Warum Vorbilder so wichtig sind
Gute Ideen habe ich immer. Denn es gäbe so viel, was wir machen könnten, um das Kantinenessen gesünder zu machen, die Felder farbenfroher und die Landwirtschaft resilienter. Es gäbe so viele Synergien zwischen Biodiversität, Landwirtschaft, Ernährung und Klimaschutz! Was man nicht alles machen könnte! Nach jeder Recherche, nach jeder Konferenz über die vielen Herausforderungen kommen mir neue Ideen, wie man es besser machen könnte, noch nicht durchdacht natürlich, aber immerhin: Bilder von Möglichkeiten einer besseren Welt in einer krisenhaften Zeit.
Wir könnten doch Büffel auf unserer Weide am Bach halten und sie melken und regionalen Büffelmozzarella produzieren und damit gleichzeitig das alte Dauergrünland retten. Wir könnten unseren kleinen Fichtenforst als Waldweide nutzen und daraus den größten Offenstall Ostwestfalens machen, sodass die Rinder das ganze Jahr über draußen bleiben können. Mit jedem Dunghaufen würden sie Insekten nähren und damit Vogelfutter produzieren. Wir könnten Walnussbäume in unsere Felder pflanzen und Haselnusshecken und daraus westfälische Nussnougatcreme machen. Wir könnten unsere Bäche renaturieren und daraus neue Auenlandschaften entstehen lassen, die das Wasser in der Landschaft halten – was in den kommenden Dürren helfen würde.
Wir könnten! Darin war ich immer gut. Aber das reicht nicht. Es braucht auch den nächsten Schritt, den von der Idee zur Umsetzung, und das ist der entscheidende. An dem ich bislang fast immer gescheitert bin. Und das habe ich im Kuratorium des Ursula Hudson Preises gelernt: Es gibt so viele Leute, die schaffen das. Die haben gute Ideen und geben sie nicht gleich wieder auf, sobald sie auf erste Widerstände stoßen, sondern lassen sich dadurch erst recht anspornen. Und schaffen so Großartiges! Wie den Gemeinschaftsgarten »Tausendschön« von Elisabeth Schmelzer, in dem Menschen aller Altersgruppen und Herkünfte gemeinsam gärtnern, Saatgut tauschen, kochen, essen, feiern und lernen. Elisabeth lädt Kinder ein und Migrant*innen, die gerade erst angekommen sind und noch keinen Ort haben, an dem sie Wurzeln schlagen können, und kocht mit ihnen. Und das alles nicht im hippen Berlin, wo Urban Gardening längst als Trend angekommen ist, sondern in Minden, Ostwestfalen, wo solche bunten, lauten Gärten neugierig bis skeptisch beäugt werden.
Dass es ihren Garten nun schon viele Jahre gibt, ist ein Vorbild für alle wie mich, die mehr Ideen produzieren als Taten. Und für alle, die losgelegt haben und deren Projekte vielleicht zu scheitern drohen, weil die Umstände es nicht gerade leicht machen, sich für gutes Essen und gute Landwirtschaft einzusetzen. Wir haben Elisabeth Schmelzer mit dem allerersten Ursula Hudson Preis ausgezeichnet, um alle zu stärken, die sich ans Realisieren von Ideen machen. Um zu zeigen: Seht her, es geht!
Seit so vielen Jahren schreibe ich schon über Themen der Transformation. Darüber, dass wir eine Einkaufsrevolution brauchen – für verantwortungsvollen Konsum, eine Ernährungswende für gesündere Menschen auf einem gesunden Planeten, eine Agrarwende für gesündere Tiere und für das Überleben der Höfe. Und dass wir etwas gegen das Massenaussterben der Arten unternehmen müssen, bevor unsere Lebensgrundlagen zusammenbrechen. Das wird immer wieder vergessen neben all den anderen Krisen.
Immer klarer wird mir, dass sich all diese Probleme gegenseitig verschlimmern. Aber dass umgekehrt auch Lösungen ineinandergreifen und sich gegenseitig verstärken können. Deshalb sind alle Vorbilder so wichtig für mich, die genau diese ganzheitlichen Ansätze verfolgen. Wie der Hof Pente bei Osnabrück, der solidarische Biolandwirtschaft mit guter Pädagogik verbindet und in der Hofschule vermittelt, wo unsere Lebensmittel herkommen und was Natur für uns bedeutet. Wie gern würde ich meine Kinder dorthin schicken! Oder die Ursula Hudson Preisträger 2022, die Freiburger Projektgruppe, die erforscht, wie Schafe im Weinberg Pestizide ersetzen können. Das bringt weniger Giftstoffe, mehr Biodiversität – und guten Wein.
Immer wenn der zähe Aushandlungsprozess auf politischer Ebene wieder ins Stocken gerät – was ja leider viel zu oft der Fall ist – motivieren mich diese Pioniere der Agrar- und Ernährungswende. Weil sie nicht nur Ideen haben, sondern die auch umsetzen und andere damit motivieren und mitreißen. Und weil sie zeigen, dass es auch unter schwierigen Rahmenbedingungen möglich ist, gutes Essen und gute Landwirtschaft mit Biodiversität und Klimaschutz zu verbinden.
Vor Kurzem hat mir Margret Bunzel-Drüke ihre Wilden Weiden gezeigt. Mit der Biostation Soest züchtet sie Rinder, die aussehen wie die Urrinder, die Auerochsen. Sie leben das ganze Jahr in der Auenlandschaft der renaturierten Lippe, in die viele gefährdete Fische zurückgekehrt sind. Das ist so ziemlich das Beste für den Artenschutz, was man sich vorstellen kann. Solche Flächen sollte es viel mehr geben, als deutschlandweiten Biotopverbund. Und auf den übrigen Flächen Solidarische Landwirtschaft mit Agroforst und Solaranlagen, Bildungsorten und Lebensmittelhandwerk. Die Pioniere haben vorgelegt, jetzt müssen wir nachziehen!
Zum >> aktuellen Slow Food Magazin.
Quelle: Slow Food Magazin
Text: Tanja Busse