Gesunde Welt, gesunder Mensch: Landwirtschaft und Ernährung jetzt umbauen
Versorgung in der Pandemie, Klimakrise, Artensterben: In kaum einem Bereich laufen die großen Herausforderungen unserer Zeit so zusammen, wie in der industriellen Landwirtschaft. Sie verursacht und ist zugleich anfällig für systemische Krisen : Indem sie zu viel CO2 ausstößt, zu viel Pestizide einsetzt, zu viel Fleisch produziert. Und indem sie die Menschen im Agrarsystem ausbeutet, wie die aktuellen Landwirt*innen-Demos vor Supermärkten zeigen. Oder anders gesagt: Die Art, wie der Großteil der Land- und Lebensmittelwirtschaft arbeiten, führt immer weiter in eine Sackgasse – und bisher ist es niemandem gelungen, auf diesem Weg zu bremsen. Das ist in etwa das Fazit des diesjährigen Kritischen Agrarberichts, den das ArgarBündnis, ein Zusammenschluss von 26 Organisationen aus dem Spektrum nachhaltiger Land- und Lebensmittelwirtschaft, erstellt hat. Titel: „Welt im Fieber – Klima & Wandel.“
„Die Corona-Krise verdeutlicht einmal mehr, dass die menschliche Gesundheit, das Wohlbefinden von Tieren und die planetare Gesundheit nicht isoliert betrachtet werden dürfen und ganz wesentlich von der Art und Weise abhängen, wie wir Nahrungsmittel produzieren, verarbeiten, handeln und konsumieren“, heißt es in dem Bericht, den mehr als ein Dutzend Fachautoren aus Wissenschaft, Politik, Landwirtschaft und Verbraucherorganisationen verfasst haben. Dabei stellt der Bericht, neben einem generell bedenklichen Gesamtzustand der Landwirtschaft, drei Hauptbaustellen heraus: Die soziale Situation auf den Höfen, die Mit-Verantwortung der Landwirtschaft für die Lösung von Klimakrise und Artensterben, sowie die Frage nach mehr Tierwohl.
Klimakrise und Artensterben: Myriam Rapior, Bundesvorstand der BUNDjugend, warnte während der Vorstellung des Berichts davor, dass in Zeiten der Corona-Pandemie die Zwillingskrise aus Klimawandel und Artensterben vergessen wird: „Unsere Bauernhöfe müssen umwelt- und klimaschonend werden, dafür müssen wir die Agrarwende schnellstmöglich angehen. Die Landwirtschaft kann Teil der Lösung der Klimakrise sein, doch sie braucht die Unterstützung der Bevölkerung und der Regierenden.“
Tiere: Zu viel Nitrat im Boden, desaströse Zustände in vielen Ställen, Skandale in Schlachtbetrieben. Die deutsche Landwirtschaft hat ein Tierproblem. „Zentraler Bestandteil einer umfassenden Agrar- und Ernährungswende ist die drastische Reduktion der Tiernutzung und die gezielte Förderung vegetarischer und veganer Ernährungsstile“, sagt BUND-Aktivistin Myriam Rapior. Für Thomas Schröder, Präsident des Deutschen Tierschutzbundes, gelingt mehr Klimaschutz nur im Schulterschluss mit mehr Tier-, Arten- und Umweltschutz: „Konsum und Produktion von tierischen Produkten müssen erheblich gesenkt werden.“
Wirtschaftliche Lage: Ob das Auf und Ab bei Schweinepreisen, die Dauerturbulenzen am Milchmarkt oder das immer weitere Steigen der Bodenpreise: Der Bericht macht auf die prekäre wirtschaftliche Situation auf vielen Höfen aufmerksam. Philipp Brändle von der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) sagt: „Fakt ist auch, dass die wirtschaftliche Situation vieler Betriebe aufgrund einer über Jahrzehnte auf Intensivierung getrimmten Agrarpolitik sowie unanständig niedriger Erzeugerpreise oft desaströs ist.“
Das Berichts-Bündnis plädiert deswegen dafür, bei der anstehenden Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) der EU das Instrument der sogenannten Öko-Regelungen gezielt und umfangreich zu nutzen. Diese Eco-Schemes böten die Chance, Höfe für gesellschaftlich gewünschte Ziele zu honorieren – und so gleichzeitig Nachhaltigkeit und wirtschaftliche Situation der Betriebe zu verbessern.
Das schlägt auch die Brücke zum Beitrag von Slow Food Deutschland zum Kritischen Agrarbericht. Im Zusammenspiel von Praktikern und Wissenschaftlern entstand in den vergangenen Jahren eine Studie zu Umweltgerechtigkeit und Nachhaltigkeit in der Milchwirtschaft. Eine der Kernbotschaften: Höfe sollten nur so viel Milch produzieren und so viele Kühe halten, wie sie von ihren Flächen ernähren können. Genau darin sieht Slow Food-Projektbeauftragte und Studien-Autorin Andrea Lenkert-Hörrmann einen Auftrag an die Agrarpolitik: „Die Eco-Schemes bieten die Chance, Landwirtinnen und Landwirte an den richtigen Stellen zu fördern.“ Ein Hof müsse so unterstützt werden, dass er auch mit weniger Tieren wirtschaften könne. „Gutes Weidemanagement ist die beste Voraussetzung für den Schutz von Klima und Artenvielfalt und sollte honoriert werden“, sagt Lenkert-Hörrmann. „Dann führen Eco-Schemes auch zu einer nachhaltigen Milchwirtschaft.“
Höfe besser für gesellschaftliche Leistung zu entlohnen, würde auch ein anderes Problem lösen – die zunehmenden Feindbilder zwischen unterschiedlichen Lagern in der Agrardebatte. Fortschritt, betonen die Beteiligten der Studie, geht nur, wenn die Menschen in der Landwirtschaft nicht gegeneinander streiten. Frieder Thomas, Geschäftsführer des Agrarbündnisses, sieht immerhin dafür gute Ansätze: „Mittlerweile gehen auch diejenigen auf die Straße, die dem System gefolgt sind.“
Autor: Sven Prange