Vorhaben der EU-Kommission zu neuen GVO stellt die Interessen der Agrarindustrie über die von Landwirtschaft, Umwelt und Verbraucher*innen
Madeleine Coste, Slow-Food-Direktorin für Advocacy, kritisiert das EU-Vorhaben: „Der vorliegende Vorschlag zur Deregulierung neuer Gentechnik opfert die Rechte von Landwirt*innen, Verbraucher*innen sowie der Umwelt. Ein solches Vorhaben kommt einzig der Agrarindustrie entgegen. Die Risiken für Mensch und Planet werden dabei völlig außer Acht gelassen. Er ist ein echter Rückschlag für den Übergang zur Agrarökologie, den wir dringend brauchen.“
Die neue Gentechnik gefährdet die biologische Vielfalt und Ernährungssicherheit
Der Vorschlag zur Deregulierung neuer GVO wurde zusammen mit Maßnahmen zur Überprüfung der Bodengesundheit vorgelegt. Die Kommission bringt vor, dass neue GVO dazu beitragen werden, den Einsatz von Pestiziden und chemischen Düngemitteln zu verringern. Die Degradierung der Böden ist jedoch nicht nur auf den Einsatz chemischer Pestizide und Düngemittel zurückzuführen, sondern zu einem großen Teil auf Monokulturen und den Verlust biologischer Vielfalt, den dieser neue GVO-Vorschlag nur noch verstärken würde.
Genau wie die alte Generation von GVO (gentechnisch veränderte Organismen) greifen auch die neuen GVO, u. a. die CRISPR-Technologie, in die Biodiversität und die Gesundheit der Böden auf den europäischen Feldern ein. Ihr ungeprüfter Einsatz würde zu mehr Monokulturen industrieller Landwirtschaft mit patentiertem Saatgut führen und die Vielfalt von Arten und Sorten weiter reduzieren. Diese biologische Vielfalt aber ist Grundlage unserer Ernährung und sichert sie. Der Vorschlag der EU-Kommission, neue GV-Pflanzen Sicherheitsprüfungen zu entziehen, alarmiert nicht nur Slow Food. Wissenschaftliche Studien zeigen, dass die neuen GVO weit weniger präzise sind als behauptet und genetische Fehler verursachen können. Forscher*innen fordern, diese unbeabsichtigten Mutationen (DNA-Schäden) wissenschaftlich zu untersuchen. Wenn die neue Gentechnik erst einmal im Umlauf ist, sei es unmöglich, die Kontaminierung von Kulturen in der Umgebung und ihre weitere Verbreitung zu verhindern.
Nina Wolff, Vorsitzende von Slow Food Deutschland zum Vorschlag der EU-Kommission: „Für Slow Food steht fest: Die neue Gentechnik steht im Widerspruch zu den Zielen des Green Deal der EU, gefährdet den Umweltschutz sowie die Ernährungssicherheit und befeuert den Biodiversitätsverlust. Neue genomische Techniken bieten keine umfassende Lösung für Probleme wie Klimawandel und Biodiversitätsverlust. Vielmehr behindern sie Lösungen, indem sie die gesellschaftlich und politisch gewollte ökologische Erzeugung von Lebensmitteln erschweren.“
Mehr Konzernmacht durch Deregulierung neuer GVO
Während die großen Bauernverbände sowie konservative Politiker*innen den Zuspruch europäischer Landwirt*innen gegenüber der neuen Gentechnik betonen, kritisiert Slow Food die damit weiter wachsende Macht großer Agrochemiekonzerne über unser Lebensmittelsystem sowie die Abhängigkeit der Landwirtschaft von Patenten auf Saatgut. Für Bäuerinnen und Bauern, die nicht gentechnisch veränderte Organismen anbauen, wird es schwieriger und kostspieliger, ihre Lebensmittel gentechnikfrei zu erzeugen und Verunreinigung auszuschließen. Selbst wenn neue GVO im ökologischen Landbau nicht zugelassen werden sollen, besteht ein weiteres Problem des Kommissionsvorschlags darin, dass es für gentechnikfrei und ökologisch arbeitende Landwirt*innen sehr schwierig und kostspielig werden wird, zu gewährleisten, dass ihre Lebensmittel frei von GVO sind, da ein ernsthaftes Kontaminationsrisiko besteht während die Rückverfolgbarkeit durch diesen Vorschlag ausgehöhlt wird.
Aus dem eigenen Netzwerk weiß Slow Food um den Wert agrarökologischer Lösungen. „Slow Food arbeitet jeden Tag daran, agrarökologische Lebensmittelsysteme zu fördern, die der Umwelt und der Landwirtschaft zugute kommen. Wir brauchen eine Politik, die die Landwirt*innen bei der Umstellung auf umweltfreundliche Praktiken begleitet und unterstützt, anstatt unbewiesene Patentlösungen zu fördern," so Madeleine Coste. Diesen Forderungen konträr gegenüber stehen Konzerninteressen sowie Stimmen aus der Landwirtschaft, die nicht bereit sind, durch das System verursachte Klimaschäden zu reduzieren.
Eine neue Untersuchung von Lighthouse Reports zeigt, dass hinter dem Zuspruch für Biotechnologie vor allem die europäische Lobbygruppe Copa-Cogeca steht. Copa-Gogeca behauptet, die Stimme der Landwirt*innen zu sein und 22 Millionen europäische Bäuerinnen und Bauern zu vertreten. Interviews mit 120 Landwirtinnen und Insidern, Politikerinnen, Akademikern und Aktivistinnen lassen Zweifel daran aufkommen, inwieweit der Verband kleine und mittlere Betriebe vertritt; der Verband steht eher für die großen industrialisierten Betriebe.
Transparenzverlust durch neue Vorschriften für neue GVO
Bislang ist die Kennzeichnung von Obst und Gemüse, das mit Gentechniken hergestellt wurde, obligatorisch. Umfragen zeigen, dass Bürger*innen dies auch weiterhin wünschen. Mit dem Vorhaben der Europäischen Kommission jedoch würde die obligatorische GVO-Kennzeichnung für die meisten neuen gentechnisch veränderten Pflanzen abgeschafft. Für Verbraucher*innen wäre nicht mehr ersichtlich, ob ihre Lebensmittel GVO enthalten oder nicht. Die Deregulierung widerspräche nicht nur dem Wunsch der EU-Bürger*innen, sondern auch dem Recht der Verbraucher*innen auf Information, das im Vertrag über die Europäische Union verankert ist. Anfang 2023 übergab eine Koalition von über 50 Organisationen aus sieben EU-Ländern der Europäischen Kommission eine von 420.000 Menschen in der EU unterzeichnete Petition, die die Beibehaltung von Regulierung und Kennzeichnung neuer GVO fordert.
Slow Food fordert das Europäische Parlament und die nationalen Umweltminister*innen auf, das Recht der Verbraucher*innen und Landwirt*innen auf Wahlfreiheit zu schützen und den Vorschlag der Europäischen Kommission zur Freisetzung ungeprüfter GVO abzulehnen.
Hintergrundinformationen zu den neuen GVOs, finden Sie in unseren beiden Erklärungsvideos:
https://youtu.be/YABWHYQ4JR0