Berliner Werkstattgespräche zur Zukunft der Ernährung
Welche Eckpunkte diese Strategie haben sollte und wie sie zügig umgesetzt werden könnte versuchten Dr. Nina Wolff, Vorsitzende von Slow Food Deutschland, Dr. Wilfried Bommert, Vorstand des Instituts für Welternährung und Autor des Buches „Stille Killer“, Dr. Doris Heberle, Leiterin der Unterabteilung Ernährung im Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft BMEL sowie Niklas Oppenrieder, Mitgründer und Global Director Strategy & Development von Physicians Association for Nutrition PAN, gemeinsam mit dem live und virtuell anwesenden Publikum zu klären. Moderiert wurde die Diskussion von Simone Zeil.
Warum eine Ernährungsstrategie zwingend ist, zeigte Wilfried Bommert auf. Nach seinen Recherchen leidet Deutschland unter wachsender Fehlernährung, besonders dramatisch sichtbar in der Zunahme von übergewichtigen Kindern und Erwachsenen. Die Ursache liegt für Bommert in der Ernährungsindustrie, die seit den 1990er Jahren Massenproduktion und Gewinnmaximierung kultiviert und dies durch billige Zutaten und hochprozessierte, zucker- und fettreiche Syntheseprodukte erreicht, die als Nahrungsmittel in die Märkte gedrückt werden. Die Folgen dieser profitorientierten Industriestrategie kommen den Betroffenen und die Gesellschaft teuer zu stehen, heute schon sind es jährlich 29 Mrd. Euro direkte Kosten durch Krankheit, Arbeitsausfall etc. Tendenz deutlich steigend.
Um gegenzusteuern, so Niklas Oppenrieder, sei gesunde Ernährung die beste Prävention und eine Ernährungsstrategie daher gleichzeitig eine Gesundheitsstrategie. Als Vertreter von Physicians Association for Nutrition PAN fordert er daher unter anderem, Krankenhaus- und Gemeinschaftsverpflegungen zu optimieren und dabei Steuerungsmöglichkeiten über eine angepasste Mehrwertsteuer zu nutzen.
Die Bundesregierung wird, so Dr. Doris Heberle, bis 2023 eine Ernährungsstrategie formulieren, deren Kernziel die Förderung einer gesunderhaltenden und nachhaltigen Ernährung sein soll. In einem mehrjährigen, dynamischen Prozess mit vielen verschiedenen Stakeholdern sollen bis 2050 die Weichen für eine gesunde ökologische Ernährung gestellt werden.
Dr. Nina Wolff forderte vor allem, schnell zu handeln, denn das jetzige Ernährungssystem belaste zunehmend die Umwelt und das soziale Miteinander. Sie wies darauf hin, dass Ernährungskultur und Vielfalt essentiell seien. Und, dass ohne Vielfalt und entsprechende Produktions- und Ernährungsumgebungen auf Sicht kein Leben möglich sei.
In der anschließenden lebhaften Diskussion mit dem Publikum wurde deutlich, dass das eine Ernährung, bei der Gesundheit und nachhaltige, pflanzenbasierte Kost im Vordergrund steht, einen komplexen Veränderungsprozess voraussetzt, bei dem viele Akteure einbezogen werden müssen. Es wurde klar, dass politisch Ressort-übergreifend gedacht und gehandelt und alle Ebenen bis hin zu den Kommunen integriert werden müssen. Ausbildung und Bildung sind in diesem Prozess grundlegend, verbunden damit auch eine neue Wertschätzung der Arbeit von Köchinnen, Köchen und des Lebensmittelhandwerks.
Unterstrichen wurde auch, dass durch die aktuellen Lebens- und Arbeitssituationen von Familien vielfach keine Zeit mehr für die Vermittlung von guter Ernährung und eigenem Kochen bleibt. In diesem Zusammenhang müsse die Familienarbeit eine neue Wertschätzung erfahren und über Kita- und Schulverpflegung entsprechend positive Ernährungsumgebungen und Esserlebnisse geschaffen werden. Diese Veränderung der Ernährungslage und des Ernährungsbewusstseins wird zukünftig mehr Geld kosten. Entscheidend für die Umsetzung einer gesunden und nachhaltigen Ernährungsstrategie, so ein Fazit des Berliner Werkstattgesprächs zur Zukunft der Ernährung sei jedoch, statt der Kosten die Gewinne auf allen Ebenen in den Vordergrund zu stellen und zu kommunizieren, um politische Stopp-Schilder von vornherein zu vermeiden.
Autorin: Marie-Luise Dörffel