Schnippeln für die Agrarwende

26.01.2022 - Gemeinsam kochen, genießen, tanzen und Aufmerksamkeit schaffen – am 21.1. feierte die Schnippeldisko ihr 10-jähriges Jubiläum als digitale Küchenparty. Auch dieses Mal rief Slow Food Youth mit seinem gefragten Veranstaltungsformat zu mehr Wertschätzung für Lebensmittel und ihre Erzeuger*innen auf und demonstrierte, wie einfach und lecker Resteverwertung sein kann.

IMG_8170.JPGWährend sich die Traktoren auf den Weg nach Berlin machten, waberte am Freitagabend ein köstlicher Duft durch den Holzmarkt in Berlin. Große Töpfe und kiloweise gerettetes Gemüse warteten darauf, verarbeitet zu werden. Gemüse, das unter anderen Umständen im Müll gelandet wäre. Weil es schief und krumm ist, Flecken hat und große Supermarktketten es deswegen nicht verkaufen wollen. Lebensmittelverschwendung ist ein akutes Problem. Weltweit werden jährlich 40 % der produzierten Lebensmittel vernichtet. Das sind unglaubliche 1.3 Milliarden Tonnen im Jahr. In Deutschland sind es jährlich 12 Millionen Tonnen – über die Hälfte davon werden bei jeder und jedem einzelnen von uns zu Hause entsorgt.

Das zeigt nicht nur die große soziale Ungerechtigkeit, weil 17 Prozent der Weltbevölkerung hungern, obwohl es eigentlich genug zu essen gibt. Es ist auch im ökologischen Sinne eine massive Verschwendung, denn 40 Prozent der Energie, die wir zur Lebensmittelproduktion aufwenden, nutzen wir für die Herstellung von Essen, das im Müll landet.

Politische Aktion mit Genuss

Um dieser Verschwendung mehr Aufmerksamkeit zu verschaffen, ist 2012 im Rahmen der „Wir haben es satt!“-Demonstration die Schnippeldisko entstanden. Vergangenes Wochenende feierte sie ihr 10-jähriges Jubiläum. Das Prinzip der Schnippeldisko ist einfach: Am Vorabend der großen Demo kochen hunderte von Menschen gemeinsam Leckeres aus gerettetem Gemüse und versorgen damit sich und auch die Demonstrierenden am nächsten Tag. Dazu gibt es gute Musik, interessante Gespräche und einen Treffpunkt für Interessierte. Wie es für Slow-Food-Veranstaltungen typisch ist, wird politische Aktion mit Genuss verbunden.

IMG_7852.JPGDieses Jahr war vieles ein bisschen anders, aber nicht alles. Zwar entfiel die große Demo aufgrund der pandemischen Lage erneut, aber einige Traktoren rollten trotzdem zum Bundestag. Und zusätzlich zu einigen großen Töpfen, die im Holzmarkt in Berlin befüllt wurden, dampften die Töpfe in zahllosen heimischen Küchen. Slow Food Youth lud 2022 zur digitalen Schnippeldisko und übertrug die Veranstaltung live auf YouTube.

Landwirtschaft und Ernährung: So wie es ist, darf es nicht bleiben

In Berlin vor Ort waren Aktionskoch Wam Kat von der Fläming Kitchen, Sabine Laaks von der Sarah Wiener Stiftung, Saskia Richartz vom Wir haben es satt!-Bündnis, DJane Katya vom Sado Opera sowie Caro und Janina von Slow Food Youth, die gekonnt durch den Abend führten. Immer wieder wurde das Programm durch Musikblöcke aufgelockert, mit Expert*innen-Interviews gewürzt und durch Kurzvideos von verschiedenen Jugendorganisationen unterbrochen, die ihre Forderungen an den neuen Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft, Cem Özdemir, stellten. Ein Gedanke lag deutlich über diesem Abend im Januar: So wie es ist, darf es nicht bleiben.

Veränderung gestalten

Als große Chance zur Veränderung sieht Dominik Groß von der christlichen Initiative Romero und der Kampagne „Our Food, Our Future“ das Lieferkettengesetz auf europäischer Ebene. Seine Hoffnung: Mithilfe der europäischen Gesetzgebung Mängel im bestehenden deutschen Lieferkettengesetz zu beheben. Dominik unterstreicht, dass die ganze Lieferkette betrachtet werden müsse und eine zivilrechtliche Haftung integriert werden solle. Für ihn ist klar, dass die Unternehmen die Verantwortung selbst tragen müssen und diese nicht an die Konsument*innen weitergeben dürfen. „Ich darf nicht an der Supermarktkasse gezwungen werden zu entscheiden, ob ich jetzt ein Produkt mit oder ohne Menschenrechte kaufe“, macht er deutlich.

Die Kampagne „Our Food, Our Future“ möchte junge Europäer*innen zu nachhaltigen Konsummustern und politischem Engagement für ein zukunftsfähiges Ernährungssystem ermutigen. Deswegen unterstützt sie Veranstaltungen wie die Schnippeldisko und richtet auch weitere Workshops und Bildungsangebote aus.

Das Interview mit Dominik unterstrich, dass politischer Druck wichtig ist, um Ungerechtigkeit und Verschwendung im großen Stil zu stoppen, dass aber auch jede und jeder mit dem individuellen Konsumverhalten dazu beiträgt, das Ernährungssystem fairer zu machen. Er empfiehlt dafür, sich gut über Kriterien von Labeln und Siegeln zu informieren und diese beim Einkauf zu beachten.

IMG_7785.JPGZurück im Holzmarkt hielt Sabine Laaks, Ökotrophologin und Köchin, noch mehr alltagstaugliche Tipps für die Teilnehmer*innen der Schnippeldisko bereit. Ein saisonaler und lokaler Einkauf steht für sie an erster Stelle. Doch ihre Leidenschaft ist vor allem die Verwertung von Blatt zu Wurzel – also die Verwertung des gesamten Gemüses. Während sie ein Graupenrisotto mit Möhre, Lauch und Grünkohlstengeln zubereitet, sprudeln die Ideen aus ihr heraus: „Beim Kohlrabi könnt ihr euch das Schälen sparen und ihn einfach im Ganzen kochen und danach pürieren. Die Schale kann man mitessen!“. Aus den Kohlrabiblättern könne man unterdessen Chips herstellen, Petersilienstengel mit Karottengrün ließen sich mit Misopaste und Sesam zu Pesto pürieren und generell sollte man aus jeglichen essbaren Gemüseresten doch einfach eine Gemüsebrühe kochen. Wer möchte, könne die Reste einfach in einer Dose im Tiefkühlfach sammeln und verarbeiten, wenn genug zusammengekommen ist. „Man kann ganz viel essen.“, sagt Sabine, „Man muss nur wissen, wie.“ Die Rezepte gibt es hier noch einmal zum Download.

IMG_7955.JPGAktionskoch Wam Kat weiß, wie es sich für viele Menschen gut kochen lässt. „Essen muss teurer werden!“ fordert er. Doch unsere Gesellschaft müsse auch gewährleisten, dass sich alle Menschen hochwertige Lebensmittel leisten können. Gutes Essen dürfe kein Privileg sein und dafür, sagt Wam, lohne es sich zu protestieren.

Und wer weiß, greift Moderatorin und Slow-Food-Youth-Leitungsmitglied Caro einen Kommentar aus dem YouTube-Chat auf, vielleicht ist ja durch die neue Bundesregierung nächstes Jahr gar keine Demo mehr nötig, weil alles erledigt ist. Mit diesem Optimismus verabschiedete sich die Schnippeldisko bis zum nächsten Mal und drehte die Musik für eine letzte Tanzeinheit in der Küche auf.

Autorin: Mira Held

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Logo (c) Our Food Our Future.png flag_yellow_high.jpg

Die Schnippeldisko findet im Rahmen der Our Food Our Future Kampagne statt. Die Veranstaltung wird ko-finanziert von der Europäischen Union. Diese Veranstaltung wird mit Unterstützung der Europäischen Union realisiert. Die Inhalte diese Veranstaltung liegen in der alleinigen Verantwortung von Slow Food Deutschland unter spiegeln unter keinen Umständen die Positionen der Europäischen Union wider.

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