Wenig Einkünfte, viel Einsatz: Wie Köch*innen durch die Krise kommen
Angesichts der in den Medien vorherrschenden Meinung zur Lage der Gastronomie in diesen Tagen mag die Haltung der Familie Bitzen überraschen. Wer die Inhaber des Jagdhauses Rech an der Ahr nach ihrer derzeitigen Lage fragt, bekommt zur Antwort: „Uns geht es aktuell ganz gut. Wir genießen die Zeit mit der Familie, nutzen die Energie für Fortbildung, machen Praktika und gestalten neue Ideen.“ Natürlich, auch das auf Wild-Genuss spezialisierte Restaurant und Hotel in dem kleinen Ahr-Örtchen hadert mit der Verlässlichkeit der Corona-Politik. Und natürlich bereitet der andauernde Lockdown auch hier Herausforderungen. Aber: „Wir haben eigentlich trotz Lockdowns ausreichend Projekte und Aktivitäten.“ Und dann zählen die Bitzens auf: Gerichte für Zuhause entwickelt, ein Kochbuch angegangen, den Online-Versand verfeinert, die Kooperation mit einer lokalen Metzgerei ausgebaut.
Alles gut also? Mitnichten.
Aber eben auch nicht alles aussichtslos.
So jedenfalls ist die Stimmung unter jenen Gastronom*innen in Deutschland, die sich auch vor der Corona-Pandemie schon mehr Gedanken über nachhaltige Geschäftsmodelle, ganzheitliche Küchenkonzepte oder einen besonders fairen Umgang mit ihren Partner*innen machten. Wenn sie wie die Bitzens um Küchenchef Markus Mitglied der Slow Food-Köch*innen-Vereinigung Chef Alliance sind, dann kristallisiert sich neben vielen Sorgen auch ein gewisser Optimismus heraus. „Wenn ich mich in den letzten Tagen umhöre, dann erlebe ich wenig hängende Ohren und viel Kreativität“, sagt der Leiter der Alliance, der Hamburger Koch Jens Witt. Und so spiegelt es sich auch in der Umfrage wider: Slow Food Deutschland befragte die mehr als 50 Chef-Alliance-Mitglieder zu ihrer derzeitigen Lage. Ergebnis: Der Wunsch nach mehr Verlässlichkeit in der Politik, aber auch Zuversicht, aus der jetzigen Lage etwas entwickeln zu können.
Tragfähige Netzwerke bewähren sich
Natürlich war und ist die Corona-Krise auch für die nachhaltige Gastronomie ein Stresstest. Auf der einen Seite mussten Restaurants und Catering-Services einen wesentlichen Teil der vergangenen zwölf Monate schließen, Köch*innen standen vor einer ungewissen Zukunft. Auf der anderen Seite die Erzeuger*innen und Landwirt*innen: Wohin nun mit all der Ware, die sonst in den Profiküchen verarbeitet wird? Doch das Netzwerk erwies sich als tragfähig. Beide Seiten zeigten sich kreativ- und kooperationsbereit und fanden die unterschiedlichsten Lösungen.
Etwa Küchenchef Jürgen Andruschkewitsch, der mit seiner Frau Adelheid die Rose in Eschenau im Hohenloher Land betreibt. „An den Wochenenden haben wir viele Abholspeisen“, schildert Andruschkewitsch. Gleichzeitig hat er, der etwa auch als Bio-Mentor andere Küchen berät, die Zeit für Neues genutzt. „Wir haben ein Fortbildungsangebot für Küchenfachpersonal in Produktwissen und -können entwickelt, das wir ab Herbst umsetzen möchten“, sagt er. Nur in Sachen Verlässlichkeit der Politik, da gibt es noch Nachholbedarf. Wenn Jürgen Andruschkewitsch einen Wunsch frei hätte, würde er sich eine Öffnung ab 1. April unter den schon bekannten Hygienemaßnahmen wünschen.
„Wenn Öffnung, dann nachhaltig“
Der Wunsch, nach einer langfristig berechenbaren Öffnungsstrategie zieht sich durch fast alle Einschätzungen der Slow Food-Köch*innen. Kein Wunder: Von Einkauf bis zur Personalplanung – gerade ein ganzheitlich arbeitendes Restaurant lässt sich eben nicht binnen Stunden hoch- oder herunterfahren. Schon, um den Partner*innen in der Landwirtschaft oder den Mitarbeitenden ebenfalls eine gewisse Planbarkeit zu ermöglichen.
Auch Sebastian Junge vom Hamburger Wolfs Junge spricht den Punkt Verlässlichkeit an: „Fair wäre es, wenn die Öffnung nachhaltig wäre, und wir nicht wieder nach ein paar Monaten schließen müssen.“ Gleichzeitig nutzt der Küchenchef von Wolfs Junge die Lage für neue Ideen. So beteiligt er sich an einer gemeinsamen Aktion Hamburger Gastronom*innen, die hanseatische Gourmet-Aktie, und konzentriert sich noch stärker auf die Zusammenarbeit mit regionalen Lieferant*innen. Ähnlich wie Nachbar Thomas Sampl, der in der Hamburger Hobbenköök kocht, einer Mischung aus Gastronomie und Markthalle. Er spricht von einer „sehr kreativen Zeit“.
Diese Chancen zu sehen, ist auch aus einem anderen Grund wichtig: Personal. Denn wie Menschen vermittelt werden soll, dass Gastronomie ein attraktiver Besuch ist, wenn die Betriebe von der Politik dauergeschlossen werden? Vor allem junge Menschen trifft das, weil die Bundesregierung etwa Azubis überhaupt nicht unterstützt. Immerhin sind hier die Chef Alliance-Betriebe ebenfalls im Vorteil: Die meisten haben sich für ihre Jüngsten in der Küche Lösungen einfallen lassen – von der Mitarbeit an Abholkonzepten bis zur Mitarbeit bei befreundeten Bauernhöfen. Und das, obwohl die versprochenen Hilfsgelder seit Beginn des zweiten Lockdowns deutlich zäher und unzuverlässiger flossen als im ersten Lockdown vor einem Jahr.
Trendwende zur Qualitätsgastronomie?
Gerade die Zeit zwischen den beiden Lockdowns im vergangenen Sommer hat vielen nachhaltig arbeitenden Gastronom*innen, wie sie in der Chef Alliance zusammengeschlossen sind, auch Hoffnung gemacht. Womöglich, ist hier und da zu hören, diene die Krise ja wirklich dazu, vor allem jene Betriebe zu stärken, die von jeher nachhaltiger arbeiten. Wer gewachsene Lieferant*innen-Netzwerke hat, eine gepflegte Stammkundschaft und eine realistisch errechnete Kalkulation, dürfte jedenfalls besser durch diese Monate kommen.
Alliance-Leiter Jens Witt hat etwa bei Markus Keller von Wern’s Mühle im Saarland erfahren, wie stark die Gästezahl im vergangenen Sommer zunahm. Vor allem auch der Anteil neuer Gäste. „Es gibt also vorsichtige Anzeichen, dass sich das Gästeverhalten doch ändert“, sagt Jens Witt. „Die nachhaltig wirtschaftende Gastronomie könnte unter Umständen also gestärkt aus der Krise herausgehen.“
Autor: Sven Prange