Brunnenkresse aus der Erfurter Klinge

Wildkraut aus traditionellem Anbau

Arche-Passagier seit 2018

Unterstützt von Slow Food Weimar-Thüringen

Beschreibung des Passagiers

Brunnenkresse ist ein Blattgemüse und trägt den botanischen Namen „Nasturtium officinale R. Brown“. Sie gehört zu den Kreuzblütengewächsen (Brassicaceae) und ist verwandt mit bekannten Gemüsesorten wie Rettich oder Radieschen. Im Volksmund wird die Brunnenkresse in unterschiedlichen Regionen Deutschlands auch Bachbitterkraut, Bitterkresse, Braunkärsch (Erfurter Mundart), Bornkersch oder Wassersenf genannt, ein Hinweis auf ihre weite Verbreitung hierzulande. Ihr ursprüngliches Verbreitungsgebiet erstreckt sich über die meisten Länder der Nordhalbkugel.

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Brunnenkresse ist eine ausdauernde Wasserpflanze, die bevorzugt wild in frischen klaren Bachläufen wächst. Sie hat einen hohlen Stängel und bildet zusätzliche Wurzeln an ihren Blattachseln – die sogenannten Adventivwurzeln. Die Blätter der Brunnenkresse sind dunkelgrün, gefiedert und glatt. Ihre weißen Blüten sind traubig angeordnet, ihre Frucht - die Schötchen - sind leicht gebogen und enthalten bis zu 60 winzige Samen. Brunnenkresse ist eine Langtagpflanze: Je länger die Tage, desto mehr lebt sie auf. Sie blüht zwischen Mai und September, geerntet wird sie von Herbst bis Frühjahr in den Monaten mit „r“ in mühevoller Handarbeit von querliegenden Holzbohlen aus.

Die Blüten der Brunnenkresse werden von Insekten aufgesucht. Eine Selbstbestäubung ist ebenfalls möglich. Die Vermehrung kann über Saatgut und Vorkultur von Jungpflanzen oder Stecklingen erfolgen.

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Geschichte des Brunnenkresse-Anbaus

Im Dreienbrunnengebiet Erfurts begann der Anbau von Brunnenkresse um 1630. Aus der ursprünglichen Sammlung der Brunnenkresse, aus natürlichen Wasserläufen, entwickelte sich ab 1740 ein geordnetes Anbausystem mit künstlich angelegten Wasserläufen („Klingen“) und dazwischenliegenden Dämmen („Jähnen“). Dieses System geht auf den Erfurter Gartenbau-Universalgelehrten Christian Reichart (1685-1775) zurück. Er etablierte damit das erste Anbausystem dieser Art in Europa und der Welt. Zahlreiche Länder wie Frankreich, England, Schweiz und die USA folgten diesem Vorbild. Ab 1930 wurden in Erfurt die Dämme durch begehbare Laufstege ersetzt und so die nutzbare Produktionsfläche erweitert. Die Wasserversorgung erfolgt durch natürliche Quellen. Die Wassertemperatur beträgt ganzjährig ca. 11°C. Bis heute existiert eine Brunnenkresse-Anlage nach diesem System bei Ralf Fischer in Erfurt.

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Gefährdung des Passagiers

Nach der Vergenossenschaftlichung der Brunnenkresse-Gärtnerei Fischer sowie anderer Gärtnereien durch die DDR-Regierung im Jahr 1960 wurde das historisch bewährte Anbausystem in Erfurt zwischen 1975 und 1990 vollständig aufgegeben. Die meisten Anbauklingen wurden verfüllt und anderweitig gärtnerisch genutzt. Erst ab 1994 konnte nach der Reprivatisierung eine Klinge der Familie Fischer rekonstruiert werden. Ralf Fischer erfüllte damit seinem Vater und seiner Großmutter ihren lange gehegten Traum. Seine sanierte Erfurter Klinge ist heute die letzte ihrer Art. Die Bewirtschaftung erfolgt durch Ralf Fischer und seine Frau im Nebenerwerb.

Die besondere Schutzwürdigkeit ist durch den Eintrag in das Denkmalbuch der Stadt Erfurt belegt. Mittelfristig ist die Weiterführung ihrer historischen Anlage aber gefährdet, da bislang noch kein Nachfolger bereitsteht.

Erwerbbarkeit des Passagiers

Das Anbausystem von Ralf Fischer ist der Öffentlichkeit zugänglich. Besuchergruppen machen sich hier mit der Historie der Erfurter Brunnenkresse sowie ganz praktisch mit ihrer Produktionsfläche vertraut. Bürger, die daran interessiert sind, selber Brunnenkresse anzubauen, profitieren vor Ort von Gesprächen mit Ralf Fischer über seine Erfahrungen. Von September bis April wird die Brunnenkresse im Hofladen verkauft. Eine Vielfalt an verarbeiteten Produkten kann in Erfurter Spezialitätenläden erworben werden.

Regionale Bedeutung des Passagiers

Die Brunnenkresse-Anlagen im Erfurter Dreienbrunnengebiet gehörten zu den wichtigsten Eckpfeilern des Erfurter Gartenbaus. Aus der Zeit vor Reichart liegen keine Produktionszahlen vor. Die stetig wachsende Anzahl der Gärtner und der Anstieg der Anbauflächen belegen aber, dass der Verkauf der Brunnenkressebündel durch Reicharts System zu einem lukrativen Geschäft im 18. Jahrhundert wurde. Mit Entwicklung der künstlichen Wasserläufe, der Klingen, wurde die Produktion systematisiert. Die Erträge lagen nach verschiedenen Angaben zwischen 1,0-1,5 kg/m2. Das beste Jahr 1962 erbrachte 44.000 kg auf knapp zwei Hektar Fläche. Zu diesem Zeitpunkt gab es in Erfurt noch fünf Gärtnereien, die auf den Anbau der Brunnenkresse spezialisiert waren. Die Ware wurde regional verkauft, aber auch eisgekühlt in zahlreiche große Städte Deutschlands frisch verschickt. Auch pharmazeutische Produkte auf Basis der Brunnenkresse waren gefragt. So verzeichnete die Brunnenkresse über Jahrhunderte hinweg eine sehr hohe Rentabilität.

Die regionale Bedeutung der Erfurter Klinge bestätigt ihre Einstufung als Kulturdenkmal gemäß §2 Abs. 6 ThürDSchG (historische Park- und Gartenanlagen). 2013 erfolgte bereits die Eintragung in das Denkmalbuch Thüringens.

Geschmack des Passagiers

Brunnenkresse ist kräftig und würzig im Geschmack. Als Kreuzblütengewächs ist auch ihre leichte Schärfe charakteristisch. Brunnenkresse kann frisch als Salat genossen werden und dient als Zutat z. B. für Suppen, Omeletts, Kräuterbutter sowie als schmackhafte Dekoration auf Aufschnittplatten. Neben ihrem kulinarischen Wert bestätigen zahlreiche aktuelle Untersuchungen ihre positiven Wirkungen auf die Gesundheit. In den USA wird Brunnenkresse als das „gesündeste Gemüse der Welt“ propagiert. In der Tat ist Brunnenkresse ein gesunder Vitaminlieferant und das im Winter, wenn nur wenig frisches Gemüse regional verfügbar ist. Neben einem hohen Vitamin C-Gehalt (60mg auf 100g Frischpflanze) enthält Brunnenkresse die Vitamine A, B1, B2 und E sowie wichtige Mineralstoffe und Spurenelemente wie Eisen, Calcium oder Jod.

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Spezielles Know-how zur Erzeugung des Passagiers

Der Anbau der Brunnenkresse erfolgt im Jahresrhythmus. Mit Räumung der Klinge im Frühsommer werden Altpflanzen und Unkraut beseitigt, Wasser und Schlamm herausgelassen und die Klinge mit ihrem Gefälle planiert. Jungpflanzen oder Stecklinge werden bei niedrigem Wasserstand eingesetzt. Nach ihrem Anwachsen wird der Wasserstand kontinuierlich auf 8-10 cm angestaut. Die Art und Weise des Anbaus erfordert großen körperlichen Einsatz: Die Kresse muss u. a. in den Wintermonaten bei strengem Frost mit speziellen Holzpatschen oder -walzen unter die Wasseroberfläche gedrückt werden. Der Schnitt des gesunden Kressegrüns erfolgt kniend auf schmalen Holzbrettern mit bloßen Händen im stets 11°C warmen Quellwasser des Erfurter Dreienbrunnengebietes. Die Ware wird erntefrisch im Hofladen von Ralf Fischer sowie in Erfurter Spezialitätengeschäften angeboten.

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Züchter*innen, Erzeuger*innen und Bezugsquellen

Familie Fischer (Betreiber der Erfurter Klinge)
Hochheimer Str. 23
99094 Erfurt
Tel. (03 61) 2 22 02 92
www.erfurter-brunnenkresse.de

Jenaer Senfmanufaktur (mit Onlineshop)
Drackendorf-Center 3
07751 Jena-Drackenkopf
Tel. (01 74) 4 68 17 51
www.jenaersenf.de

Weitere Informationen

Das Buch „Brunnenkresse. Gesunde Erfurter Delikatesse damals & heute“ von Dr. Wolf-Dieter Blüthner, Ralf Fischer und Christel Bosecker enthält zahlreiche nachkochbare Rezepte und erzählt ausführlich die Geschichte des Kresseanbaus.

Links und Aktivitäten rund um den Passagier

>>Biokulturelle Vielfalt: Zwei neue Arche-Passagiere an Bord

>>Ausstellung: „Geschmack der Regionen – Obst und Gemüse neu entdeckt!“

>> Slow Food Magazin: Brunnenkresse aus der Erfurter Klinge

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Bannerbild: © Matthias Frank Schmidt, weitere Bilder © Matthias Frank Schmidt, Historisches Foto Archiv Ralf Fischer

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