Tischlein deck dich nachhaltig
Wenn der Blick des Landwirts Heinrich Baur heute über die oberschwäbischen Hügel am Rande von Biberach, südlich von Ulm, schweift, erst die Sauen und ihre Ferkel auf der Weide trifft, dahinter dann die im Gras liegenden Rinder erfasst, bevor sich ganz am Horizont die alpinen Steinschafe abzeichnen, dann ist kaum noch vorstellbar, wie der Bauer Heinrich Baur einmal wirtschaftete. „80 Ferkelbuchten“, sagt Baur, „hatten wir hier.“ Er zeigt auf einen Stall, der jetzt großzügige Laufflächen umfasst. „Ein System, das auf Masse aus war. Und der falsche Weg.“
Sechs Jahre ist das erst her. Da stellte Heinrich Baur, Landwirt nicht erst in der ersten Generation, seinen Betrieb Hochstetter Hof von einem hoch spezialisierten Schweine-Maststall auf ein nachhaltiges Konzept um. Heute trägt Baur eine Latzhose auf der ein Logo ‚Hof Artenvielfalt‘ eingenäht ist, und sagt: „Ich bin froh, dass meine Arbeit so vielfältig ist. Und dass ich mich so viel mit Gemüse beschäftigen kann.“ Diese Wandlung hat auch mit einigen seiner Gäste hier an diesem Vormittag zu tun: Chefinnen und Chefs der Chef Alliance (CA).
Gut, sauber und fair in der Profiküche
Unter ihnen sind an diesem Vormittag CA-Mitglied Simon Kaiser vom nahegelegenen ‚Esszimmer‘ aus Mittelbiberach mit Teilen seines Teams. Sie bringen immer wieder Produkte von Heinrich Baur auf die Speisekarte. Denn oft sind es seltene, vom Aussterben bedrohte Arten, wie das alpine Steinschaf oder samenfeste Gemüsesorten, die Baur hier produziert.
Und so soll es aus Sicht von Slow Food sein: Landwirt*innen erzeugen eine Vielfalt an Produkten, Köch*innen zaubern daraus Gerichte, machen diese bekannt. Gäste lernen dies schätzen und fragen die Produkte verstärkt nach. Das ist, stark vereinfacht, eines der Kernanliegen der Chef Alliance. Fünf Jahre ist es her, dass die Chef Alliance in Deutschland gegründet wurde. Deswegen treffen sich einige der Mitglieder zum Jubiläum in Oberschwaben. Inzwischen arbeiten bundesweit 64 Gastronom*innen, Caterer oder freie Köch*innen nach den Prinzipien von gut, sauber und fair in der Profiküche.
„Nicht zuletzt die Lockdowns während der Corona-Pandemie haben vielen von uns verdeutlicht: Restaurants und Lokale sind mehr als ‚nur‘ Orte des Essens und Genießens; sie sind Orte für soziales Miteinander und kulinarische Schaufenster einer Region“, sagt die Sprecherin der Chef Alliance Luka Lübke, die in Norddeutschland kocht. „Für Slow Food und die CA sind es außerdem Orte der Ernährungswende. Hier machen sie ihren Gästen klimafreundliche Ernährung schmackhaft und bieten ihnen Genuss, aus dem eine ganze Menge Verantwortung wächst.“
Vertrauen und verstehen: Dann klappt es mit nachhaltiger Restaurantküche
Und das geht am einfachsten mit Produkten, die aus der Region direkt in die Küchen kommen. Im Austausch mit den Erzeuger*innen. „Das große Thema ist Vertrauen“, erzählt Heinrich Baur vom Hof Artenvielfalt seinen Profi-Gästen. Wenn er sich darauf verlassen kann, seine Produkte fair vermarktet zu bekommen, kann er auch liefern, was Gastronom*innen sich wünschen. Das ist in seinem Fall mittlerweile eine ganze Menge: Aus Schwäbisch-Hällischen und Sattelschweinen züchtet Baur Weideschweine, die eine echte Delikatesse sind. Er zieht Rinder in Weidehaltung auf und beteiligt sich über die Herdbuchzucht des alpinen Steinschafs an der Erhaltung eines Slow-Food-Archepassagiers, der sonst vom Aussterben bedroht ist. Hinzu kommen die Dutzenden Gemüse-Varietäten: Samenfeste Karotten in verschiedenen Farben, Kohlrabi, Kohlsorten, Linsen. Neulich hat er auf Anregung von Küchenchef Simon Kaiser sogar Artischocken in Oberschwaben geerntet.
Warum Bauer Baur den Handel meidet
„Es fühlt sich extrem gut an, die Masse nicht mehr machen zu müssen“, sagt Baur sechs Jahre nach der Umstellung. „Es ist nicht so, dass konventionelle Höfe alles falsch machen. Aber für mich entwickelte sich das komisch.“ Heute betreibt er einen schmucken Selbstbedienungshofladen, beliefert Küchen wie die des Esszimmers und andere Kunden – nie aber den Handel. „Die Köche“, sagt Baur, „sind Multiplikatoren für uns. Uns Bauern hat man ja früher beigebracht, Stückkosten zu senken nicht Produkte zu verkaufen.“
Und dieses Miteinander, das wird beim fünfjährigen Jubiläum deutlich, ist ganz entscheidend dafür, dass die Ernährungswende auch in Profiküchen voranschreitet. „Und dann muss man es den Menschen immer wieder aktiv erklären“, sagt Chef-Alliance-Köchin Renate Lieb, die in der Nähe von Aalen als Scheunenwirtin einen nachhaltigen Genuss-, Ferien- und Veranstaltungsort betreibt.
Wie vielfältiger Genuss auf dem Teller aussieht
Wie das konkret aussieht, zeigen die Köch*innen während eines Menüabends zum fünfjährigen Geburtstag der Chef Alliance. Zehn Köch*innen erschaffen in Simon Kaisers Esszimmer-Küche ein Fünf-Gang Menü. Dort treten auf: Der Archepassagier Bamberger Hörnchen, Ausgewähltes vom Bruderhahn von der württembergischen Ostalb, Kürbisse aus der Nachbarschaft, Ziegenkäse und Ziegenmolke vom nicht weit entfernten Bodensee. Begleitet werden sie von Weinen des Weinguts Leiner aus der Pfalz, das seinen Wein auf besonders vitale Böden biodynamisch erzeugt und Unterstützer von Slow Food Deutschland ist.
Profiköch*innen und die Ernährungswende
So wird deutlich: Die Verwertung nachhaltiger Zutaten auch in Profiküchen ist entscheidend, wenn die Ernährungswelt ihren Beitrag zu einem nachhaltig lebenswerten Planeten leisten soll. „Wir müssen jetzt etwas an unserer Lebensweise ändern, wenn auf dem Planeten auch in 150 Jahren noch unsere Enkel leben sollen“, sagt Heinrich Baur. In der CA findet er engagierte Mitstreiter*innen.
Nina Meyer etwa, die im Bio-Berghotel Ifen-Blick kocht, sagt zu ihrer Motivation, sich für eine gut, saubere und faire Gastronomie zu engagieren: „Mit Gleichgesinnten am selben Werte-Strang ziehen und damit für Genuss und eine bessere Welt sorgen. Denn nichts dringt tiefer in den Körper als Nahrung und wenn diese von hoher Qualität ist, beflügelt das die Seele.“