„Europa müsste die Umstellung auf ein System, das das Gemeinwohl fördert, viel konsequenter vorantreiben“
Phillip Brändle, Europas Agrarpolitik wird gerade umgebaut. Sind Sie zufrieden?
Die vorgeschlagenen Veränderungen hin zu mehr Ökologie und Tierwohl in der europäischen Agrarpolitik gehen zwar zaghaft in die richtige Richtung, bleiben aber deutlich hinter dem zurück was notwendig ist. Bezüglich ihrer sozialen Gerechtigkeit, also der Stärkung kleinerer und mittlerer bäuerlicher Betriebe und des Verbots außerlandwirtschaftlicher Investoren aus der Förderung sind die Reformvorschläge eine Farce.
Inwiefern hätten Europas Politiker*innen Punkte, die dem Gemeinwohl dienen, stärker berücksichtigen können?
Der Deutsche Verband für Landschaftspflege (DVL) und die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) haben bereits vor Jahren alternative Fördersysteme entwickelt, die landwirtschaftliche Betriebe anhand eines Punktesystems für deren Umwelt- und Tierwohlleistungen entlohnen statt die reine Flächenbewirtschaftung zu fördern. Ein solches System würde viele Bäuerinnen und Bauern konkret motivieren, mehr für das Gemeinwohl zu tun und gleichzeitig deren ökonomische Situation verbessern. Die Umstellung auf ein System, das das Gemeinwohl fördert, zeichnet sich zwar ab – müsste aber viel konsequenter und für die landwirtschaftlichen Betriebe planbarer vollzogen werden.
Wie könnte man Landwirtinnen und Landwirte durch Politik ermuntern, Biodiversität zu fördern?
In der kommenden Förderperiode der europäischen Agrarpolitik (GAP) wird das neue Instrument der sogenannten Öko-Regelungen eingeführt. Damit können Bäuerinnen und Bauern hier mit Maßnahmen zur Förderung der Biodiversität Geld verdienen. Das Budget der Öko-Regelungen ist allerdings nicht ausreichend groß. Und: Viele Maßnahmen wie die Weidehaltung von Milchkühen oder die Stärkung einer vielfältigen Agrarstruktur mit kleinen Äckern werden in den Öko-Regelungen nicht angeboten.
Wie wichtig ist die Förderung regionaler Wertschöpfungskreisläufe durch die Politik?
Die landwirtschaftlichen Betriebe in Deutschland und der EU sind aufgrund der im globalen Vergleich hohen Produktionskosten auf dem Weltmarkt langfristig nicht konkurrenzfähig. Entsprechend wichtig ist doch folgendes: Europas Agrarpolitik muss in Zukunft stärker die lokale Qualitätsproduktion samt der damit verbundenen regionalen Wertschöpfungsketten statt die durchrationalisierte Produktion für den Weltmarkt fördern. Das ist gemeinwohlorientierte Agrarpolitik aus bäuerlicher Sicht!
Tun Bundes- und Landesregierungen genug, um die Farm-to-Fork- und die Biodiversitätsstrategie der EU umzusetzen – also die bäuerliche und nachhaltige Landwirtschaft zu fördern?
In der konkreten agrarpolitischen Auseinandersetzung ziehen sich die verantwortlichen Politiker*innen in Deutschland und der EU oft darauf zurück, dass die Farm-to-Fork und die Biodiversitätsstrategie noch kein geltendes Recht sind, sondern lediglich Absichtserklärungen. Fakt ist aber, dass die in den Strategien formulierten Anliegen hoch aktuell und schlicht notwendig sind. Insbesondere Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner würde gut daran, tun die nationale und europäische Agrarpolitik sehr viel präziser auf die in diesen Strategien formulierten Ziele auszurichten.
Wie ließen sich die sozialen Rechte von Beschäftigten in der Landwirtschaft durch die Poltik verbessern?
Insbesondere die europäischen Sozialdemokraten sind stolz darauf, dass ab der kommenden Förderperiode der europäischen Agrarpolitik sogenannte Grundanforderungen erfüllt werden müssen, mit denen etwa Sozialdumping verhindert werden soll. Ansonsten bekommt der entsprechende landwirtschaftliche Betrieb keine oder weniger Fördermittel. Wie wirksam diese Grundanforderungen sind, muss nun die Praxis zeigen. Sollten die Schritte für mehr soziale Gerechtigkeit nicht wirken, muss nachgeschärft werden.
Die Fragen stellte Sven Prange.
Ko-finanziert von der Europäischen Union.
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