsanto wollte sich die so genannte indische Melone patentieren lassen, weil diese vermutlich in bestimmten Fällen virenresistent ist. Dieses Patent wurde nun allerdings widerrufen. Für Johanne Eckhardt steht dennoch fest: „Deshalb müssten innerhalb des Europäischen Patentamtes die Regeln konkreter formuliert werden, um solche Versuche zu beenden.“ Und diese Konkretisierung wird nur auf Druck durch die europäischen Regierungen erreicht.
Druck von außen wirkt
Dass Druck etwas bewirkt, um das Saatgut zu schützen, zeigt auch das Beispiel der Tomatensorte, die Syngenta sich schützen lassen wollte: Nach 65.000 Einsprüchen aus der Zivilgesellschaft gegen die Patentierung, zog das Unternehmen den Antrag wieder zurück. Druck aus der Bevölkerung hilft also. Ein gutes Omen für die Ernährungswahl-Kampagne von Slow Food.
Die thematischen online Koch-Kurse zu einzelnen Forderungen gehen übrigens weiter:
- 18.05: Make Hum(m)us – not Climate Change
- 01.06.: Hätte, Hätte, faire Kette
- 15.06.: Wir essen auf fürs Klima
Autor: Sven Prange