Vier Wege, unseren Boden zu retten - und so bessere Lebensmittel zu produzieren
Rosanna Gahler arbeitet in der Landwirtschaft Gut und Bösel, einem Hof in Brandenburg, der an nachhaltigen und neuen Methoden der Landwirtschaft arbeitet. Unter anderem baut Rosanna Gahler Lebensmittel in Agroforst-Systemen an – da gedeihen Feldpflanzen und Gehölze quasi in Symbiose. „Ich habe jeden Tag meine Hände in der Erde“, sagt sie. „Und dabei sehe ich, wie sich der Boden durch unsere Arbeit schon verändert. Allein wie anders er riecht.“ Was Rosanna Gahler damit sagen will: Ob wir Landwirtschaft nachhaltig betreiben oder nicht, das hat unmittelbare Auswirkungen auf den Boden. Und das ist nicht hoch genug einzuschätzen. „Schließlich ist ein gesunder Boden Grundlage für unser Leben und für die Qualität der Lebensmittel, die wir erzeugen“, sagt sie.
Das Problem: Das Handeln und das Wissen klaffen beim Thema Boden ziemlich weit auseinander. Nicht auf Höfen wie Gut und Bösel, schon aber insgesamt in Deutschland, in Europa, in der Welt. Um den Boden, die neben Wasser wichtigste Ressource des Lebens, steht es schlecht. Wie schlecht, das verdeutlichten die Teilnehmenden des zweiten – gemeinsam von SFD und dem Institut für Welternährung initiierten – Berliner Werkstattgesprächs zum Thema Boden in Europa. Das Thema Boden drängt, nicht erst seitdem die EU-Kommission im vergangenen November einen entsprechenden Aktionsplan bis 2023 versprochen hat. Wer auf dem Land unterwegs ist, merkt Tag für Tag, wie es um den Boden bestellt ist. „60 bis 70 Prozent der Böden sind in schlechtem Zustand“, sagt SFD-Vorsitzende Nina Wolff. Die Kosten der Bodenverschlechterung betragen allein in der EU jährlich 50 Milliarden Euro. „Der Schutz des Bodens ist also längst auch wirtschaftlich sinnvoll“, sagt Wolff.
Und Wilfried Bommert, Leiter des Instituts für Welternährung, sagt: „Wir sind beim Boden in einem Zustand wachsender Knappheiten: Weil die Menschen mehr Fleisch essen wollen; weil wir unsere fossilen Energien durch nachwachsende Rohstoffe vom Acker ersetzen wollen; weil wir den Klimawandel zu spüren bekommen und weil immer mehr nicht-landwirtschaftliche Akteure Boden nachfragen.“ Er findet deswegen: „Bodenpolitik muss Zähne bekommen.“ Oder, wie Nina Wolff es formuliert: „Unsere Volkswirtschaft hängt vom Erhalt der Bodengesundheit ab – das muss ein politischer Imperativ in Europa sein.“
Dabei ist die Lage nicht nur hochproblematisch – längst sind auch die Wege klar, wie sie sich bessern ließe. Im Wesentlichen sind es vier Punkte, die das Bodendilemma unserer Zeit lösen könnten – und sich im Idealfall in der für 2023 angekündigten Boden-Richtlinie der EU-Kommission für Europa wiederfinden sollten. Schließlich hat die ein ambitioniertes Ziel, wie Mirco Barbero aus der zuständigen Generaldirektion Umwelt der Kommission sagt: „Bis 2050 sollen alle Böden in Europa gesund sein und nachhaltig geschützt werden.“
1. Extensive Bewirtschaftung über Fruchtfolge und Pestizidreduktion
Stefan Schmutz ist einer jener Landwirte, die dieses Ziel schon erfüllen. Im Chiemgau betreibt er einen Hof, der sich den Erhalt der Böden von Beginn an zum Ziel gesetzt hat. „Wir versuchen, Boden aufzubauen“, erklärt Schmutz. „Zum Beispiel, indem wir eine Vielfalt an Pflanzen anbauen oder durch Untersaaten dem Boden natürliche Nährstoffe zuführen. Von der Agrarpolitik wünsche ich mir einen Rahmen, der, ökologisch wirtschaftenden Betrieben ein Einkommen garantiert“, sagt Schmutz.
Denn bisher ist es so: Zwar ist längst klar, dass eine Vielfalt auf dem Boden auch Qualität und Leben im Boden fördert. Nur: Den Mehraufwand der Vielfalt bezahlt den Landwirt*innen kaum jemand – es sei denn, man hat sich wie Stefan Schmutz einen Kund*innenstamm aufgebaut, der die Arbeit zu schätzen weiß. Je nach Standort gelingt das mal, mal aber auch nicht. Dann sitzt der Landwirt auf seinen Kosten.
Auch der Grüne Europaparlamentarier Martin Häusling, selber Landwirt, sagt: „Wir brauchen eine Fruchtfolge. Mais, Gerste, Weizen hintereinander zu pflanzen ist keine.“ Häusling wirbt dafür, extensive Landwirtschaft zum Bodenschutz besser zu fördern: „Schutz des Bodens heißt auch Schutz vor Pestizidbelastung.“ Auch Damiano Di Simine, der bei der italienischen Umweltorganisation Legambiente das Soil4Life-Projekt leitet, sieht in der Förderung von ökologischer Bodennutzung eine der zwei großen Stellschrauben für besseren Boden. „Und wir müssen die Flächenversiegelung stoppen“, sagt er.
2. Ende des Flächenfraß
Tatsächlich ist der Flächenfraß die zweite große Herausforderung im Kampf um nachhaltig fruchtbaren Boden. Eine Herausforderung, die zudem zeigt, dass nicht nur die Landwirtschaft hier Hausaufgaben zu erledigen hat. „Flächen sind nicht vermehrbar, und dennoch gibt es einen Run auf Flächen“, sagt die konservative Europaabgeordnete Marlene Mortler. „Flächenfraß wird zu wenig thematisiert. Es gab vor zehn Jahren schon eine Petition des Bauernverbandes, Landwirtschaftsland gesetzlich als solches zu schützen. Seitdem ist nichts passiert.“ Auch die Forscherin Andrea Beste, die das Büro für Bodenschutz betreibt, klagt: „Jedes Jahr gibt es mehr als 1.000 Quadratkilometer Bodenverlust in der EU. Ich kenne kein einziges Mitgliedsland, dass es geschafft hat, diesen Flächenfraß einzudämmen.“
3. Landwirtschaftsland für Landwirt*innen
Gleichzeitig geht Landwirtschaftsland nicht nur verloren, weil es versiegelt oder durch den Klimawandel zerstört wird. Längst entziehen auch Kapitalmarktakteure der Landwirtschaft Land – sei es zur Spekulation, sei es zum Anbau nachwachsender Rohstoffe, sei es als gut verzinste Ausgleichsfläche im Zuge eines internationalen Zertifikatehandels. „Wenn wir ein System haben, bei dem Kapitalmarktakteure direkten Zugriff auf die Äcker haben, ist das ein falsches System“, sagt Wilfried Bommert vom Welternährungsinstitut. Seine Lösung: Eine Re-Regionalisierung landwirtschaftlicher Wertegenerierung. Ein Beispiel aus seiner Sicht: „Es gibt Ernährungsräte, die Ernährung rund um die Städte ansiedeln wollen. Wenn das klappt, gibt es eine neue Wertestruktur – und für reine Kapitalmarktteilnehmer wird es schwerer, an Ackerland zu kommen.“
Passiert das nicht und gewinnen Kapitalmarktakteure die Oberhand über regionale Landwirtschaftsschaffende, malt Bommert ein düsteres Szenario: „Der Anbau auf diesen Flächen wird dann nicht mehr nur darüber bestimmt, was Menschen essen wollen, sondern wie der Zins auf was ist.“
4. Verbindlichkeit statt Freiwilligkeit
Wer die sozialdemokratische Europaabgeordnete Maria Noichl richtig aufbringen will, muss die Lösung all dieser Probleme über freiwillige Absichtserklärungen fordern. „Ich kann das Wort Freiwilligkeit nicht mehr hören“, schimpft sie. „Wir brauchen jetzt verbindliche Rahmenbedingungen.“ Schließlich ist für die Landwirtschaftspolitikerin klar: „Es geht in der Bodenpolitik um falsche Systeme: Es werden nicht nur Menschen und Tiere ausgebeutet, sondern auch Böden. Nicht, weil eine böse Landwirtin oder ein böser Landwirt unterwegs ist, sondern weil das System es befördert.“ Deswegen fordert sie: Schluss mit freiwilligen Zielen für nachhaltige Landwirtschaft und stattdessen her mit Instrumenten, die scharf wirken. „Als erstes: Alle Förderungen wegnehmen, die das System in diese Richtung treiben“, sagt Noichl. „Es gibt immer noch 70 Prozent der Gelder in der europäischen Landwirtschaftspolitik ohne Gegenleistung.“
Auch Andrea Beste fordert mehr Verbindlichkeit: „Ende der Freiwilligkeit heißt ja nicht, dass man hinter jeden Landwirt einen Aufpasser stellt.“ Aber schon darum, das System verbindlich in eine nachhaltige Richtung zu lenken: „Die Gesellschaft muss nachhaltige Landwirtschaft anerkennen – auch monetär.“ So sehen es wohl auch die Menschen, die Tag für Tag ganz praktisch für besseren Boden arbeiten. Rosanna Gahler jedenfalls, die Frau mit den Agroforsten, wünscht sich: „Wir brauchen flexible Fördermöglichkeiten durch unsere Bundesregierung, damit Pionierarbeit wie hier weiterwachsen kann.“
2022 widmet sich Slow Food Deutschland dem „Boden“ als Jahresthema.
Autor: Sven Prange