Ernährungsumgebungen verbessern: Wie Städte den Zugang zu gesunden und nachhaltigen Lebensmitteln erleichtern können
Jeden Tag treffen wir Entscheidungen über Lebensmittel: welche Lebensmittel wir beim Einkauf auswählen, wo wir sie kaufen, wie wir sie zubereiten und wann, wo und mit wem wir sie essen. Aber anders als wir vielleicht denken, treffen wir diese Entscheidungen nicht ganz allein oder zufällig. Wir werden stark von unserer so genannten "Ernährungsumgebung" beeinflusst.
Das Konzept der Ernährungsumgebung hat in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen, da es eine neue Perspektive für die Lebensmittelpolitik bietet. Es geht davon aus, dass die Menschen ihre Lebensmittel nicht im luftleeren Raum auswählen, kaufen und zubereiten, sondern in Abhängigkeit von der Ernährungsumgebung, in der sie leben, sei sie nun digital oder physisch. Unsere tägliche Lebensmittelauswahl wird in der Tat durch eine Reihe von Faktoren beeinflusst und eingeschränkt, auf die wir größtenteils keinen Einfluss haben, wie z. B. Lebensmittelpreise, Etikettierung, Werbung und das Angebot an Lebensmitteln in Einzelhandelsgeschäften.
Es ist kein Geheimnis: Das derzeitige Lebensmittelsystem macht es uns nicht leicht, gesunde und nachhaltige Lebensmittel zu wählen. Dennoch bleibt die Vorstellung bestehen, dass Verbraucher*innen ihr Essverhalten zum Besseren verändern können, sofern sie die richtigen Informationen erhalten. Mit einem solchen Ansatz wird die gesamte Verantwortung auf die Schultern der Verbraucher verlagert, ohne dass die Lebensmittelindustrie und die Regierungen für das von ihnen gestaltete Lebensmittelumfeld zur Verantwortung gezogen werden.
Ist es die Schuld von Verbraucher A, wenn er tiefgefrorene, extrem verarbeitete Lebensmittel aus dem Supermarkt kauft, wenn er in einem Viertel lebt, in dem es keinen Zugang zu frischen, erschwinglichen Lebensmitteln gibt? Sollten wir Verbraucherin B dafür verantwortlich machen, dass sie sich nach einem fettigen Industrieburger sehnt, wenn sie auf ihrem Weg zur Arbeit bereits dreimal die Werbung dafür gesehen hat? Sicherlich nicht.
Verbraucher*innen und Produzent*innen in Verbindung bringen
Nach Angaben der Vereinten Nationen lebten im Jahr 2021 55% der Weltbevölkerung in städtischen Gebieten - und diese Zahl wird bis 2050 voraussichtlich auf 66 % ansteigen. Städte haben also ein enormes Potenzial für direkte Auswirkungen auf die Ernährung und die Essgewohnheiten der Menschen. Aus diesem Grund hat sich Slow Food mit dem Projekt Food Trails zusammengetan, dessen Hauptziel es ist, 11 europäische Städte bei der Entwicklung einer nachhaltigen, städtischen Lebensmittelpolitik und der Einrichtung positiver Ernährungsumgebungen zu unterstützen.
Das Slow Food-Netzwerk ist aber auch vor Ort sehr aktiv und entwickelt Bottom-up-Ansätze, die den Bürger*innen die Möglichkeit geben, die Lebensmittelpolitik in den Städten, in denen sie leben, mitzugestalten.
"Der beste Weg für Stadtverwaltungen, zu einem besseren Lebensmittelumfeld beizutragen, ist die Entwicklung einer umfassenden und ehrgeizigen Lebensmittelstrategie, um sicherzustellen, dass alle Bürger*innen Zugang zu guten, sauberen und fairen Lebensmitteln haben", sagt Jannie Vestergaard von Slow Food in den nordischen Ländern.
Dazu müssen unsere politischen Entscheidungsträger*innen die zentrale Rolle von Lebensmitteln in unserer Gesellschaft anerkennen und wirksame Maßnahmen ergreifen, um die Trennung zwischen Lebensmittelerzeuger*innen und städtischen Verbraucher*innen zu überwinden.
Vor diesem Hintergrund hat Kate Smith von Slow Food Birmingham zusammen mit John 2019 das Birmingham Open Food Network gegründet, um ein lokales Lebensmittelzentrum zu betreiben, das Erzeuger*innen und Verbraucher*innen wie ein virtueller Hofladen in der Stadt miteinander verbindet. Über diese Plattform können die Menschen ihre lokalen und agrarökologischen Produkte über eine benutzerfreundliche Online-Plattform direkt von lokalen Erzeuger*innen kaufen. Die Erzeuger*innen bringen diese Produkte in die Stadt und liefern sie an Johns Gemeinschaftskneipe 1000 Trades. Eine Gruppe von Freiwilligen hilft bei der Organisation der verschiedenen Einkaufstaschen, am Abend holen die Käufer*innen diese ab und plaudern bei einem Bier, bevor sie nach Hause gehen.
"Wir können dies jedoch ändern, wenn die Städte eine umfassende und ehrgeizige Lebensmittelpolitik entwickeln, so wie es die Stadtverwaltung von Birmingham tut. Deren Lebensmittelstrategie soll im Mai 2023 veröffentlicht werden", erklärt Kate.
Dieses lokale Lebensmittelzentrum ermöglicht es den Menschen, ihre Milch, ihren Käse, ihre Eier, ihr Brot, ihr Gemüse und vieles mehr direkt bei lokalen Erzeuger*innen zu kaufen und dabei die Gemeinschaft zu genießen.
Dieses lokale Lebensmittelzentrum trägt auch zur Verringerung der Lebensmittelverschwendung bei, da die Kund*innen genau das kaufen, was sie brauchen, während die Erzeuger*innen genau die Menge an frischen Produkten ernten, die benötigt wird. Ein Modell, von dem alle profitieren, auch die Umwelt.
Bürger*innen befähigen, die städtische Lebensmittelpolitik mitzugestalten
Die Verbindung zwischen den Menschen und den Lebensmitteln, die sie essen, ist jedoch nur ein Schritt auf dem Weg zu einer besseren Ernährungsumgebung. Die Kommunalverwaltungen sollten noch weiter gehen, indem sie den Bürger*innen Instrumente zur Selbstbestimmung an die Hand geben.
Viele europäische Städte erproben neue Wege, um ihre Bürger*innen in die lokale Lebensmittelpolitik einzubeziehen. Die Stadt Gent (Belgien) hat 2012 einen Rat für Lebensmittelpolitik gegründet, dem Vertreter*innen aller relevanten Sektoren angehören: Lebensmittelerzeugende, Verbraucher*innen, Abfallverarbeitende, Menschen aus der Wissenschaft usw. Auf der anderen Seite des Ärmelkanals gründete Glasgow (Schottland) die Glasgow Food Policy Partnership (oder "Good Food for All"), an deren Entwicklung rund 80 Personen beteiligt waren, die verschiedene Organisationen und gesellschaftliche Gruppen in Glasgow vertraten. Im Osten des Landes initiierte das Partizipationsbüro in Breslau (Polen) ein Projekt zur Stärkung lokaler Führungskräfte, das sich insbesondere auf benachteiligte Stadtteile konzentrierte. Dazu gehörten Schulungen zur Mittelbeschaffung, zur Einbindung anderer Bürger*innen und zur Förderung eines Netzwerks. Einige dieser lokalen Verantwortlichen sind zu zentralen Partnern für die Einbeziehung benachteiligter Gruppen in die lokale Lebensmittelpolitik geworden.
Immer mehr Städte in ganz Europa schließen sich dieser Bewegung an und finden Wege, ihre Bürger*innen in die von ihnen gewünschte Zukunft der Ernährung einzubeziehen.
Von der Einrichtung von Beiräten für Ernährungspolitik über die Anlage von Gemeinschaftsgärten auf städtischen Brachflächen bis hin zu Koch- oder Landwirtschaftskursen für die Bürger*innen - es mangelt nicht an Ideen, um eine "Bottom-up"-Bewegung für lokale Lebensmittel zu inspirieren. "Diese Projekte sind ein Gewinn für die Stadt und ihre Bürger*innen. Außerdem sollte eine ehrgeizige öffentliche Lebensmittelbeschaffung als strategisches Instrument genutzt werden, um gesundheitliche, ökologische, sozioökonomische, tierschützende und andere lebensmittelpolitische Ziele auf den Tellern der Menschen zu fördern", sagt Jannie Vestergaard.
"Die Kommunen sollten verstehen und erfassen, was in der Stadt bereits geschieht, und diejenigen Gruppen und Projekte unterstützen, die bereits mit einer Bottom-up-Struktur Wirkung zeigen", fügt Kate Smith hinzu.
Agroökologische Landwirt*innen in den Mittelpunkt stellen
Ohne nachhaltige Lebensmittelproduzent*innen gibt es keinen Übergang zu besseren Lebensmitteln. Deshalb arbeiten die Slow Food Ortsgruppen daran, agrarökologische Erzeuger*innen sowie Landwirtinnen und Landwirte zu unterstützen und zu fördern, um die von ihnen produzierten Lebensmittel den Verbrauchenden näher zu bringen.
Jannie Vestergaard von Slow Food in den nordischen Ländern erzählte uns die Geschichte des Bauernmarktes "Grønt Marked" in Kopenhagen, der zu den Gewinnern der Slow Food Denmark Awards gehört - ein jährlicher Wettbewerb, bei dem Erzeugende oder Organisationen ausgezeichnet werden, die in der Lebensmittelszene des Landes etwas bewirken. "Der Markt ist Teil der World Farmers Market Coalition und findet im Sommer an drei aufeinander folgenden Wochen in drei Stadtteilen statt. So können die Menschen lokale und biologische Lebensmittel ohne Zwischenhändler kaufen."
Ein weiteres Beispiel ist "Madens Folkemøde", eine jährlich in Dänemark stattfindende Lebensmittelrallye, bei der verschiedene Akteur*innen des Lebensmittelsystems zusammenkommen, um zu diskutieren und zu debattieren. Als Partner der Veranstaltung hat Slow Food Dänemark vor drei Jahren eine Debatte über regenerative Landwirtschaft angestoßen, die nun zur Gründung einer Slow Food Community für regenerative Landwirtschaft führt. "Dies ist ein großartiges Beispiel dafür, wie Bottom-up-Ansätze zu großartigen Ergebnissen auf lokaler Ebene führen können", so Jannie abschließend.
Quelle: FRANCISCA FEITEIRA, Slow Food International