Per Losentscheid zur „Ernährungsdemokratie“?
Das Netzwerk der Ernährungsräte begrüßt den gestern gefassten Beschluss als wichtigen ersten Schritt auf dem Weg zur Ernährungsdemokratie. Vorstandsmitglied Gundula Oertel erklärt dazu: „Ernährung betrifft und bewegt uns alle, besonders angesichts inflationärer Preissteigerungen und dem immer noch hohen Anteil landwirtschaftlicher Erzeugungsweisen, die unsere natürlichen Lebensgrundlagen zerstören. Der geplante Bürgerrat kann dies jetzt zum Mittelpunkt einer öffentlichen Debatte machen, die nah dran ist an den Interessen und Bedürfnissen der Bevölkerung!“
Das in Deutschland noch recht neue Beteiligungsformat Bürgerrat könnte auch dazu beitragen, neues Vertrauen in die Demokratie zu begründen. Es steht nicht in Konkurrenz zur repräsentativen Parteiendemokratie. Vielmehr stellt es durch die direkte Bürgerbeteiligung ihre wünschenswert basisdemokratische Ergänzung dar. Eine losbasierte Auswahl von Teilnehmenden, die einem Bevölkerungsquerschnitt möglichst nahe kommt und die neutral moderiert und von Expertinnen und Experten beraten wird, bietet die Gewähr für einen lösungsorientierten Diskurs unter Bürger*innen, die gesellschaftliche Verantwortung übernehmen wollen. Und dies abseits von Lobbyeinflüssen oder wahltaktischem Konkurrenzgerangel unter Parteien.
Aus Sicht des Netzwerks der Ernährungsräte sind Bürgerräte deshalb besonders geeignet, die gesellschaftliche Debatte über die großen Fragen unserer Zeit anzustoßen. Etwa die nach einem nachhaltigen Wandel unseres Landwirtschafts- und Ernährungssystems und dessen demokratischer Gestaltbarkeit. Daher hatten wir den Bundestag bereits im Sommer 2022 aufgerufen, in einem Bürgerrat die Frage zur Diskussion zu stellen, was uns unser Essen wert ist! https://ernaehrungsraete.org/2022/07/07/werden-sie-ernaehrungsdemokratisch-aktiv/
Wenn nun ein erster Bürgerrat in dieser Legislatur vom Bundestag beauftragt wird, sich mit diesem Thema zu beschäftigen, dann verbinden wir damit die Hoffnung, dies möge nicht nur den dringend nötigen Wandel unseres gesamten Agrar- und Ernährungssystems einen großen Schritt voranbringen, sondern zugleich auch die Ernährungsdemokratie in Deutschland!
Valentin Thurn, ebenfalls im Netzwerkvorstand, formuliert konkrete Erwartungen der Ernährungsräte an das Verfahren: „Wir bauen darauf, dass die Teilnehmenden am Bürgerrat den nötigen Freiraum erhalten und nutzen werden, die Entscheidungen von Verbrauchern zu analysieren, insbesondere im Zusammenhang mit der Marktmacht von Handelsketten und großen Lebensmittelkonzernen, und Wege zu einem am Gemeinwohl orientierten Agrar- und Ernährungssystem zu suchen“.
Aus Sicht der Ernährungsräte kann der (voraussichtlich im September mit der Arbeit beginnende) Bürgerrat vor allem dann zum Erfolg werden, wenn die Teilnehmenden ihn als in ihrem Sinne wirksam erleben, ebenso wie die in der Folge gut informierte Öffentlichkeit. Das jedoch setzt genug Spielraum für eine Arbeitsweise voraus, die gegebenenfalls weit über das bloße Bestätigen im Koalitionsvertrag bereits vorgesehener Politikziele hinaus gehen kann. So könnten neben Handlungsempfehlungen auch konkrete Gesetzesvorschläge zu den Ergebnissen zählen. Differenzierter deutlich gemacht werden sollte zudem, dass die Bundesregierung tatsächlich gewillt ist, sich mit den Beratungsergebnissen nicht nur zu befassen, sondern sie auch so weitgehend wie irgend möglich in Gesetzesinitiativen umzusetzen.
Weitere Informationen zur Debatte und dem Antrag: https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2023/kw19-de-buergerrat-945440
Quelle: Pressemitteilung des Netzwerk der Ernährungsräte