Für eine ganzheitliche Ernährungspolitik

26.07.2022 - Wir erzeugen Lebensmittel auf eine Art, die unser Überleben gefährdet. Das Ernährungssystem belastet Klima, Ökosysteme und auch unsere sozialen Beziehungen – die Politik muss endlich angemessene Rahmenbedingungen für die Herstellung von Lebensmitteln und für unsere Ernährungsweise setzen.

Wir haben es satt Protest (c) Carla Ulrich.JPGImmer offensichtlicher wird, dass die industrielle, international verkettete Erzeugung und Verarbeitung von Lebensmitteln sowie daran angepasste Ernährungsgewohnheiten Menschen ausbeutet, den Planeten zerstört, Mensch und Tier gefährdet, die Industrie gegenüber dem Handwerk bevorzugt. In der Folge schädigen Klimawandel und Biodiversitätsverluste unsere Ökosysteme, zahlreiche Zivilisationskrankheiten belasten das Gesundheitssystem, aus Ausbeutung resultierende Armut die Sozialsysteme. Und gleichzeitig sind diese Probleme so gewachsen, dass kaum ein Einzelner ihnen noch angemessen begegnen kann.

Über Jahre wollte vor allem die deutsche Politik diese Probleme durch Verhaltensanreize lösen. Verbraucherinnen und Verbraucher wurden ermuntert, nachhaltig und regional einzukaufen. Lebensmittelunternehmen sollten freiwillig ihre Nachhaltigkeitsbilanz verbessern. Landwirtinnen und Landwirte durch freiwillige Vereinbarungen zu ökologisch und sozial sensiblerem Arbeiten gebracht werden. Nichts davon ist wirklich falsch. Nur: Es genügt nicht.

Der Wissenschaftliche Beirat für Agrarpolitik bemängelte schon im Jahr 2020, dass Deutschland, anders als insbesondere skandinavische Länder, weitgehend auf politische Steuerung im Agrar- und Ernährungsbereich verzichte, zu sehr auf die Verantwortung einzelner Verbraucher*innen und zu stark auf freiwillige Schritte setze. Mittlerweile kann man angesichts des immer weiter voranschreitenden Problembergs aus Klimakrise, Artenvielfaltskrise und sozialer Krise, die alle auch aus einer verfehlten Agrarpolitik resultieren, festhalten: Der politische Fokus auf individuelle Verantwortung und die Weigerung der (deutschen) Politik, die Lebensmittelerzeugung nachhaltig zu gestalten, hat das mit verursacht. Dagegen hilft nur noch eine umfassende Transformation der Art, wie wir uns ernähren – angestoßen durch eine integrierte Ernährungspolitik. Eine Ernährungspolitik, die Landwirtschaft und Lebensmittelerzeugung zusammendenkt, die die Planetengesundheit in den Mittelpunkt rückt und gleichzeitig fair gegenüber allen Beteiligten an der Lebensmittelerzeugung ist. Die Politik muss gutes, sauberes und faires Essen für alle ermöglichen.

Wie kann das Lebensmittelsystem planetenfreundlich werden?

  • Treibhausgasemissionen der Landwirtschaft senken
  • Keine mineralölbasierten Produktionsmittel mehr einsetzen
  • Industrielle Tierproduktion reduzieren

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Pro Kopf verbraucht jeder Mensch in den industrialisierten Ländern heute etwa 80 Kilogramm mehr Lebensmittel pro Jahr als noch in den 1950er-Jahren. Und der Planet muss heute mehr als drei Mal so viele Menschen ernähren wie damals. Es wird enger, Mensch und Tier drängeln sich um immer weniger Flächen. Die Kapazitätsgrenzen der Erde (planetary boundaries), vornehmlich in den Feldern Klimawandel, Stickstoffkreislauf und Biodiversitätsverlust, sind bereits überschritten. Global trägt die Landwirtschaft laut Weltklimarat mit bis zu 23 Prozent aller Treibhausgasemissionen zum Klimawandel bei; tierische Produkte fallen besonders ins Gewicht. Der schnelle Wandel des Klimas und der Ökosysteme des Planeten, der sich in häufigeren Hitzewellen, Dürren und dem Anstieg des Meeresspiegels zeigt, gefährdet Landwirtschaft und Ernährungssicherheit. Daher plädieren sowohl der Weltklimarat als auch zahlreiche andere Wissenschaftler*innen nachdrücklich für widerstandsfähigere und „klimafeste“ Agrarökosysteme. Deutschland hat sich das Ziel gesetzt, bis 2045 weitgehend treibhausgasneutral zu werden. Der Staat kann und muss hierfür das Ausmaß klimaschädigender Emissionen im Zusammenhang mit der Erzeugung unserer Ernährung regulieren.

Umdenken und Umlenken beginnen auf dem Acker und im Stall

Ohne eine konsequente Ökologisierung der Landwirtschaft wird die Weltgemeinschaft ihre nachhaltigen Entwicklungsziele verfehlen. Forscher*innen rechnen beispielsweise, dass allein die globale Herstellung synthetischer Dünger für die industrielle Landwirtschaft mehr als ein Prozent der menschlich verursachten Treibhausgase produziert. Hinzu kommen die klimaschädlichen Folgen einer immer intensiveren und weiter verbreiteten Tierproduktion, der 5 Prozent der Gesamtemissionen Deutschlands zuzurechnen sind. Um ausreichend Flächen für Tierfutteranbau zu bekommen, lassen Konzerne in Schwellen- und Entwicklungsländern gigantische Waldflächen roden. Zudem speichern Böden, auf denen intensivste Landwirtschaft stattfindet, weniger Kohlenstoffe als solche, die extensiv bewirtschaftet werden. Das alles macht die Landwirtschaft neben der Energieerzeugung und dem Verkehrssektor zu der großen Stellschraube, mit der der Mensch die Folgen der Klimakrise noch eindämmen könnte. Ein weiterer beträchtlicher Anteil an Treibhausgasemissionen ist den Lebensmittelverlusten entlang der Wertschöpfungskette zuzurechnen. Auch hier könnten verbindliche Reduktionsziele in Richtung Halbierung der Lebensmittelverschwendung bis 2030 rasche Erfolge bringen. Schließlich könnte die Förderung einer verstärkt pflanzlichen Ernährungsweise (etwa durch Erhöhung des Anteils pflanzlicher Lebensmittel in der öffentlichen Versorgung oder durch Entfall der Mehrwertsteuer für Obst und Gemüse) den Rückbau der industriellen Tierproduktion erheblich unterstützen.

Wie kann das Lebensmittelsystem die biologische Vielfalt schonen?

  • Chemisch-synthetische Pestizide reduzieren
  • Weniger Nitrat auf den Böden
  • Biologische Landwirtschaft fördern

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Damit hängt auch der Umgang mit einer weiteren Krise zusammen: der Verlust der Biodiversität. Auch dieser schreitet in noch nie da gewesenem Tempo voran. Im Jahr 2018 stellte der Living Planet Report einen Rückgang der Tierpopulationen über einen Zeitraum von nur 40 Jahren fest. Die Forscher bilanzieren, dass die Zahl von Wirbeltieren um durchschnittlich 60 Prozent zurückgegangen ist. Ebenso gibt es eindeutige Belege, dass die Zahl der wilden und domestizierten Bestäuber sowie der Pflanzen, die auf sie angewiesen sind, in jüngster Zeit zurückgegangen ist. Mit verheerenden Folgen für die Welternährung. Die Bestäubung durch Insekten ist für drei Viertel aller direkt für die menschliche Ernährung verwendeten Nutzpflanzenarten notwendig. Der wirtschaftliche Wert liegt bei deutlich mehr als 150 Milliarden Euro. Auch hier gilt: Einer der Haupttreiber dieser Krise ist die industrielle Landwirtschaft.

Die landwirtschaftliche Intensivierung der letzten Jahrzehnte hat durch den Einsatz von Agrochemikalien zu einer Verschlechterung der Lebensräume verschiedener Tierarten in landwirtschaftlich genutzten Gebieten geführt. Insbesondere die Insektenbiomasse ist erheblich zurückgegangen – laut verschiedenen Studien um bis zu 75 Prozent in den letzten drei Jahrzehnten. Ein UN-Bericht stellt fest: „Der anhaltend übermäßige Einsatz und Missbrauch von Pestiziden führt zur Kontamination der umliegenden Boden- und Wasserquellen, was zu einem erheblichen Verlust an Biodiversität führt, nützliche Insektenpopulationen zerstört, die als natürliche Feinde von Schädlingen fungieren, und den Nährwert von Lebensmitteln verringert.“ Und diese Krise findet über wie unter der Erde statt: Etwa 25 Prozent aller Arten auf der Erde leben im Boden. Die Welternährungsorganisation (FAO) sieht die intensive Pflanzenproduktion in vielen Ländern als Gefahr für den Boden und fordert, dass die Bekämpfung der Bodenverarmung als eine „dringende Priorität“ eingestuft werden muss.

Die industrielle Landwirtschaft steht für eine ökologische Abwärtsspirale: zum einen durch die zunehmende Konzentration auf wenige, intensiv erzeugte Monokulturen. Mehr als 50 Prozent der menschlichen Nahrung hängt mittlerweile von nur drei Nutzpflanzen ab: Mais, Reis und Weizen. Und auch die intensive Tierhaltung trägt zum Vielfaltsverlust bei. Durch große Tierfabriken erzeugen viele Länder mehr Nitratabfälle, als ihre Böden aufnehmen können. Bringen Landwirtinnen und Landwirte dieses Nitrat dennoch auf ihren Feldern aus, führt das zur Überdüngung. Das wiederum schädigt das Bodenleben und reduziert die Artenvielfalt in Böden und Gewässern. Den Verlusten entgegenwirken kann vor allem die Förderung einer ökologischen Landwirtschaft. Allerdings ist auch klar: Eine klima- und artenfreundliche Landwirtschaft wird nur dann die großen planetaren Krisen einzudämmen helfen, wenn sie mit einer klima- und artenfreundlichen Ernährungsumstellung der Menschen einhergeht.

Wie kann Vielfalt das Leitmotiv des Ernährungssystems werden?

  • Mehr Hülsenfrüchte essen
  • Alte Sorten wieder kultivieren
  • Regionale Wertschöpfung fördern

Den Gedanken hat bereits vor drei Jahren die EAT-Lancet-Kommission formuliert und in eine Planetary Health Diet, also eine Ernährung innerhalb der planetaren Grenzen, übersetzt. Jeder Mensch muss demnach seine Ernährung so ändern, dass er der Erde nur das an Ressourcen entnimmt, das ihm rechnerisch zusteht. Das heißt nicht, dass alle Menschen nur noch Getreide oder nur noch Gemüse essen. Entscheidend aber ist, dass sie sich ihres rechnerischen Ressourcenverbrauchs bewusst werden. So helfen Anbau und Verzehr von Hülsenfrüchten etwa dabei, die Ökobilanz und Ernährung zu verbessern. Sie verbrauchen weniger Fläche, beeindrucken durch eine gute Bodenbilanz und liefern zugleich ähnlich viel Eiweiß wie tierische Nahrung.

Bei unserem Essen kommt es auf das rechte Maß an. Und auf die Verortung: Diese Ernährung wird an der Küste anders aussehen als in den Bergen, auf dem Land anders als in der Stadt. Und sie wird wieder resilienter werden müssen. Je weniger Sorten, Arten oder Rassen es gibt, desto anfälliger ist das Leben für Seuchen, Krisen, Risiken. Oder, wie es Johan Rockström vom Potsdam Institut für Klimaforschung ausdrückt: „Biologische Vielfalt darf uns nicht wegen ihrer Schönheit oder aus einer moralischen Verantwortung am Herzen liegen, sondern weil unsere Gesellschaft nur durch sie funktioniert.“

Die biologische Vielfalt ist absolut grundlegend für unsere Möglichkeit, uns nachhaltig zu ernähren, und unverzichtbar für die Ernährungssicherheit. Laut Angaben des Vereins zur Erhaltung und Rekultivierung von Nutzpflanzen (VERN e. V.) werden aber beispielsweise von den etwa 7.000 in Deutschland zu Beginn des 20. Jahrhunderts gebräuchlichen Gemüsesorten nur acht Prozent aktiv genutzt. Dabei könnten viele dieser vernachlässigten Sorten einiges leisten – beispielsweise Pflanzenkrankheiten ohne Hilfsmittel widerstehen oder ihren Reifezeitpunkt dem Klima anpassen.

Und diesen ernährungssichernden Zukunftskompetenzen muss die Politik steuernd Rechnung tragen.Sortenvielfalt erhöht die Flexibilität im Anbau und macht so das gesamte Ernährungssystem resilienter. Aber auch komplexer: Viele dieser Sorten sind auch deswegen so widerstandsfähig, weil sie exakt auf bestimmte Umgebungen eingestellt sind. Sie funktionieren nur unter bestimmten klimatischen und bodenbiologischen Bedingungen. Biodiversität will genutzt werden, dann ist sie eine Schlüsselressource, um genügend Nahrungsmittel für eine wachsende Weltbevölkerung herzustellen und dabei gleichzeitig die negativen Auswirkungen auf die Umwelt zu begrenzen.

Nahrung kann vor allem dann verlässlich und planetenverträglich angebaut werden, wenn dies in regionalen Kreisläufen passiert. Entscheidend ist dabei die Verknüpfung von Regionalität und ganzheitlicher Nachhaltigkeit: im Lebensmittelanbau wie in der handwerklichen Verarbeitung. Wenn die Pute aus der Region gequält oder mit Soja aus Brasilien gefüttert wird, später dann von Billiglöhnern in Industrieschlachthäusern getötet wird, löst das keine Probleme. Vielmehr sollten regionale Kreisläufe die gute, saubere und faire Herkunft von Lebensmitteln nachvollziehbar machen und zu einer größeren Vernetzung von Verbraucher*innen sowie Produzierenden führen. Hierfür muss die Politik nicht zuletzt die regionalen Strukturen der Verarbeitung stärken.

Wie kann soziale und globale Gerechtigkeit stärker sichergestellt werden?

  • Das Lebensmittelhandwerk fördern
  • Lieferkettengesetze ausbauen und verbessern
  • Lebensmittelverschwendung bekämpfen

Zum ökologischen kommt somit der soziale Fußabdruck der Lebensmittelproduktion. Obwohl die Sozialstandards in Deutschland im internationalen Vergleich hoch sind, gibt es in der Landwirtschaft erhebliche Probleme. Mittlerweile sind etwa die Hälfte der landwirtschaftlichen Arbeitskräfte abhängig Beschäftigte. Ihr Lohnniveau liegt deutlich unter dem Durchschnitt von Arbeitnehmer*innen in anderen Sektoren. Im Sonderkulturbereich, etwa bei der Spargel- oder Erdbeerernte, ist ein hoher Anteil osteuropäischer Saisonarbeitskräfte beschäftigt, oft mit niedrigen Löhnen. Eine Ernährungswende darf aber auch in Deutschland nicht dazu führen, dass soziale Ungleichheiten zunehmen, sondern sollte eine gesundheitsfördernde und nachhaltige Ernährung allen Menschen ermöglichen. Dies gilt insbesondere für einkommensschwächere Bevölkerungsgruppen. Die Höhe der Sozialleistungen muss entsprechend angepasst werden und die soziale Abfederung neuer ernährungspolitischer Maßnahmen, mit denen sich erhöhte Kosten für Verbraucher*innen ergeben, muss von Anfang an mitgedacht werden. Es braucht ein Recht auf gute, saubere und fair erzeugte Nahrung.

Das gilt in Deutschland wie international. Dort bezieht sich der soziale Fußabdruck hauptsächlich auf Importe aus dem globalen Süden, da landwirtschaftliche Wertschöpfungsketten häufig durch Verletzungen internationaler Arbeitsnormen oder gar durch Menschenrechtsverletzungen gekennzeichnet sind. Hinzu kommt, dass rund 800 Millionen Menschen Hunger leiden – was ein globaler Skandal ist. Das liegt auch daran, dass in den westlichen Staaten Unmengen an Lebensmitteln auf dem Müll landen. Allein in Deutschland jährlich 18 Millionen Tonnen. Müssten die erst gar nicht produziert werden oder ständen Menschen in anderen Weltteilen zur Verfügung, würden Umwelt, Tiere und Menschen profitieren. Deswegen muss die Verschwendung von Lebensmitteln enden – bis 2030 um die Hälfte. Darüber hinaus ganz. Aber auch die Abhängigkeit einiger Länder des globalen Südens von Importen wie Saatgut, Dünger oder Lebensmittelrohstoffen ist eine wesentliche Ursache des Hungers. Zur Unterstützung ihrer Ernährungssouveränität muss der Aufbau lokaler, agrarökoloigscher Ernährungssysteme in diesen Ländern gefördert werden.

Und wie stellen wir sicher, dass jede*r die Chance erhält, sich gesund, nachhaltig und fair zu ernähren?

  • Ernährungsbildung fördern
  • Transparente Preise einführen
  • Gemeinschaftsverpflegung nachhaltiger gestalten

Eine gute, saubere und fair erzeugte Ernährung darf weder am Geldbeutel noch an fehlendem Wissen scheitern. Ein Weg, Menschen für eine nachhaltigere Ernährung zu gewinnen, sind bessere Ernährungsumgebungen. Das ist wichtig, weil faire Ernährungsumgebungen gesunde, nachhaltige und faire Entscheidungen erst ermöglichen. Die Gestaltung der Ernährungsumgebung sollte sich stärker als bisher an Gesundheit, sozialen Zielen, Umwelt und Tierwohl orientieren.

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Ernährungsumgebungen sind etwa fair, wenn sie auf unsere menschlichen Wahrnehmungs- und Entscheidungsmöglichkeiten sowie Verhaltensweisen abgestimmt sind und gesundheitsfördernder, sozial-, umwelt- und tierwohlverträglicher sind und damit zur Erhaltung der Lebensgrundlagen heutiger und zukünftig lebender Menschen beitragen. Um das zu erreichen, muss Ernährungspolitik in Deutschland einen Systemwechsel in der Kita- und Schulverpflegung herbeiführen, auf „wahre“ Preise hinwirken, verlässliche Informationen bereitstellen, nachhaltigere Ernährung als das „neue Normal“ positionieren, Angebote in öffentlichen Einrichtungen verbessern, Landbausysteme weiterentwickeln und kennzeichnen und das Politikfeld „nachhaltigere Ernährung“ aufwerten und institutionell weiterentwickeln.

Wenn es künftig qualitativ hochwertige, menschen- und planetengesunde, zudem beitragsfreie Kita- und Schulverpflegung für alle gäbe, wäre schon viel erreicht. Der nächste, ganzheitlichere Schritt bestünde darin, Kindern und Jugendlichen nicht nur ein gutes Essen „vorzusetzen“, sondern sie am Entstehungs- und Zubereitungsprozess teilhaben zu lassen. Das baut Ernährungskompetenz auf. Wir brauchen verbindliche Verbesserungen in der Gemeinschaftsverpflegung. Auch in Mensen und Kantinen muss gut, sauber und fair gekocht werden, schließlich isst eine Mehrheit der Deutschen mindestens einmal täglich in solchen Einrichtungen. Je kompetenter und souveräner die oder der Einzelne bei Lebensmittelentscheidungen ist, desto geringerer Aufwand ist in der Folge für Werbung und Aufklärung nötig.

Wir brauchen eine gesetzlich vorgeschriebene, transparente und detaillierte Kennzeichnung von Lebensmitteln. Verbraucher*innen brauchen nicht nur wahre Informationen über Inhaltsstoffe, sondern auch über Herstellungswege, Herkünfte und Herstellende sowie die externen Kosten eines Lebensmittels. Sonst ist das industrielle Lebensmittel auch weiterhin nicht von einem mit ökologisch, sozial und ethisch verantwortlicher und handwerklicher Herkunft zu unterscheiden.

Bildung allein wird zwar nicht Veränderungen in dem erforderlichen Ausmaß herbeiführen; sie ist aber Voraussetzung dafür, dass Verbraucher*innen ihre Verantwortung einschätzen und ihren Beitrag zum Umbau des Ernährungssystems leisten können.

Dies alles müssen die politisch Verantwortlichen in EU, Bund, Ländern und Kommunen durch Ernährungsstrategien in die Wege leiten. Wenn wir dahin kommen, dass gute Politik jeden Einzelnen von uns dabei unterstützt, die richtigen Entscheidungen für ein wie skizziert gut, sauber und fair organisiertes Lebensmittelsystem zu treffen, dann gelingt die Transformation hin zu einer zukunftsfähigen Ernährung. Unter der Voraussetzung, dass das Ergebnis dieser Transformation auch schmeckt.

Von Nina Wolff und Sven Prange

Illustration und Grafik: Elisabeth Deim

Der Artikel stammt aus dem >> Jubiläumsmagazin „Essen ist politisch. 30 Jahre Ernährungsexpertise“

 

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