Weinlese 2022: Hitzejahrgang mit halbem Happyend
Bis Ende Oktober hat sich die Weinlese hingezogen, jetzt blubbern die Moste in den Kellern. 2022 war schon wieder ein turbulenter Weinjahrgang, der mit seinen historischen Wetterdaten lange in Erinnerung bleiben wird. Menge und Güte der geernteten Trauben schwanken dieses Jahr stärker von Anbaugebiet zu Anbaugebiet. Nach dem Trockenstress im Sommer platzte der Septemberregen in vielen Regionen mitten in die Lese. Die meisten Betriebe kamen mit einem blauen Auge davon und brachten gute und teilweise auch herausragende Qualitäten auf die Kelter. Vor allem die roten Rebsorten profitierten vom erneuten Jahrhundertsommer mit farbintensiven, dichten Tropfen. Bei den Weißweinen muss in vielen Betrieben erneut nachgesäuert werden. Pflanzenschutz war in diesem Jahr unproblematisch, die gefürchteten Pilzkrankheiten fanden in der Hitze keine Angriffspunkte. An der Mosel konnten geplante Hubschraubereinsätze mit großflächigen Pestizidspritzungen im Sommer abgesagt werden. Und noch eine Verrücktheit dieses Jahrgangs: In den Tallagen mit guter Wasserversorgung entwickelten sich die Trauben oft besser als in den renommierten Steillagen.
Rebstöcke sind keine Kakteen
Rebstöcke sind keine Kakteen. Sie brauchen für Wachstum und Zuckerproduktion nicht nur Sonne, sondern vor allem Wasser. Diese Banalität hat der Jahrgang 2022 eindrucksvoll unterstrichen. Hitzerekorde im Norden, extreme Trockenheit im Westen. Der Sommer war ein glühend heißer Dauerläufer mit Temperaturen, die um bedrohliche 2,9 Grad über dem Mittelwert der Jahre 1961 bis 1990 lagen. Die Sonneneinstrahlung war mit 820 Sonnenstunden die höchste seit 1881. In den Weinbergen ließ das Dürrejahr die Böden austrocknen mit teilweise tiefen Rissen. Auch Sonnenbrand bei den Trauben und „Wasser fahren“ waren wieder ein großes Thema.
Das Anbaugebiet Baden registrierte besonders hohe Temperaturen. Wie eine Glucke hatte sich die Hitze in den Sommermonaten über den Südwesten gelegt. Befürchtungen, dass Mostgewichte und Alkoholgrade aus dem Ruder laufen könnten, haben sich indes nicht bestätigt. Der Regen kurz vor der Lese, die Anfang September begonnen hatte, kam gerade noch rechtzeitig. Die Saftausbeute der Trauben war zwar gering, dafür haben viele Betriebe im Spätsommer auf das sonst übliche Ausdünnen des Behangs verzichtet. Die Beeren waren ohnehin kleiner als üblich, die Hitze hatte den Ertrag auf natürliche Weise reduziert. Am Ende war die Erntemenge „sehr gut“, sagt Friederike Schneider vom Weingut Schneider in Endingen am Kaiserstuhl. Schon Mitte September wurden dort die letzten Spätburgunder gelesen mit hohen, aber nicht überschießenden Mostgewichten. Am 2. September hatten die Schneiders den Startschuss zur Lese gegeben und die ersten Trauben geholt. Die meist alten Rebstöcke des Endinger Betriebs hatten die Trockenheit ohne künstliche Bewässerung überstanden.
Als die Sintflut kam
In Baden regnete es kurz vor der Lese, in Rheinhessen und in der Pfalz mittendrin, und zwar aus Kübeln. Ein heftiges Unwetter ließ am 14. September in wenigen Stunden bis zu 60 Liter Niederschlag je Quadratmeter auf die danach unbegehbaren Weinberge prasseln. Mainz, Bingen und die Rotweinhochburg Ingelheim waren von der Sintflut besonders betroffen, in Ingelheim musste die Feuerwehr 80-mal ausrücken. Das Ingelheimer Weingut Arndt F. Werner hatte zum Glück schon mehr als die Hälfte der Trauben gelesen. „Das haut uns nicht um, wir sind seit 40 Jahren Bio-Weingut, wir haben schon einiges erlebt“, sagt Seniorchef Arndt Werner. Die ausgetrockneten Weinberge hätten die Flut relativ gut weggesteckt. Das Weingut hatte Ende August mit der Lese begonnen. Der Kälteeinbruch im September mit kühlen Nächten habe geholfen, so Arndt Werner, die Säurewerte einigermaßen zu stabilisieren und mit dem Regen habe sich auch die Saftausbeute normalisiert.
Weil der Regen in einigen Regionen zum falschen Zeitpunkt kam, machte sich aber auch Fäulnis in den Weinbergen breit, die Lesetrupps erhöhten das Tempo. Neben Rheinhessen haben vor allem Pfalz, Mosel und Rheingau zu viel Regen zum falschen Zeitpunkt abbekommen.
Die Ahr sucht neue Weinbergflächen
An der Ahr ist Biowinzer Christoph Bäcker mit dem Jahrgang weitgehend zufrieden. „Die ersten Trauben, die wir geholt haben, waren wie gemalt“. Der Septemberregen kam für seine neu gesetzten Rebstöcke zu spät. „Die sind alle vertrocknet, so viel Wasser konnte ich gar nicht fahren, um sie zu retten“, sagt Bäcker. Seine Bilanz: gute Menge, sehr gute Qualität. Seine große Sorge: Wo kann er neue Weinberge pachten, nachdem die Ahr-Flutkatastrophe im vergangenen Jahr ein Drittel seiner Rebflächen weggerissen hat. Mit der stark reduzierten Weinbergfläche könne er nicht überleben, sagt Bäcker. Aber auch andere Ahrwinzer*innen suchen händeringend neue Flächen, die Konkurrenz ist groß.
Im Remstal gehörte Jochen Beurer im Sommer zu den glücklichen Winzern, die gelegentlichen Regen abbekamen. Im Weinberg sorgte der schwäbische Rieslingspezialist mit ausgeklügeltem Begrünungsmanagement für schützende Bodenbeschattung, er hielt die Laubwand niedrig und war am Ende froh über die kühleren Septembertage, die den Säuregehalt der Trauben stabilisierten. „Kerngesunde Trauben und eine gar nicht so schlechte Saftausbeute“, bilanziert ein zufriedener Beurer, der Bewässerungsmaßnahmen grundsätzlich ablehnt.
Beim Endspurt zu feucht und zu warm
Schlusslicht der Weinlese ist traditionell die Mosel mit ihren spät reifen Rieslingtrauben. Dort hatte erst Mitte September die Lese begonnen. Rita Busch vom Weingut Clemens Busch war zu Beginn noch vorsichtig optimistisch. „Wenn es jetzt trocken bleibt, sieht es wirklich gut aus.“ Leider blieb es nicht trocken, so ging ein Teil der Ernte verloren und die Selektionsarbeiten waren aufwändig. „Die ersten Regenschauer hatten noch gutgetan und den Reben einen Schub gegeben, danach war es zu viel und es war vor allem zu warm.“ Bei den Guts- und Ortsweinen hätten Qualität und Menge gestimmt, „in der Spitze hätte es etwas mehr sein können“. Am 27. Oktober wurden die letzten Rieslingtrauben geholt und die Lese im Weingut Clemens Busch beendet.
Das Deutsche Weininstitut beziffert die Menge in allen 13 Anbaugebieten auf neun Millionen Hektoliter. Das entspricht, trotz Sommerdürre, einem Plus von zwei Prozent gegenüber dem 10jährigen Mittelwert.
BUs (v.o.n.u.):
Rieslingtrauben bei Schloss Johannisburg im Rheingau: Der Regen kam zu spät und platzte mitten in die Lese.
Rotweintrauben von alten Reben, wie hier am Vulkanfelsgarten im badischen Ihringen, profitierten vom heißen Sommer.
Ein maschineller Ernteeinsatz wird inzwischen auch in manchen Steillagen praktiziert