Nicht nur der Preis ist heiß
Wenn man Heinz und Renate Bursch nach Fairness auf ihrem Betrieb fragt, verweisen sie auf ihre Mitarbeiter*innen. Die Geschwister, die in Bornheim bei Bonn einen biodynamischen Gemüse- und Obsthof bewirtschaften, können dann von Löhnen über dem Mindestlohn, verlässlichen Anstellungsverhältnissen oder kostenlosem WLan für Saisonarbeiter*innen berichten. Wenn man Theo und Frieda Degener nach Fairness auf ihrem Betrieb fragt, verweisen sie auf ihre Kühe. Die Betreiber des Klosterguts Heiningen im nördlichen Harzvorland berichten dann von deren Bedürfnissen, deren Interessen und warum nur fair behandelte Mitarbeiter*innen auch fair mit Tieren umgehen. Und wenn man Jürgen Maier nach Fairness in der weltweiten Landwirtschaft fragt, lacht der Entwicklungsexperte und Geschäftsführer des Berliner Forums Umwelt und Entwicklung erstmal. „Fairness, das ist ein ziemlich schillernder Begriff“, sagt er. Und führt dann aus, warum es dieser in unserer Land- und Lebensmittelwirtschaft so schwer hat.
Fairness ist nicht Ansichtssache, wohl aber Auslegungssache. Und ein Begriff, der sich wie kaum ein zweiter mit einem Fragezeichen versehen durch die gesamte landwirtschaftliche Wertschöpfungskette zieht. Den heimische Bäuer*innen, die sich durch Politik, Handel oder Verbraucher*innen nicht fair behandelt fühlen, bei ihren derzeitigen Protesten immer wieder anführen. Den Nichtregierungsorganisationen anmahnen, wenn sie sich etwa über die unfaire Verteilung von Agrarsubventionen echauffieren. Aber auch Bäuer*innen aus dem globalen Süden fordern Fairness ein, wenn sie nach Zugängen zu den lukrativen Märkten Europas und Nordamerikas verlangen.
Spannungsverhältnis: Sozial oder ökologisch
Das vorherrschende System jedenfalls ist in der Landwirtschaft für keinen der Beteiligten fair: Umwelt, Tiere, Mitarbeiter*innen arbeiten in einem Umfeld, das beständig Skandale produziert und an seine Grenzen stößt. Wie auch Klima- und Artenkrise, die eng mit der industriellen Landwirtschaft verknüpft sind, zeigen. Doch die Landwirt*innen profitieren nicht mal von dem System. Auch ihnen gegenüber ist es unfair: Die Zahl, gerade kleinerer und familiengeführter, Betriebe sinkt beständig. Vielen Höfen fehlen Nachfolger*innen, und wenn es die gibt, fehlen Rücklagen, um in die Zukunft zu investieren. Der Durchschnittsverdienst selbstständiger Landwirt*innen lag laut Bundeslandwirtschaftsministerium zuletzt um die 34.000 Euro brutto. Das liegt, selbst wenn man Unternehmer*innen herausrechnet, noch unter dem Durchschnittseinkommen in Deutschland – bei 60 Stunden Wochen und eher keinem Jahresurlaub.
Das schafft Spannungsverhältnisse, die nicht so einfach zu lösen sind. Das ganze Dilemma bringt etwa Boris Voelkel, dritte und derzeit geschäftsführende Generation der Wendländer Bio-Saft-Familie, auf den Punkt: „Je konsequenter man als Landwirt im jetzigen System nachhaltig arbeitet, desto selbstausbeuterischer bist Du zu Dir und womöglich Deinen Mitarbeitenden.“
Slow-Food-Jahresthema: Fairness
Wenn der Fairnessbegriff nicht ganzheitlich gedacht wird, schafft er neue Probleme. Oder anders gesagt: Es nützt nichts, mit den Tieren fair umzugehen, wenn dann die Mitarbeiter*innen leiden; es nützt aber auch nichts, die Mitarbeiter*innen fair zu bezahlen oder die Umwelt gut zu behandeln, wenn dann für die Bauernfamilie selbst nichts mehr übrigbleibt. Deswegen steht für Slow Food Deutschland fest: Fairness lässt sich nur ganzheitlich denken. Eine faire Landwirtschaft kann nur auf Betrieben stattfinden, die sowohl gegenüber den Menschen, wie auch Umwelt und Tieren fair sind. Entsprechend ist Fairness eines der zwei Schwerpunktthemen von Slow Food Deutschland in diesem Jahr. „In dem Wissen, dass eine faire Wertschöpfung von Lebensmitteln unser Miteinander und Leben auf dem Planeten maßgeblich bestimmt, ist es erschreckend, dass ausgerechnet in diesem Wirtschaftsbereich derart prekäre Bedingungen vorherrschen“, sagt die amtierende Slow Food Deutschland-Vorsitzende Nina Wolff. Das gilt für die gesamte Lebensmittelwirtschaft aber auch für jeden einzelnen Teil der Wertschöpfungskette.
Wie also rauskommen aus dem Dilemma? Nun, natürlich gilt, was Jürgen Maier sagt: „Es wird in einem unfairen Wirtschaftssystem keine Fairness geben.“ Nur: Es gibt eben schon Beispiele, die die Möglichkeiten der Einzelnen zeigen. Wer sich in der deutschen Landwirtschaft umschaut, entdeckt Beispiele für fairen Umgang mit Tier, Umwelt und Mensch.
Die Menschenfreunde vom Biohof Bursch
Der Biohof Bursch ist ein besonderer Betrieb. Nicht nur, weil die Geschwister Heinz und Renate Bursch bei Bornheim im Rheinland biodynamisch Obst und Gemüse in einer Gegend erzeugen, in der die Bioquote der Landwirtschaft bei deutschlandweit rekordschlechten Werten im niedrigen einstelligen Prozentbereich liegt. Sondern weil sie eine einzigartige Form von Betriebskonzept betreiben: Auf den 55 Hektar des Betriebs wachsen mehr als 60 verschiedene Kulturen – außerordentlich viel im Vergleich zu anderen Betrieben. Das ist nicht nur gut für die Böden, die von der hohen Biodiversität profitieren, sondern auch für den hohen Direktvermarktungsanteil über den eigenen Laden und Marktstände sowie die Bestückung der hofeigenen Konditorei, Bistro und Einmach-Küche ist das essentiell. „Mit einem so breiten Angebot können Sie natürlich länger und mehr direkt an die Kunden verkaufen“, sagt Lothar Tolksdorf, der auf dem Hof die Öffentlichkeitsarbeit macht. Und tatsächlich ist dieser hohe Direktvermarktungsanteil wiederum der Schlüssel zu einer weiteren Besonderheit: Die Burschs haben sich den fairen Umgang mit allen Mitarbeitenden auf die Fahnen geschrieben. Bis zu 150 Menschen arbeiten, je nach Saison, auf dem Hof. Davon arbeiten sieben fest in der Landwirtschaft, deren Zahl in der Erntesaison aber auf 35 bis 40 wächst. Neben klassischen Gemüsen baut der Biohof Bursch auch die arbeitsintensiven Spargel und Erdbeerkulturen an.
Damit das fair vonstatten geht, haben die Burschs im Umgang mit den Mitarbeitenden einige Prinzipien, die sonst in der Landwirtschaft nicht so die Regel sind. „Es gibt grundsätzlich keine Akkordarbeit“, sagt Tolksdorf. Dazu steigen alle Mitarbeitenden mindestens beim Mindestlohn ein. Sobald Zusatzqualifikation hinzukommen, steigt das Gehalt. Da jede der vielen Kulturen auf dem Hof besondere Fähigkeiten verlangt, kommen recht verlässlich auch Zusatzqualifikationen hinzu. „Es gibt mehr Leute, die den gesteigerten Lohn bekommen als den Mindestlohn“, sagt Tolksdorf. Zudem zahlen die Saisonkräfte 80 Euro für die Unterkunft, anderswo übliche zusätzliche Pflicht-„Gebühren“ entfallen. Stattdessen gibt es ordentliche Unterkünfte, einen PKW zu benutzen und eine umfangreiche Betreuung bei Behördengängen. „Der Hof sieht die Saisonarbeitskräfte eben wie klassische Angestellte, nur eben mit der saisonalen Begrenzung.“ Am Ende zahlt sich das auch für den Hof wieder aus: Viele der Saisonarbeitskräfte kommen wieder, das senkt die Kosten für die Neuanlernung. Und bei den sieben festangestellten Kräften ist es ähnlich: Weil die Bezahlung fair, die Ansprache korrekt und die Arbeit abwechslungsreich ist, ist die Fluktuation auf dem Biohof Bursch gering. Tolksdorf sagt: „Wir wollen, dass die Menschen hier wertgeschätzt sind.“
Die Tierfreunde vom Klostergut Heiningen
„Fairness gegenüber dem Tier ist uns ganz wichtig“, sagt Theo Degener. „Und das beginnt mit der Frage nach den Bedürfnissen der Kühe.“ Die haben Theo und Frieda Degener, die auf dem Klostergut Heiningen im nördlichen Harzvorland 20 davon halten, genau im Kopf: „Sie wollen natürlich körperlich unversehrt bleiben, dafür brauchen sie Hörner. Kühe möchten nicht alleine sein, aber auch die räumlichen Möglichkeiten haben, die Rangordnung der Herde zu leben. Und sie möchten ihre Kälber selbst aufziehen.“ All das versuchen sie auf dem Klostergut, ihren Kühen zu ermöglichen. Die Tiere haben im Sommer Weidegang, im Winter 20 Quadratmeter Platz pro Tier, was mehr als drei Mal so viel ist wie etwa beim ohnehin schon sehr guten Standard des Bioland-Verbandes. Und das Klostergut greift auf Rinder zurück, die sowohl Milch als auch Fleisch erzeugen können. „Je mehr man die Tiere auf ein Merkmal hin züchtet, desto stärker leidet die Gesundheit“, sagt Frieda Degener.
2,80 Euro pro Liter Milch ihrer Kühe müssen sie deswegen erwirtschaften, um sich den fairen Umgang mit den Tieren leisten zu können. Das macht das Klostergut, in dem es viel Milch direkt vermarktet, aber auch zu Joghurt oder Käse veredelt. Über den klassischen Handel wäre dieser faire Preis für Mensch und Tier kaum möglich. Neben einem eigenen Hofladen ist das Klostergut so Teil einer Solidarischen Landwirtschaft. Bei diesem Modell verpflichten sich Verbraucher*innen im Vorfeld, einem Hof bestimmte Mengen zu bestimmten Preisen abzunehmen. Davon profitieren auf dem Hofgut auch die Mitarbeitenden. „Denn“, sagen die Degeners, „nur Menschen, die fair behandelt werden, sind auch motiviert, die ihnen anvertrauten Tiere fair zu behandeln.
Der Unternehmerlohn der Landwirt*innen
Und die Landwirt*innen selbst? Viele mögen nicht über ihre Erlössituation reden. Hier und da aber gibt es dennoch Einblicke. Der Lammertzhof aus Kaarst bei Düsseldorf etwa, ein Bioland-Betrieb, veröffentlicht Gemeinwohlbilanzen. Daraus lässt sich ablesen, wie fair der Betrieb gegenüber Umwelt, Umgebung, Gesellschaft und auch sich selbst ist. Beim ersten Bericht war das Ergebnis ernüchternd: Gegenüber Umwelt, Mitarbeitenden und Gesellschaft erreichte der Betrieb recht gute Werte für eine Erstbilanzierung nach dem Prinzip. Nur für die Landwirtschaftsfamilie blieb ein Stundenlohn unter dem Mindestlohn. Die Gemeinwohlökonomie stellt dabei nicht nur fest, sie macht auch stete Verbesserungsvorschläge, weswegen der Hof sich Stück für Stück nach vorne arbeitet.
Eine andere Form sind die Wirtschaftsgemeinschaft, oder die Hofgemeinschaft, die etwa rund um den Bodensee stark wirtschaften. Auf diesen teilen sich mehrere Familien einen Betrieb. Die einen können besser Gemüse, die anderen besser Viehhaltung, die Dritten die Käserei betreiben. So bleibt mehr Wertschöpfung auf dem Betrieb, erhöht die Erlöse und damit das Auskommen für alle.
Noch sind das Einzelbeispiele. Deswegen hoffen alle Beteiligten nun nicht nur auf Verbraucher*innen, die für landwirtschaftliche Erzeugnisse mehr zahlen,sondern auch auf bessere Rahmenbedingungen. Denn egal ob Fairness gegenüber Tier, Umwelt oder Mitarbeiter*in – wirklich fair wird’s nur, wenn die Höfe nicht trotz, sondern wegen der Rahmenbedingungen fair arbeiten. Dieses Jahr werden die Mittel für die nächsten sieben Jahre EU-Agrarförderung neu verteilt. Die Chance, Fairness herbeizugestalten, ist da.
Autor: Sven Prange