Die Ampelregierung hat die Bedeutung einer ausreichenden Versorgung mit guten Lebensmitteln im Rahmen der Transformation zu einer nachhaltigen Wirtschaft und Gesellschaft dadurch gewürdigt, indem sie sich das Ziel gesetzt hat bis 2030 einen Anteil von 30% in der Biolandwirtschaft zu erreichen. Reicht das aus?
Wer nachhaltig Lebensmittel produzieren und auf den Teller bringen möchte, muss sich zertifizieren lassen. Minimum ist das BIO-Siegel nach der EG-Öko-Verordnung. Viele Verbände halten dieses EU-Bio für nicht ausreichend und haben deshalb eigene, strengere Zertifizierungskriterien aufgestellt, z.B. Bioland, Naturland oder demeter. Bio-Landwirte haben einen erheblichen Zeit- und Kostenaufwand, um ihren Betrieb von konventionell auf Bio umzustellen. Hinzu kommen die Kosten für die Erst-Zertifizierung und die Kosten für die folgenden Überprüfungen. Stand 2021** sind in Deutschland 14,0% der landwirtschaftlichen Betriebe Bio zertifiziert. Sie bewirtschaften aber nur 10,9% der landwirtschaftlichen Fläche. Die durchschnittliche Betriebsgröße von Bio-Betrieben beträgt 49,6 ha und ist somit kleiner als der Gesamtdurchschnitt von 64,0 ha pro Betrieb.
Aus den obigen Angaben kann man schließen, dass Großbetriebe zwar einen Großteil der Subventionen einstreichen, sich aber nicht oder kaum Bio zertifizieren lassen.
Es mag Bereiche geben, in denen der Einsatz von Pestiziden noch unabwendbar ist. Die nicht oder erst langfristig, nach intensiver Forschung, auf Bio umstellen können. Das dürften jedoch nur wenige Ausnahmen sein. Und so wie heute, wo jeder landwirtschaftliche Betrieb Bio produzieren darf, wenn er möchte, dürfte auch jeder Betrieb, der dies wollte, konventionell produzieren, kein Verbot. Aber diese Betriebe, diese Ausnahmen vom Standard, müssten sich zertifizieren lassen. Begründen, weshalb sie weiterhin konventionell arbeiten wollen oder müssen. Sie müssten erläutern, wie sie Schäden weit möglichst minimieren. Und sie müssten eine Versicherung in Millionenhöhe abschließen, um nötigenfalls für Folgeschäden aufkommen zu können. Wie uns die bisherige Praxis lehrt, sind Folgeschäden nicht immer sofort erkennbar und selbst zweistellige Millionenbeträge reichen zur Gefahrenabwehr und Sanierung aufgrund von Schäden nicht immer aus.
Unrealistisch höre ich die Kritiker sagen. Wenn nicht jetzt, wann dann, frage ich! Wenn nicht diese Regierung, welche sonst! Ist dies nicht die Regierung des „Wir wollen mehr Fortschritt wagen“. Die Vorteile liegen auf der Hand. Wir leben nicht mehr in der Steinzeit. Wer eine Vorreiterrolle einnimmt, hat am meisten Erfahrung mit einem derartigen Transformationsprozesses. Kann sein Know-how als weltweiten Wettbewerbsvorteil nutzen: In benötigter Technologie, Organisation, Logistik, Rechtsfragen usw. Und selbst Wirtschaftsliberale könnten an Bio als Standard nichts aussetzen. Denn Bio als Standard setzt nicht auf ein Verbot, sondern ermöglicht innerhalb eines Rahmens, der für alle gleich ist und deshalb niemand benachteiligt, individuelle Entscheidungen der Marktteilnehmer. Die Praxis, dass Andere die Kosten für Schäden tragen müssen, z.B. über höhere Trinkwasserpreise oder Gewerbesteuern, würde damit ebenfalls aufhören.
Bio als Standard – mehr grün, mehr liberal geht nicht. Und im Sinne sozialdemokratischer Politik dürfte dies ebenfalls sein!
* Landwirtschaft im Sinne von allen Betrieben, die Pflanzen, Tiere und Produkte daraus für den menschlichen Verzehr erzeugen, also auch Winzer, Imker, Milchbauern usw. Im weiteren Sinne die gesamte Produktionskette der Lebensmittelerzeugung.
**Zahlen berechnet aus https://www.bmel.de/SharedDocs/Downloads/DE/Broschueren/OekolandbauDeutschland.pdf?__blob=publicationFile&v=16; abgerufen 19.01.2023.