"Ich kann der Natur doch nicht böse sein"
Herr Bäcker, Sie sind Bio-Winzer in Ahrweiler, mitten im Katastrophengebiet. Als vergangene Woche die Flut kam: Wann haben Sie gespürt, dass sich größeres Unheil zusammenbraut?
Christoph Bäcker: Das hat gedauert. Bei uns hat es nämlich gar nicht so fürchterlich geregnet. Die Regenmenge hätte allenfalls für ein leichtes Hochwasser gereicht. Es war die Flutwelle, die von der oberen Ahr kam, die Gefahr war schwer einzuschätzen.
Wann wurde Ihnen klar, dass die Lage tatsächlich katastrophal werden könnte?
Bäcker: Die Warnungen haben wir natürlich gehört, aber sie waren sehr dezent, nicht so, dass man wirklich alarmiert gewesen wäre. Ich habe im Fernsehen die Aussagen des Wetterdienstes verfolgt, aber diese Dramatik war nicht vorherzusehen. Richtig ernst wurde es erst am Abend, als die Höchststände des Hochwassers von 2016 überschritten wurden. Da wusste ich, es wird schlimm, das war kurz vor dem Dunkelwerden. Der Pegel stieg rasend schnell, man konnte zugucken, wie ganze Uferbereiche im Wasser verschwanden.
„Wir hatten noch nie Wasser im Keller“
Gerät man in solch einer Situation in Panik, was kann man tun?
Bäcker: Nein, wir waren nicht panisch. Wir hatten in unserem Betrieb, obwohl wir im Risikogebiet leben, noch nie einen einzigen Tropfen Wasser im Keller und sind erst mal ruhig geblieben. Wir haben zuerst unsere Fahrzeuge in Sicherheit gebracht. Als das Wasser weiter stieg und über die Straße in unser Haus floss, haben wir die wichtigsten Unterlagen zusammengepackt: Impfausweis, wichtige Dokumente, Unterlagen für die Buchführung. Das haben wir in die obere Etage gerettet. Allerdings wussten wir nicht, ob die Fenster halten und ob das ganze Haus volllaufen wird.
Nach bisherigen Informationen gibt es keine Toten in der Winzerschaft, aber Dörte und Meike Näkel vom Weingut Meyer-Näkel sind von der Flut mitgerissen worden; sie konnten sich auf einen Baum retten, auf dem sie sieben Stunden lang auf Hilfe warten mussten.
Bäcker: Ja, die Tankstellenbesitzerin bei uns hat mir das berichtet, es gab auch Bilder dazu im Fernsehen. Vermutlich sind die beiden zu ihrem Weinlager gegangen, um noch einige Dinge zu retten und sind von der Flut überrascht worden.
Viele Weinbaubetriebe sind komplett zerstört. Wie stark hat es Sie selbst erwischt, was ist von Ihrem Betrieb übrig geblieben?
Bäcker: Nicht viel. Die abgefüllten Flaschen sind okay. Aber vor allem die Maschinen sind hinüber: Gabelstapler, Kelter, Traubenmühle, Pumpen, aber auch die Barriquefässer, die großen Holzfässer. Das hat eine Dimension, die ich noch gar nicht abschätzen kann. Und wir haben kein Gas, kein Wasser, keinen Strom, kein Internet. Natürlich machen mir auch die Weinberge große Sorgen, die ich nicht vor den jetzt um sich greifenden Pilzkrankheiten schützen kann.
Wegen der Feuchtigkeit im Ahrtal breitet sich der falsche Mehltau aus. Jetzt werden aus Hubschraubern großflächig Fungizide gesprüht, um den Jahrgang 2021 zu retten.
Bäcker: Meine eigenen Bioflächen werden vermutlich auch besprüht, dagegen kann ich mich nicht wehren und es ist vermutlich sogar die einzige Möglichkeit, damit wir im Herbst überhaupt etwas ernten können. Am Montag kommen Kollegen von der Mosel, die mir hoffentlich helfen, meine Weinberge ökologisch korrekt übers Jahr zu bringen.
Es gibt vielleicht keinen waschechten Biowein, aber wenigstens eine Ernte?
Bäcker: Ich hoffe auf eine Sondergenehmigung für meine Bioweine. Diese Katastrophe ist nun wirklich ein Härtefall, den ich nicht verschuldet habe.
"Wohin mit den Trauben des neuen Jahrgangs 2021?“
Können Sie den 2021er Jahrgang bei befreundeten Winzern ausbauen?
Bäcker: Das wird schwierig. Da müsste ich die Trauben an die Mosel fahren. Ich weiß es einfach nicht. Wir brauchen Ersatzmaschinen und Lagertanks, dann müssen wir hoffen, dass es überhaupt noch etwas zu ernten gibt.
Wie sieht es bei den anderen Weingütern aus?
Bäcker: Die meisten liegen direkt an der Ahr und sind extrem betroffen. Es gibt ein einziges Weingut auf dem Berg, alle anderen hat es voll erwischt. Ich habe bisher nur mit einem Kollegen sprechen können. Im Moment kümmert sich jeder um seine eigene Katastrophe. Man kommt ja nirgendwo hin, auch nicht in die Weinberge.
Herr Bäcker, Sie sind seit 1990 Biowinzer, sie waren der erste an der Ahr. Sie sind engagiert im Umwelt- und Klimaschutz: keine unnötigen Kapseln an der Flasche, keine Banderolen, keine Pestizide, kein Kunstdünger. Sie haben sich mit der Natur verbündet. Jetzt hat die Natur ihre Existenz brutal attackiert. War alles Engagement vergeblich?
Bäcker: Ich kann der Natur doch nicht böse sein. Die Natur ist genau so, wie die Menschheit sie zugerichtet hat. Wir müssen jetzt die Ärmel hochkrempeln und weitermachen, auch wenn es schwer fällt. Ich habe familiäre Unterstützung, bin einigermaßen abgesichert, selbst wenn dies der Todesstoß für meinen Betrieb war.
Kann ihr Weingut ohne Abrissbirne wieder instandgesetzt werden?
Bäcker: Ich hoffe, es geht ohne Abrissbirne, aber ich weiß nicht, ob der Betrieb am Leben bleibt. Das hängt von vielen Entwicklungen ab. Werden sich die Weinberge erholen? Gibt es überhaupt eine Ernte? Wann kann ich wieder Wein verkaufen? Wann kommen wieder Besucher ins Ahrtal? Es wird viele Monate dauern, bis die Schäden halbwegs beseitigt sind. Diese Zeit zu überbrücken, das kann ich mir gegenwärtig nicht vorstellen.
Wie sieht es aktuell mit den Grundbedürfnissen aus: essen, trinken, schlafen, duschen, Toilette benutzen?
Bäcker: Da haben wir Glück. Wir sind in der Nähe in einer Schule untergekommen. Später können wir vielleicht bei Freunden unterschlüpfen. Unser eigenes Haus ist hoffentlich nicht unbewohnbar, da müssen jetzt die Statiker ran. Ist das Haus noch sicher? Zum Glück liegen Küche und Schlafzimmer im oberen Geschoss und sind unversehrt. Wir brauchen wieder Strom, Gas, Wasser. Dann kommt eine lange schwierige Renovierung, bis wir wieder ein liebenswertes Zuhause haben. Aber wo kriegen wir Handwerker her? Und Baumaterial? Vielleicht ist nächstes Jahr um diese Zeit das Weingut wieder aufgebaut.
"Wenn ich in den Weinkeller gehe, dann …“
Mit welcher Zuversicht beginnen Sie jetzt den Neuaufbau?
Bäcker: Manchmal, wenn ich sehe, welche Hilfe hier ankommt, bin ich ganz optimistisch. Da ist die Bundeswehr, das THW, da sind die Feuerwehren und private Helfer aus allen Ecken der Republik. Freunde meiner Tochter sind mit einem großen Trupp gekommen, haben Schlamm aus dem Keller geholt, eingestürzte Mauern abgetragen, eine wahnsinnige Unterstützung. Aber wenn ich in den Weinkeller gehe, dann kommen mir die Tränen.
Wie geht es Ihnen, wenn Sie Herrn Laschet zuhören, der hier durch den Schlamm marschiert und sich als Klimaschützer inszeniert?
Bäcker: Tut mir leid, aber das ist einfach lächerlich. Das sind dieselben Sprüche, die nach jedem Hochwasser und nach jeder Katastrophe kommen. Die Lehren, die wir jetzt ziehen sollten – da passiert nichts. Der Kohleausstieg wird irgendwann kommen, viel zu spät. Das macht einen nur noch wütend.
Die Solidarität ist gewaltig, auch aus dem Ausland kommen viele Hilfsangebote. Halten die Winzer in der Krise zusammen?
Bäcker: Ich glaube schon, dass diese Katastrophe die Winzer zusammenschweißt. Meine Sorge ist allerdings, dass die Solidaritätswelle schnell wieder verebbt. Aus dem Auge, aus dem Sinn. Wir brauchen Hilfe über einen langen Zeitraum.
Was kann man den betroffenen Weingütern Gutes tun?
Bäcker: Wein von der Ahr trinken! Das wäre die größte Unterstützung. Das ist noch befriedigender als finanzielle Hilfe.
Haben Sie überhaupt noch Wein zum Verkaufen?
Bäcker: Die Weinflaschen, die in den Gitterboxen überlebt haben, sind in einem fürchterlichen Zustand und müssen alle neu etikettiert werden. Aber der Wein ist nicht verdorben.
Christoph Bäcker, Jahrgang 1961, erster Bio-Winzer an der Ahr (seit 1990), führt ein kleines Familien-Weingut mit nur 2,5 Hektar Rebfläche in Ahrweiler. Die Jahresproduktion liegt bei 20.000 Flaschen. Der Bio-Betrieb ist Mitglied im Bundesverband Ökologischer Weinbau und hat sich vor allem mit ausgezeichneten Früh- und Spätburgundern einen Namen gemacht. Bäcker ist verheiratet und hat zwei Kinder. Im benachbarten Mayschoß hat das Weingut eine Außenstelle.